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Ungarischer Biologe Vilmos Csányi: „Ich bin mir sicher, dass die Hunde früher oder später sprechen werden”

Ungarn Heute 2022.02.20.
FIZETŐS

Ein renommierter Wissenschaftler, ein vielseitiger, immer noch aktiver und humorvoller Mann, dessen Liebe zu Tieren und insbesondere Hunden unbestritten ist. Vilmos Csányi, der berühmte Hundeforscher und mit dem Széchenyi Preis ausgezeichnete Universitätsprofessor, wird dieses Jahr 87 Jahre alt. Er ist Begründer der ethologischen Forschung und Bildung in Ungarn und darüber hinaus auch als Schriftsteller bekannt. Er hat über fünfzig Bücher (wissenschaftliche Fachliteratur, Lehrbücher, und in den letzten Jahren auch Belletristik) geschrieben, und die Geschichten seiner eigenen Hunde (Bukfenc, Jeromos und Janka) sind in breitem Kreis bekannt. Seine Bücher wurden in mehrere Sprachen, auch ins Deutsche übersetzt. Auf die Frage, wann Hunde tatsächlich sprechen können, hat Csányi eine merkwürdige Antwort gegeben.

Obwohl Csányi seine Karriere als Chemiker begann, wandte sich sein Interesse bald der Biochemie zu, wo seine mikrobiologischen Forschungen ihm ermöglichten, seine Kenntnisse der Chemie mit denen der Biologie zu verbinden. Wie er sagte: Sein Beruf war die Chemie, aber sein Hobby die Edelfischzucht. Dies alles ist kein Zufall, da er ja schon als Kind die Tiere leidenschaftlich liebte. Der elterliche Garten zu Hause sah wie ein kleiner Zoo aus: Dort es gab Turteltauben, Fische, Katzen, Hunde, Hasen, Frösche und sogar auch einen Falken.

Nach seinem Studium begann der Professor zuerst an der Budapester Medizinischen Universität (heute Semmelweis Universität), dann an seinem ehemaligen Studienort, an der Eötvös Lorand Universität (ELTE) zu arbeiten. Später ging er in die USA und verbrachte dort zwei Jahre.  Während seines dortigen Aufenthalts – bei dem er unter anderem an der Universität Harvard studierte – lernte er die Ethologie kennen.

Fact

Die Ethologie etablierte sich ab den 1930-er Jahren als eigenständige Forschungsrichtung. Sie ist folglich ein Teilgebiet der Zoologie und eine Nachbardisziplin der Psychologie, die sich mit der Untersuchung und experimentellen Analyse des Verhaltens der Tiere unter natürlichen Bedingungen befasst.

Nach seiner Heimkehr nach Ungarn fing Vilmos Csányi an, wieder an der ELTE zu arbeiten. Anfang der 70-er Jahre wurde er mit dem Aufbau des dortigen Labors für Verhaltensgenetik beauftragt, und dann zum Professor ernannt. In den darauffolgenden Jahren fokussierte er sich auf die Forschung des tierischen und menschlichen Verhaltens, beschäftigte sich mit dem Problem der Gehirnfunktion und mit Fragen der biologischen und kulturellen Evolution.

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Die Studie der Abteilung für Ethologie der ELTE, die in der Fachzeitschrift NeuroImage veröffentlicht wurde, ist die erste ihrer Art, die zeigt, dass ein nicht-menschliches Gehirn zwischen zwei verschiedenen Sprachen unterscheiden kann.Weiterlesen

Durch seine Tätigkeit an der Universität spielte er eine entscheidende Rolle bei der Gestaltung und Konsolidierung der Ethologie, eines der jüngsten Gebiete der modernen Biologie in Ungarn.

Seine ethologischen Forschungen begann er mit der Untersuchung südasiatischer Tomatenfische und fand einen Mechanismus, der den Lernprozess mit einem Hauptstimulus verbindet.

Er schuf die kognitive Ethologie.

Fact

Als kognitive Ethologie wird das vergleichende, evolutionäre und ökologische Erforschen des Geistes von Lebewesen, ihrer Denkprozesse, Absichten und Meinungen, ihrer Vernunft und Kognition sowie ihres Bewusstseins bezeichnet, das heißt die Anwendung von Theorien und Methoden der Kognitionswissenschaft im Bereich Verhaltensforschung.

Mit seiner Forschungsgruppe begann er schließlich auch mit Hunden zu arbeiten, die davor von den Ethologen ignoriert worden waren, da man glaubte, die Hunde hätten kein natürliches Umfeld. Csányi war jedoch der Meinung, dass das natürliche Umfeld für Hunde, die vor mehreren zehntausend Jahren domestiziert wurden, die menschliche Welt ist.

Im Laufe ihrer Untersuchungen beobachteten sie die Erscheinungen, die sich mit der traditionellen Ethologie nicht erklären ließen. Wie Dr. Csányi sagte, Hunde verhielten sich wie kleine Kinder, nicht wie Tiere. Sie spekulieren und haben unterschiedliche Beziehungen zu verschiedenen Menschen.

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Seiner Meinung nach wissen Hunde alles, was ein nicht sprechendes, aber intelligentes dreijähriges Kind weiß. „Sie können sogar erstaunlich komplexe Dinge verstehen. Wenn ich zu einem Kind, das mir eine Banane ans Ohr hält, sage: „Komm, wir telefonieren mit Mama“, dann versteht es ab einem gewissen Alter, was ich will, und lässt sich auf das Spiel ein.“

„Wir haben einen Test auch mit einem Behinderten-Begleithund und seinem Besitzer durchgeführt“ – erzählte Dr. Csányi weiter. „In der Wohnung des Herrchens gab es ein Funktelefon und eine TV-Fernbedienung, die beide einen bestimmten Platz hatten, und der Hund wusste genau, welcher Gegenstand das Telefon und welcher die Fernbedienung war; und welchen er zu seinem Herrchen bringen musste, wenn er darum gebeten wurde. Ich hatte mal die Bitte, dass das Funktelefon versteckt wird und nur die Fernbedienung dableiben soll. Der Besitzer musste dann den Hund bitten, ihm das Funktelefon zu bringen. Und was machte der Hund? Da die Sachen nicht an ihrem Platz waren, ging der Hund los, um sie zu suchen, ging durch die Dreizimmerwohnung, schaute sich alles an, kam zurück, wurde wieder weggeschickt, ging wieder weg. Als er aber das zweite Mal zurückkam, schaute er nur noch auf die Fernbedienung. Wir schickten den Hund ein drittes Mal weg, der dann nach der Fernbedienung griff, gab sie aber dem Besitzer nicht, sondern legte sie auf den Telefonhörer und begann erneut das Telefon zu suchen. Aber dieses Mal suchte er nicht so gründlich wie in den ersten beiden Fällen, kehrte schnell zurück und übergab das „Funktelefon“ triumphierend seinem Besitzer. Also machte er ein Telefon für sich selbst. Diese Situation ähnelt dem Spiel mit der Banane. Ich behaupte nicht, dass jeder Hund sich so etwas ausdenken kann; Fakt ist aber, dass es bei einigen Hunden möglich ist.“

Auf die Frage, ob die Kooperationsbereitschaft die Fähigkeit ist, die einen Hund dem Menschen ähnlich macht, sagte Csányi: „Ich glaube, ja. Mit genügend Zeit und Aufmerksamkeit kann man einem Hund eine Menge beibringen. Besonders beeindruckend ist in diesem Zusammenhang die Fähigkeit zur Kontrolle und zur Übertragung der Kontrolle. Bei Blindenführhunden ist dies sehr deutlich: Der Hund versteht den Unterschied sehr gut, wann er sein Herrchen zu führen hat, und in welchem Fall er von seinem Besitzer geführt wird. Während der Führhundehalter als Navigator die Orientierung behält, sorgt der Hund als Pilot für das sichere Unterwegssein seines Besitzers. Weiter hilft der Hund dem Klienten beim Auffinden von wichtigen Zielen im Alltag.  Der Blinde kennt das Ziel und der Hund hilft, sicher dorthin zu gelangen. Aber wenn der Hund seinen Besitzer zurückzieht, bevor er über den Zebrastreifen geht, weil ein verrückter Autofahrer kommt, trifft er die Entscheidung und hat er die Kontrolle. Wenn sie dann den Zebrastreifen überqueren, kann er die Führung an seinen Besitzer zurückgeben. Kein anderes Tier kann das. Tieren kann beigebracht werden, die Führung zu übernehmen, oder – wenn es nötig ist – geführt zu werden. Nur der Hund ist fähig, diesen Wechsel zwischen Kontrolle und Kontrolliert- werden zu erlernen.

Und es ist auch menschlich, denn in menschlichen Gemeinschaften neigen wir dazu, die Kontrolle abzugeben oder zu übernehmen, wenn wir zusammenarbeiten. Die komplizierte menschliche Zusammenarbeit ist dadurch möglich, dass wir uns um des gemeinsamen Ziels willen solchen Kleinigkeiten unterwerfen können. Das ist vielleicht sogar noch wichtiger als das Reden.

Csányi‘s Forschungsteam ist es gelungen zu beweisen, dass auch der Hund ein mögliches Studienobjekt sein kann. 2009 wurde ein vierseitiger Bericht über seinen Lehrstuhl in der renommierten amerikanischen Wissenschaftszeitschrift Science veröffentlicht, in dem das neue Fachgebiet der kognitiven Ethologie (mit anderen Worten: Ethologie des Geistes) anerkannt wurde. Heute gibt es Dutzende von Labors im Ausland, die seine Methodik zur Untersuchung von Hunden einsetzen.

Laut Vilmos Csányi könnte die Untersuchung von Hunden – die in menschlichen Gemeinschaften leben, und (noch) nicht sprechen können, aber an gemeinsamen Aktionen mit Menschen teilnehmen und mit Menschen kooperieren – zum Verständnis der Evolution der menschlichen Kommunikation beitragen.

Und bezüglich Sprachfähigkeit der Hunde sagte Csányi aus tiefster Überzeugung: „Ganz genau weiß ich nicht, wann Hunde tatsächlich sprechen werden. Es gibt immer noch Vieles, was wir noch nicht kennen. Aber ein wenig Genetik und ein paar weitere Jahrzehnte und er wird sicherlich sprechen können“ – meint der Ethologe.

Quellen: Quelle: https://divany.hu/vilagom/dr-csanyi-vilmos-interju/, https://www.origo.hu/tudomany/20200509-csanyi-vilmos-szechenyidijas-biologus-etologus-85-eves.html, https://divany.hu/vilagom/dr-csanyi-vilmos-interju/, Friderikusz Podcast, Titelbild: MTI – Mohai Balázs