Unter dem Titel Chinese Job veröffentlicht die linksliberale italienische Tageszeitung La Repubblica einen Online-Artikel über Chinas Rolle in der europäischen Wirtschaft. Ungarn wird darin als Trojanisches Pferd Pekings in Europa beschrieben.
„Des einen Freud ist des anderen Leid“, dieses Sprichwort bietet sich an, wenn von erfolgreichen Geschäften eines x-beliebigen Landes mit dem Reich der Mitte die Rede ist. Es gibt nämlich – auch wenn man es ungern zugibt – einen scharfen Wettbewerb unter den europäischen Volkswirtschaften: Der fernöstliche Wirtschaftskoloss ist für das eigene Wirtschaftswachstum schlichtweg unumgänglich und das gilt auch für die Industrienationen, die sich gerne als Moralwächter aufspielen und Ländern wie Ungarn China-Hörigkeit und zynisches Desinteresse angesichts der Menschenrechtslage in der Volksrepublik vorwerfen.
So überrascht es nicht, dass nach Deutschland nun auch Italien, derzeit die achtgrößte Volkswirtschaft der Welt, mit „brennender Sorge“ und Argusaugen die Wirtschaftsbeziehungen eines Landes beobachtet, das von führenden italienischen Oppositionspolitikern als zweitrangig apostrophiert wurde. Die Handelsbilanz Italiens mit China betrug 2022 57, 5 Mrd. Euro, in Ungarns Fall hingegen 12 Mrd. USD. Aber die Politiker des Partito Democratico bezogen sich leider nicht auf die Wirtschaft, in der das kleine mitteleuropäische Land tatsächlich in einer anderen Liga spielt.
Die Journalisten der La Repubblica, einer Zeitung, die diesen politischen Kreisen nahesteht, wittern in allen möglichen Bereichen krumme Geschäfte zwischen dem Land an der Donau und der asiatischen Großmacht: in der Textilindustrie, die vor allem in Mittelitalien fest in chinesischer Hand ist, deren Gewinne angeblich an Mittelsmänner in Ungarn zwecks Steuerhinterziehung weitergeleitet werden, in der Logistik, einem Bereich, der offensichtlich eine offene Wunde nicht nur für die Niederlanden ist, wo die mit chinesischer Finanzierung modernisierte Eisenbahnverbindung Athen-Skopje-Belgrad-Budapest die Waren aus dem Fernen Osten in die Mitte Europas befördern wird, und in der Hochschulbildung, wo in Hinblick auf die Fudan-Universität, die in Budapest entstehen soll, die Kommunismus-Keule geschwungen wird.
Der italienische Beitrag malt den chinesischen Teufel an die ungarische Wand und passt damit haargenau zum mittlerweile gewohnten Narrativ des „unzuverlässigen Landes“: Zur Abwechselung ist es nicht Russland, dessen fünfte Kolonne oder trojanisches Pferd Ungarn sein soll, sondern eben die Volksrepublik China.
Eine völlig andere Einschätzung kommt indessen aus Ungarns und Italiens gemeinsamen Nachbarland Slowenien. Ein erfolgreicher Unternehmer im Bereich der Lebensmittelindustrie bescheinigt Ungarn, der einzige EU-Mitgliedsstaat zu sein, der sich der chinesischen Vorherrschaft in seiner Industrie ansatzweise widersetzt. Silvo Pečjak ist der Meinung, dass jedes Land die Selbstversorgung in der Ernährung anstreben soll. Das, was die Trump-Regierung in die Wege geleitet hat, nämlich die Produktion in das eigene Land zurückzuverlegen, sollte auch die Europäische Union tun.
Ungarn als trojanisches Pferd Chinas oder als einsamer, taktischer Kämpfer für einen größeren Spielraum gegenüber der Volksrepublik. Wie so oft, ist die Wirklichkeit unendlich vielschichtiger, als uns so manche Journalisten der Mainstream-Presse glauben lassen wollen.
Beitragsbild: Bernie Reisen Facebook