Ein liberaler Autor sagt ein weiteres Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn durch die Europäische Kommission voraus, während ein regierungsnaher Kommentator die Entscheidung der Regierung begrüßt, eine Presseschau von Budapost.
Nachdem der Europäische Gerichtshof entschieden hatte, dass das Verwahren von Asylsuchenden in Transitzonen entlang der Südgrenze Ungarns einer Inhaftierung gleichkomme und als solches über die ersten vier Wochen hinaus unrechtmäßig sei (siehe BudaPost vom 18. Mai), hat die ungarische Regierung beide bestehenden Zentren geschlossen. Ihre Insassen wurden mittlerweile in Aufnahmezentren im Landesinneren verlegt. Lediglich vier der Asylsuchenden befinden sich noch in Gewahrsam, während sich die übrigen über 280 Personen frei bewegen können. Die überwältigende Mehrheit bisheriger Asylbewerber der Jahre 2015 und 2016 war schließlich nach Österreich weitergereist. Ab sofort, so kündigte es die Regierung an, werde Ungarn Asylanträge nur noch über seine im Ausland befindlichen Konsulate entgegennehmen. In seinem regelmäßigen Radiointerview am Freitagmorgen erklärte Ministerpräsident Viktor Orbán, seine Regierung schütze Europa und nicht nur Ungarn selbst vor illegalen und unerwünschten Migranten.
Auf Index zitiert László Arató eine verbindliche EU-Richtlinie, die die Mitgliedsländer der Union verpflichtet, Migranten an Grenzübergängen die Beantragung von Asyl zu gestatten. Insofern ist sich der Autor sicher, dass die Reaktion der Regierung auf das Gerichtsurteil ein weiteres Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission und damit eine weitere Klage vor dem Europäischen Gerichtshof nach sich ziehen werde. Arató beschreibt die Maßnahmen der Regierung als „Slalom durch die europäischen Rechtsvorschriften“, vermutet aber, dass neue bereits in Arbeit seien, denn die Europäische Kommission bereite die Herausgabe von überarbeiteten Standards für eine gemeinsame EU-Migrationspolitik vor.
In einem Leitartikel für Pesti Srácok begrüßt Tamás Pilhál die Schließung der Transitzonen. Er begründet dies damit, dass der Europäische Gerichtshof Ungarn gar keine andere Möglichkeit mehr gelassen habe – sofern es nicht praktisch jeden aufnehmen wolle, der seine Grenzen zu überschreiten gedenke. Es sei praktisch unmöglich, Massen von Einwanderern auszuweisen, obwohl ihre Anträge gewöhnlich vorhersehbar abgelehnt würden. In jedem Falle würden nahezu alle von ihnen in Westeuropa landen. Pilhál erwähnt auch ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, das die Anklage, Asylsuchende würden sich in den Transitzonen in Haft befinden, abgewiesen habe. „Es muss eine seltsame Regel geben, derzufolge im Falle der Existenz zweier einander widersprechender Urteile über Ungarn das weniger günstige gilt“, moniert Pilhál.
(via Budapost, Beitragsbild: MTI/ Sándor Ujvári)