Wöchentliche Newsletter

Sind ungarische Fans wirklich eines der größten Sicherheitsprobleme bei der EM?

Enikő Enzsöl 2024.06.13.

„Auch gewaltbereite Hooligans könnten aus Ungarn in die Landeshauptstadt kommen”, erklärte der Landesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft Ralf Kusterer im Mai laut Südwestrundfunk. Die „ungarischen Hooligans” hätten in den sozialen Medien bereits ihr „Schauspiel” für das Spiel gegen die deutsche Nationalmannschaft am 19. Juni in Stuttgart angekündigt, so der deutsche Polizeichef.

Nach Angaben des Südwestrundfunks sind es aber nicht nur die „mehr als 5.000 Störer” aus Ungarn, die der Polizeigewerkschaft Sorgen bereiten. „Die größte Gefahr geht von islamistischem Terror aus“, sagte Ralf Kusterer. In seinen Ausführungen ging er weder auf die Rekordzahl politisch motivierter Straftaten in Deutschland im vergangenen Jahr ein, noch darauf, was die Polizei während der Europameisterschaft zu tun gedenkt, um solche Straftaten zu verhindern.

Die ungarischen Fans einen Monat vor Beginn der Europameisterschaft als Sicherheitsproblem darzustellen, erscheint zumindest diffamierend und politisch motiviert.

Mit den gefürchteten „5.000 Störern“ meinte der Polizeichef wahrscheinlich die Carpathian Brigade ’09, eine Gruppe von Anhängern der ungarischen Nationalmannschaft. In Europa ist es im Vereinsfußball üblich, dass Mannschaften ihre eigene Ultra-Basis haben, aber auf der Ebene der Nationalmannschaften ist die Existenz der ungarischen Fanbasis einzigartig. Was Ralf Kusterer als „Schauspiel“ bezeichnet, nämlich die Choreografie, die die Fans zu Beginn eines Spiels aufführen, ist im internationalen Fußball eine gängige Praxis, um die Mannschaften anzufeuern.

Die Carpathian Brigade ’09 kündigte auf ihrer Social-Media-Seite an, dass

sich die Gruppe auf das Gruppenspiel gegen Deutschland mit dem „größten Auswärtsspektakel, das die aktive Teilnahme von mehr als 10.000 ungarischen Fans erfordern wird“, vorbereitet.

Im Zusammenhang mit den EM-Spielen der Nationalmannschaft bittet die Carpathian Brigade ’09 die ungarischen Fans, „die üblichen schwarzen Uniformen für unsere Gruppenmitglieder zu bevorzugen, und der Rest des Fanlagers wird gebeten, Kleidung zu tragen, die dem Trikot der Nationalelf ähnelt (…) Von der Aufstellung bis zum Abpfiff wollen wir eine festliche Atmosphäre, aber wir bitten ausdrücklich darum, übermäßigen Alkoholkonsum zu vermeiden“. Diese Aufforderungen der Ultra-Fußballfans sind die Polizeigewerkschaft wahrscheinlich entgangen.

Die Deutschen, die sich vor ungarischen Fußball-Hooligans fürchten sollen, bekommen auch darüber keine Informationen, dass eine 32-köpfige ungarische Polizeieinheit nach Deutschland gereist ist, um an der Europameisterschaft als Unterstützungskraft teilzunehmen.

Wir stehen seit Monaten in ständigem Kontakt mit den ungarischen Fangruppen. Wir erwarten von ihnen, dass sie sportlich anständig jubeln, und wir werden dabei Partner sein, aber wir werden hart gegen ungebührliches Verhalten vorgehen,

heißt es in einer offiziellen Erklärung der ungarischen Polizei.

Neben der Karpatenbrigade und der Polizei forderte auch Sándor Csányi, der Präsident des Ungarischen Fußballverbandes (MLSZ), die ungarischen Fans auf, zu bedenken, dass „sie nicht nur die ungarische Nationalmannschaft, sondern auch das Land repräsentieren und sich dementsprechend nicht provozieren lassen sollten“, was der deutschen Polizei aber wohl entgangen ist.

Leider ist dies nicht das erste Mal, dass ungarische Fußballfans in Deutschland als Sicherheitsrisiko dargestellt werden.

Im vergangenen März wurde ein Zug ungarischer Fans auf dem Weg zum Spiel Ferencváros-Leverkusen von der deutschen Polizei an der österreichisch-deutschen Grenze mit der Begründung gestoppt, der Zug stelle eine Bedrohung für Deutschland dar. Der Ungarische Fußballverband, das Auswärtige Amt und die MÁV mussten effektiv zusammenarbeiten, damit der Zug nach einer zweistündigen Zwangspause seine Fahrt fortsetzen konnte. Letztendlich kam es während des Spiels zu keinem Zwischenfall, was jedoch in den deutschen Zeitungen nicht berichtet wurde.

Die deutsche Polizei hielt ungarischen Fan-Zug auf dem Weg zum Spiel Ferencváros-Leverkusen fest
Die deutsche Polizei hielt ungarischen Fan-Zug auf dem Weg zum Spiel Ferencváros-Leverkusen fest

Die Polizei behauptete, dass aufgrund dessen, was sie in Videos und Bildern gesehen hat, der Zug eine Bedrohung für Deutschland darstelle.Weiterlesen

Die deutsche Fußballnationalmannschaft hat früher bereits eine politische Botschaft an die Ungarn gesendet, obwohl Politik im Sport nichts zu suchen hat. Bei der Europameisterschaft 2021 hat sich der Europäische Fußballverband (UEFA) geweigert, für die Spiele der deutschen und der ungarischen Nationalmannschaft regenbogenfarbene Beleuchtung im Fußballstadion Allianz Arena in München zuzulassen. Der deutsche Weltmeister-Torwart Manuel Neuer hat deshalb die deutsche Trikolore- durch eine Regenbogen-Armbinde ersetzt. Die Deutschen verteilten außerdem 12.000 Regenbogenfahnen an die Fans, und zu Beginn des Spiels rannte ein Fan auf das Spielfeld und schwenkte eine Regenbogenfahne. Euronews berichtete nach dem Spiel, dass viele Zuschauer im Münchner Stadion ebenfalls Regenbogenfahnen trugen, um gegen  das Gesetz der ungarischen Regierung, das von den Mainstream-Medien als Anti-Homosexuellen-Gesetz bezeichnet wurde,  zu protestieren.

Der Deutsche Fußballbund hat am Mittwoch bekannt gegeben, dass die deutsche Nationalmannschaft beim Eröffnungsspiel gegen Schottland am Freitag und beim Spiel gegen die Schweiz am kommenden Sonntag das gewohnte weiße Trikot tragen wird, beim Spiel gegen Ungarn in Stuttgart in einer Woche jedoch das Auswärtstrikot, dessen Farbe in den sozialen Medien für Kontroversen gesorgt hat.

 

Sieh dir diesen Beitrag auf Instagram an

 

Ein Beitrag geteilt von adidas Berlin (@adidasberlin)

Wir überlassen es unseren Lesern zu beurteilen, ob die Wahl des Trikots gegen die ungarische Nationalmannschaft eine weitere politische Botschaft ist, aber eines ist sicher: Die deutsche Nationalmannschaft muss sich keine Sorgen mehr machen, da die Allianz-Arena mit Regenbogenlichtern beleuchtet wird – die UEFA hat grünes Licht für den 22. und 23. Juni gegeben.

Während die deutsche Polizei die Teilnahme Ungarns an der Europameisterschaft mit einem scheinbar politischen Ansatz begleitet, bereitet sich die ungarische Nationalelf in Allgäu auf ihr erstes Gruppenspiel gegen die Schweiz am Samstag vor. Der positive Empfang der Nationalmannschaft in Deutschland durch die Einheimischen lässt hoffen, dass die Ungarn nach den Leistungen der Mannschaft bei der Europameisterschaft und der tatsächlichen Einstellung der Fans beurteilt werden und nicht nach der negativen Stimmung, die im Lande gegen sie provoziert wird.

Ungarns Nationalmannschaft an ihrem Stützpunkt im Allgäu angekommen
Ungarns Nationalmannschaft an ihrem Stützpunkt im Allgäu angekommen

Die Ankunft der ungarischen Nationalelf war ein großer Moment im Leben des Dorfes Weiler im Allgäu.Weiterlesen

Beitragsbild: Facebook/Carpathian Brigade ’09