Regierungsnahe Kommentatoren vertreten die Auffassung, dass die regierungskritischen Demonstranten keine nennenswerten politischen Ziele verfolgen. Linke und liberale Beobachter hingegen hoffen, dass die Demonstrationen zur Bildung einer breiten Anti-Regierungskoalition beitragen könnten. Eine Presseschau von budapost.de.
In Magyar Idők beschreibt László János Szermán die Budapester Proteste gegen das Überstundengesetz als eine „Freizeitbeschäftigung“ einiger hundert „hartgesottener Störenfriede“. Der regierungsnahe Kolumnist hält die sehr unterschiedlichen Demonstranten – von Rechtsextremen über Antifa-Gruppen und linken Oppositionsparteien bis hin zu Jobbik-Politikern – für zu heterogen, um ein klares politisches Ziel vorgeben zu können. Laut Szermán handelt es sich bei den Demonstranten lediglich um einen formlosen und gewaltbereiten Mob, dem es sowohl an Führung als auch an Visionen mangele.
Auf Mandiner äußert auch Szabina Hausar die Ansicht, dass die Protestler Ärger um des Ärgers willen stiften wollten, statt konkrete politische Ziele zu erreichen. Ungeachtet ihres radikalen Tons und ihrer gewalttätigen Aktionen dürften die Demonstranten kaum das Scheitern der Orbán-Regierung herbeiführen, glaubt die konservative Bloggerin und ergänzt: Die Demonstranten würden deswegen Gewalt anwenden, weil es keine konkreten politischen Ziele gebe.
Zoltán Udvardy vergleicht die regierungskritischen Demonstranten mit den „Lenin-Jungs“ – kommunistischen Verbänden, die während der kurzlebigen ungarischen Räterepublik 1919 aktiv waren. Im Wochenmagazin Figyelő schreibt der regierungsnahe Autor, dass die professionell organisierten Demonstranten samt den Gewerkschaften die Arbeiter keineswegs mobilisiert hätten und so ihr „Putschversuch“ total gescheitert sei. Abschließend äußert Udvardy die Hoffnung, dass die Regierung den Demonstranten gegenüber keinerlei Zugeständnisse machen werde.
Liberale Kommentatoren betonen, dass sowohl die gegen die Regierung auftretenden Demonstranten als auch die Polizei radikaler und gewaltbereiter zu sein scheinen als in den vergangenen Jahren. András Dezső von Index hält fest, dass die Polizei Methoden der Identifizierung von Personen eingesetzt habe, die nicht mit den ungarischen Gesetzen in Einklang stünden. Ganz generell würden sich die Polizeikräfte den Demonstranten gegenüber weniger tolerant verhalten, während die Protestierer die Polizei heftiger als früher provozieren würden. Zoltán Haszán und Gergő Plankó vom Internetportal 444 erinnern daran, dass Demonstranten viel wütender und weniger friedlich als zuvor agieren würden, während die Polizei bereitwilliger Tränengas einsetze.
Es sei verheißungsvoll, dass die Oppositionsparteien endlich ein starkes Signal ausgesendet hätten, schreibt György Sebes in Népszava. Der linke Kolumnist hält das politische Agieren im Parlament für die Opposition als Zeitverschwendung. Und so äußert er die Hoffnung, dass die Opposition die Regierung auch weiterhin mit wirkungsvolleren Methoden entgegentrete.
Die Proteste würden die Möglichkeit zur Bildung einer breit angelegten Anti-Regierungskoalition schaffen, frohlockt Nóra Diószegi-Horváth auf Mérce. Die alt-linke Bloggerin hält es für erfreulich, dass Gewerkschaften, Oppositionsparteien und junge städtische Liberale Schulter an Schulter gegen die Regierung protestierten. Eine solche Zusammenarbeit, so hofft Diószeghi-Horváth, könne die Grundlage für eine starke gegen die Regierung gerichtete Koalition schaffen – vorausgesetzt, die aktuelle Welle der Unzufriedenheit lasse sich lenken und man könne ihr klare politische Ziele setzen.
Auch Zoltán Horváth von Heti Világgazdaság glaubt, dass die Demonstrationen einen Wendepunkt im Rahmen der Mobilisierungsstrategie der Opposition markieren könnten. Der linksliberale Kolumnist räumt ein, dass nur eine relativ kleine Anzahl von Menschen demonstriere. Dennoch sei es ermutigend, dass sich sowohl Oppositionsparteien als auch Gewerkschaften ihnen angeschlossen hätten. Sollte die Mobilisierung erfolgreich sein, könnten die Proteste die allgemeine Unzufriedenheit mit dem kanalisieren und zusammenführen, was Horváth als korrupten „nationalen Feudalismus“ der Regierung bezeichnet.
In 168 Óra betont Zoltán Lakner, dass junge Intellektuelle protestieren würden, um die Interessen der Arbeiter zu verteidigen. Die gemeinsamen Anstrengungen verschiedener Gruppen könnten zur Bildung einer breiten Anti-Regierungsbewegung führen, glaubt der linksorientierte Analyst. Dazu sei es unerlässlich, dass die Angriffe der Regierung auf demokratische Institutionen in einen Zusammenhang mit den sozialbezogenen Problemen der Arbeitnehmer gestellt würden, konstatiert Lakner.
Magyar Narancs ermutigt sowohl die Demonstranten als auch die Opposition zur Fortsetzung des guten Kampfes. Im wöchentlichen Leitartikel auf der ersten Seite des linksliberalen Wochenmagazins heißt es unter anderem, dass Ungarn tatsächlich in ein Land der Sklaven verwandelt werde, sollte die Opposition bei ihren Protesten nicht auf „harsche Methoden“ zurückgreifen.
(Via: budapost.de, Beitragsbild: Balázs Mohai – MTI)