Ein regierungsfreundlicher Kolumnist begrüßt den Aufruf des ungarischen Ministerpräsidenten an die Europäische Volkspartei, sie möge sich ihrer christlich-konservativen Wurzeln besinnen. Ein linker Analyst dagegen vermutet, dass Orbán die EVP auf die Probe stellen und die These verbreiten wolle, er habe sich zu einem wichtigen Akteur auf europäischer Bühne entwickelt. Presseschau von budapost.de.
In einem am Mittwoch an die Europäische Volkspartei gerichteten Schreiben fordert Ministerpräsident Viktor Orbán eine Reform der EVP. Der ungarische Regierungschef beklagt in dem Text „die Aufgabe der christlich-konservativen Ideologie durch die EVP“. Unter anderem habe sie „marxistisch-egalitäre” Werte für sich übernommen und sei zu einer Verfechterin von Homo-Ehe sowie ungehinderten Migrationsbewegungen geworden. Dieser ideologische Wandel hat in den Augen Orbáns innerhalb der EVP Gräben aufgerissen. Um diese die Volkspartei schwächenden Spaltungen zu überwinden fordert er eine Debatte über die strategische Ausrichtung der EVP und rät der Parteienfamilie, sie möge auch mit rechten und nicht nur mit linken Parteien Bündnisse eingehen. Nach Angaben von Katalin Novák, Staatsministerin für Familie, Jugend und Internationale Angelegenheiten, erwartet der Fidesz eine Antwort der EVP auf das Memorandum des Ministerpräsidenten. In diesem Zusammenhang warnte Novák, dass sich ihre Partei nach neuen Partnern außerhalb der EVP umsehen könnte, falls sie nicht mit der von Orbán umrissenen Strategie einverstanden sein sollte.
Ferenc Kis von der Tageszeitung Magyar Nemzet hält einen Austritt des Fidesz aus der Europäischen Volkspartei für möglich, falls die EVP den Vorschlägen des ungarischen Ministerpräsidenten nicht nachkommen sollte. Der regierungsfreundliche Analyst pflichtet Orbáns Analyse bei, der zufolge die EVP ihre christlich-konservativen Werte aufgegeben und durch liberale, grüne und sozialistische Werte ersetzt habe. Kis begrüßt den Mut des Regierungschefs, die EVP offen zur „Rückkehr zur Normalität und zu den Werten ihrer Gründer“aufzurufen. Orbán avanciere zu einem immer einflussreicheren Akteur auf der Bühne der internationalen Politik, notiert Kis.
In einem Interview mit dem linksorientierten Sender Klubrádió interpretiert Dániel Hegedűs das Memorandum als den Versuch Orbáns auszutesten, ob er in der EVP genügend Verbündete zum Schmieden eines neuen „rechtsradikalen Bündnisses“ finden könne. Darüber hinaus wolle der Regierungschef dem ungarischen Wahlvolk suggerieren, er habe sich zu einem wichtigen politischen Akteur in Europa entwickelt, glaubt der Analyst des German Marshall Fund.
(Via: budapost.de, Beitragsbild: MTI – Zsolt Szigetváry)