Unsere Schwesternseite „Hungary Today“ hatte die Gelegenheit, György Habsburg (Georg von Habsburg), den neu ernannten ungarischen Botschafter in Frankreich, zu interviewen – unter anderem sprach er über die Vergangenheit und Gegenwart seiner Familie, die Herausforderungen und guten Erfahrungen in seiner neuen Position, das Coronavirus und Politik, seine nationale Identität als Mitglied einer multinationalen Dynastie und natürlich, seine Beziehung zu Ungarn.
Vor kurzem war der 100. Jahrestag von dem Versuch Ihres Großvaters Karls IV auf den ungarischen Thron zurückzukehren. Wenn dies erfolgreich gewesen wäre, würde ich jetzt nicht mit dem Botschafter aus Paris sprechen… Haben Sie an dieses Jubiläum gedacht?
Eigentlich nicht. Von meinem Vater habe ich gelernt, realistisch zu sein. Wir haben nie daran gedacht, „was wäre, wenn” oder „was, wenn es anders passiert wäre”. Ich denke es ist auch nicht zweckmäßig so zu denken. Ich bin glücklicher mit Dingen, die sind, in der Gegenwart…Ich bin sehr froh, dass ich hier in Paris sein kann. Und was wäre wenn? Vieles hätte passieren können, es hätte viel schlimmere Dinge in der Geschichte geben können, wenn es anders gekommen wäre (der Rückkehrversuch). Doch dieses „wenn” wird immer da sein.
Haben Sie in ihrem Familienkreis über den Rückkehrversuch gesprochen, sich daran erinnert?
Ja, wir haben darüber gesprochen. Mein Cousin Eduard von Habsburg, ungarischer Botschafter im Vatikan, hat eine detaillierte Zusammenfassung der Ereignisse erstellt, im Internet geteilt, und an die Familie geschickt. Ich habe mich sehr gefreut, dass er alle Informationen gesammelt hat, die er über den Tag des Rückkehrversuchs gefunden hat. In dieser Form erinnerten wir uns daran. Leider konnten wir wegen des Coronavirus kein größeres Gedenken oder Treffen abhalten. Nur über das Internet blieben wir in Kontakt.
Wenn es keine Coronavirus-Epidemie gegeben hätte, wären sie dann zusammengekommen? Soweit ich weiß, halten sie manchmal große Familientreffen ab, bei denen sich Habsburger aus aller Welt versammeln.
Tatsächlich haben wir ein oder zwei kleine Treffen pro Jahr, aber die ganze Familie kommt selten zusammen, da fast 500 Mitglieder auf der ganzen Welt verstreut sind.
Vor allem gerade jetzt wäre das nicht erlaubt. (lacht) Leider hatten wir aufgrund des Virus seit langem keine Gelegenheit mehr, ein Familientreffen abzuhalten.
Waren Sie überrascht über die Anfrage zum Botschafter?
Es war eine sehr positive, angenehme Überraschung. Die Arbeit des Botschafters selbst ist für mich nicht neu, da ich diese bereits 1996 begonnen habe, als ich zum reisenden Botschafter ernannt wurde. Ich hatte diesbezüglich viele diplomatische Aufgaben. Aber die Einladung nach Paris war eine sehr angenehme Überraschung, die ich mit großer Freude sehr gerne angenommen habe.
War es nicht überraschend, dass Sie gerade nach Paris gerufen wurden? Wäre für einen Habsburger nicht die Position des österreichischen oder spanischen Botschafters passender gewesen?
Natürlich hätten mehrere Länder in Frage kommen können, doch ich habe während der kurzen Zeit, seitdem man mich ernannt hat, festgestellt, dass Paris und Frankreich eine sehr gute Entscheidung waren.
Auch hier hat man dies sehr positiv aufgenommen: Politiker, Journalisten, Personen des öffentlichen Lebens, die ich unter den gegebenen Einschränkungen getroffen habe, in einer Videokonferenz oder bei einem Telefongespräch. Daran habe ich auch gesehen, dass es eine gute Entscheidung war, nach Paris zu gehen.
In den ungarischen Nachrichtenportalen erschienen auch Stimmen, die sich nicht darüber gefreut haben, dass ein Habsburger als Botschafter in Paris auftritt, aufgrund von historischen Konflikten.
Ich habe das weder gesehen noch erlebt. Viele haben sogar bemerkt, wie gut es ist, dass ich gekommen bin. Natürlich konnte man auf Internetseiten negative Meinungen bei den Kommentaren lesen. Es gab einen Artikel auf der Seite des Figaros, auf der 65 Kommentare eingingen, und die Mehrheit davon positiv war, mit ein oder zwei kritischen Beiträgen. Diese wurden schließlich von der Presse aufgegriffen. Doch was ich erlebe, ist Freude und Erwarten darüber, wie ich die Beziehung beider Länder stärken kann. Als ich mein Beglaubigungsschreiben an Staatspräsident Macron übergeben habe, war er überaus freundlich zu mir.
Demzufolge gibt es die einstige Rivalität zwischen den Habsburgern und den Franzosen nicht mehr?
Historische Streitigkeiten…das ist Vergangenheit.
Zwischen meiner Familie und Frankreich gibt es viele positive Beziehungen. Mein Vater [Otto von Habsburg] hat in Frankreich, in Lothringen, geheiratet, und diese Gegend steht meiner Familie besonders nahe.
Später arbeitete er im Europäischen Parlament mit Verbindung zu Frankreich, befasste sich mit frankophonen Fragen und pflegte engen Kontakt zu den französischen Mitgliedern im Parlament. Meine Großmutter [Zita Bourbon-Pármai, Frau von Karl IV] stammt aus der Bourbon Familie, daher habe ich hier in Frankreich auch Verwandte. Ich denke, es verbindet uns mehr mit Frankreich als es uns trennt. Ja, im Laufe der Geschichte hat es Konflikte gegeben, aber ich denke, dass die Gegenwart viel wichtiger ist als die Vergangenheit, damit sollte man sich lieber beschäftigen.
Wie sieht der Tag eines Habsburger Botschafters in Paris aus?
Aufgrund des Coronavirus sind meine Tage zurzeit sehr einseitig, da wir gerade einen Lockdown haben. Als ich hier ankam, durfte man ab 18 Uhr bis morgens 6 Uhr die Wohnung nicht verlassen, zum Glück haben sie es jetzt geändert auf 19 Uhr. Dies schränkt natürlich die Planung des Tages und die Aufgaben eines Botschafters sehr ein. Veranstaltungen, Konferenzen, Versammlungen an Nationalfeiertagen finden nicht wirklich statt, oder nur virtuell. Aber es gibt jeden Tag Treffen im Parlament, in der Nationalversammlung, im Senat, oder ich gebe Interviews mit Journalisten. Ansonsten bin ich von 9-17 Uhr im Büro… Es gibt viel Papierkram, den man auch erledigen muss. (lacht)
Was für Pläne haben Sie als Botschafter?
Meine Pläne sind nicht besonders, ich bin hier, und wie alle Botschafter vertrete ich Ungarn, ich baue Beziehungen auf, das ist meine Aufgabe. Ich versuche, so viele Menschen wie möglich zu treffen, die mir Fragen stellen können. Ich im Gegensatz erkundige mich nach der Situation in Frankreich. Ich zeige, was in Ungarn passiert.
Wenn es offene Fragen in Bezug auf das Land gibt, beantworte ich diese Fragen und schicke die Informationen dann nach Hause. Und natürlich helfe ich bei den bilateralen Beziehungen.
Man hält die Politik der ungarischen Regierung in Westeuropa für ziemlich rebellisch, rebellisch wie die Kuruzen, weshalb die Beurteilung auch nicht gerade positiv ausfällt. Wie ergeht es Ihnen, unter diesen Umständen die ungarischen Interessen zu vertreten?
Das ist für mich sehr einfach, weil ich lange Zeit in Ungarn gelebt habe.
Da ich sechs Sprachen spreche, lese ich auch viel ausländische Publikationen, so weiß ich genau, was man über das Land schreibt, wo die kritischen Punkte liegen, womit Ungarn gerade angegriffen wird.
So habe ich die Möglichkeit, als Antwort darauf meine Erfahrung zu teilen und die wahre Situation aufzuzeigen. Ich kann erklären, was in Ungarn passiert, im Moment zum Beispiel im Zusammenhang mit der Impfstrategie gegen COVID-19. Da ich aus Ungarn hier angekommen bin, ist das so viel einfacher.
Leider beziehen sich die Journalisten sehr oft nur auf andere Journalisten und nicht auf die tatsächliche Situation vor Ort. Genauso holen sich die hier lebenden Menschen die Informationen aus den Zeitungsartikeln. Ich wiederum kann mit ihnen die Dinge teilen, die ich selbst erlebt habe.
Wie unterscheidet sich Ihrer Meinung nach die Realität in Ungarn mit den Informationen die in der französischen Presse erscheinen?
Leider stellen wir regelmäßig fest, dass die französische Presse wiederholt Themen anspricht, die längst überholt sind. Dies ist zum Beispiel der Fall bei dem Gesetz über die Transparenz ausländisch unterstützter Organisationen, welches die Europäische Kommission veranlasste, die Angelegenheit an den Europäischen Gerichtshof zu verweisen. Das Urteil hat Ungarn voll und ganz respektiert und das Gesetz zurückgenommen. Trotzdem sehen wir bis heute, dass einige Zeitungsartikel unter anderem behaupten, dass die Rechtsstaatlichkeit in Ungarn aufgehört hat zu existieren, obwohl die Aufhebung des Gesetzes genau das Gegenteil erklärt: Die Rechtsstaatlichkeit in Ungarn funktioniert sehr gut.
Andererseits bezieht die französische Presse Informationen über Ungarn meist einseitig aus denselben Quellen. Natürlich gibt es seltene Ausnahmen, aber die meisten von ihnen sind Oppositionspolitiker, Analysten oder regierungskritische Journalisten, die die aktuellen Ereignisse in Ungarn nur aus ihrer eigenen Sicht präsentieren.
Es ist kein Problem, wenn diese Akteure in einem französischen Zeitungsartikel erscheinen, aber in unserem Interesse wäre es besser, wenn die Leser sich ein umfassendes Bild über die Fälle machen könnten, wenn neben regierungskritischen Stimmen und Stimmen der Opposition auch der Standpunkt der ungarischen Regierung gezeigt wird.
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Lassen Sie uns ein wenig über Ungarn sprechen – und ich würde auf die Beziehung zwischen Vergangenheit und Gegenwart zurückkommen. Am 15. März teilten Sie einen Post zum Gedenktag. Ist es als Habsburger nicht seltsam, dass Sie an eine Revolution gegen Ihre Familie gedenken?
Ich lebe seit 1989 in Ungarn und gedenke seitdem jedes Jahr an den 15. März. Ich habe schon damals sehr deutlich gemacht, dass ich kein Problem mit der Revolution habe.
Wir sprechen hier über eine gemeinsame Geschichte. Das muss man akzeptieren.
Eine bedeutende Rolle in der Revolution spielte die nationale Identität, die Ungarn wollten keinen gemeinsamen Herrscher.
In der Tat, aber ich denke, dass es ohne die Revolution keinen Kompromiss gegeben hätte, was unglaublich wichtig war. Danach, mit dem Jahrtausendwechsel, folgte ein wirtschaftlicher Aufschwung: dem Bau der schönsten Gebäude, dem Ausbau der „Milleniums-U-Bahn“ und der Infrastruktur der Stadt.
Alles das, welches der schönste Teil unserer gemeinsamen Geschichte ist, wäre ohne die Revolution von 48-49 nicht möglich gewesen. Natürlich hat alles positive und negative Seiten.
Aber ich denke, die Beziehung zwischen Ungarn und der Habsburger Familie ist wie eine lange Ehe… In einer Ehe gibt es gute Momente, aber eben auch Konflikte. Die Geschichte muss als Ganzes gesehen werden. Aber wir können sehen, dass, seitdem mein Vater am 15. März Ehrenbürger in Gyula wurde, es wirklich keine Probleme mehr gibt.
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Sie haben erwähnt, dass Sie seit langem in Ungarn leben und Ihre Familie sehr international ist. Was ist Ihre nationale Identität? Ungarisch? Österreichisch?
Für mich ist das ganz klar, ich habe in meinem Leben mehr Zeit in Ungarn verbracht als irgendwo anders. So kann man sehen, wo ich meinen Fokus in meinem Leben gesetzt habe. Ich habe dort geheiratet, meine Kinder sind da geboren und auch zur Schule gegangen.
Ungarn ist das Zentrum meines Lebens.
Fehlt es Ihnen nicht, jetzt da Sie in Frankreich sind?
Aber natürlich sehr. Meine Frau ist in Ungarn geblieben, weil Sie dort ihr Reitzentrum aufgebaut hat, wo viele Kinder reiten und sie mit Therapien Kindern mit Behinderung helfen kann. Die Pferde hätte man nicht aufladen und mitnehmen können. Das ist etwas, was sie aufgebaut hat und nicht zurücklassen wollte, also blieb sie. Aber Paris ist nicht so weit. Ohne Coronavirus gibt es viele Möglichkeiten sich zu treffen, wir sprechen viel über Video mit meiner Frau und meinem Sohn. Eine meiner Töchter ist sogar hier, die andere studiert in Spanien.
In Ungarn gibt es eine Art „Habsburger Nostalgie”. Das kommt vielleicht daher, dass wir zwei Habsburger Botschafter haben. In Österreich hingegen sieht man das weniger. Obwohl da das Zentrum der Familie war, wurde sie bis in die 1960er Jahre aus dem Land verbannt.
Ja, das fällt sehr auf. Die Beziehung zwischen der Habsburger Familie und dem ungarischen Staat ist viel normaler und enger als mit dem österreichischen Staat. Das Zusammenleben ist in Ungarn irgendwie einfacher
Leider war es in Österreich auch früher sehr schwierig, da die österreichische Regierung sehr stark gegen die Familie Habsburg vorging, was in Ungarn nicht geschah.
Das ist seltsam, denn die Familie Habsburg ist in Österreich überall vorhanden, hinter jedem Gebäude steckt ein Stück unserer Geschichte, sie bauen darauf ihren Tourismus auf
Wir sagen immer, dass die Beziehung zu den lebenden Familienmitgliedern nie wirklich eng war, sie konzentrierten sich lieber auf unsere Geschichte. Gerade deshalb ist in Ungarn das Zusammenleben einfacher – und es ist für beide Seiten effektiv.
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Spielen wir ein Gedankenexperiment: János Áder wird bald seine Amtszeit als Staatspräsident beenden. Haben Sie darüber nachgedacht oder kam mal zur Sprache, dass die nächste Position, in der wir Sie sehen, die Position des Präsidenten von Ungarn ist? Es wäre interessant, wieder einen Habsburger in einem hohen Amt zu sehen.
Ehrlich gesagt, nein, niemals. Und ich glaube nicht einmal, dass es später zur Sprache kommen wird. Obwohl in den 90er Jahren darüber gesprochen wurde im Zusammenhang mit meinem Vater und er sehr deutlich abgelehnt hat und sagte, dass sein Platz in den europäischen Institutionen ist, dass er dort für Ungarn arbeiten möchte. Und er hat es sehr gut gemacht. Ich sage noch einmal, dass ich nicht denke „hätte ich”, oder „was wäre wenn”. Ich bin jetzt sehr glücklich, hier in dieser Position und in diesem Moment, was anderes möchte ich nicht.
(geschrieben von Fanni Kaszás – Hungary Today, übersetzt von Katharina Haffner, Titelbild: MTI)