In Österreich wird von Politik und Medien häufig ein negatives Ungarn-Bild vermittelt. Warum diese negative Wahrnehmung besteht, versuchte die Freunde von Ungarn Stiftung – Herausgeber von Ungarn Heute und unserer Schwesterseite Hungary Today – am Freitag bei einer Diskussion in der Ungarischen Botschaft in Wien zu beantworten. Bei der Veranstaltung mit dem Titel „Mit Ungarn über Ungarn Reden“ sprach Bence Bauer, Direktor des Deutsch-Ungarischen Instituts für Europäische Zusammenarbeit des Matthias Corvinus Collegiums mit Ágoston Sámuel Mráz, dem Direktor des Nézőpont-Instituts über kontroverse Themen im Zusammenhang mit Ungarn und gab dem Publikum Gelegenheit, Fragen zu stellen.
Die Veranstaltung, die mit freundlicher Unterstützung der ungarischen Botschafterin in Wien, Edit Szilágyiné Bátorfi, organisiert wurde, wurde von E. Sylvester Vizi, Präsident der Stiftung Freunde von Ungarn, eröffnet. Er erinnerte daran, dass die Freunde von Ungarn Stiftung mit dem Ziel gegründet wurde, „die Öffentlichkeit wertorientiert, aber objektiv über die Ereignisse aus Ungarn zu informieren und die einseitige Schilderung, das einseitige Bild über uns, über die Magyaren, und die Falschmeldungen einiger Medienorgane, die in der westlichen Presse zu lesen sind, zu korrigieren und die Wahrheit für jeden verständlich zu machen“. E. Sylvester Vizi äußerte die Hoffnung, dass im Rahmen der Veranstaltung viele Missverständnisse gelöst und viele Fragen beantwortet werden können.
Bence Bauer befragte zunächst Ágoston Samuel Mráz zum Rücktritt der ungarischen Staatspräsidentin, Katalin Novák, und dessen Folgen. Der Analyst erklärte, mit dem Rücktritt von Katalin Novák habe das Land eine begabte Politikerin verloren, aber in Kenntnis der Hintergründe sei der Rücktritt der einzig richtige Schritt gewesen. Seiner Meinung nach haben die Rücktritte von Katalin Novák und Justizministerin Judit Varga den Skandal um eine frühere Amnestie – bei der ein Mann, der wegen der Vertuschung mehrerer pädophiler Vorfälle in einem ungarischen Kinderheim verurteilt wurde, und von Präsidentin Novák begnadigt wurde – ein Ende gesetzt.
Er erinnerte an ein Interview János Áders im Kossuth-Radio, in dem der ehemalige Staatspräsident sagte, dass sich die Regeln des Begnadigungsverfahrens seit der Wende nicht geändert haben.
Der ehemalige Staatschef betonte, dass es sich um ein zweistufiges Verfahren handelt, so dass kein Minister, kein Regierungsmitglied, kein Premierminister und keine externe Person außer dem Justizminister ein Mitspracherecht im Begnadigungsverfahren hat.
„In zehn Jahren hat der Ministerpräsident nicht ein einziges Mal ein Gnadengesuch gestellt oder mir auch nur eine Frage zu einem Gnadenfall gestellt“, unterstrich János Áder. Nach Ansicht von Ágoston Sámuel Mráz wird in dem Interview auch deutlich, dass weder Ministerpräsident Viktor Orbán noch die Regierung in dem Begnadigungsfall Verantwortung tragen.
In dem Gespräch wurde auch die Frage angesprochen, warum die westliche Presse ein sehr negatives Bild der ungarischen Politik zeichnet und warum die Ziele und die Kommunikation der ungarischen Regierung oft missverstanden werden. Der Direktor des Nézőpont-Instituts sieht einen Grund dafür darin, dass die alternative Denkweise über Politik, Werte, Christentum, Migration und natürlich Krieg, die die ungarische Regierung vertritt, für viele liberale Politiker verwirrend ist. Ein weiterer Grund sei, dass
die Sprache der ungarischen Politik eine völlig andere ist als die der politischen Korrektheit.
In Ungarn wird Politik laut, mit Emotionen, mit sprachlichen Attacken geführt, und das verstehen viele Europäer nicht mehr. Der dritte Grund ist seiner Meinung nach, dass niemand Ungarisch versteht, sie verstehen die Ironie der ungarischen Sprache nicht. In der ungarischen Sprache steckt hinter vielen harten Worten Ironie, aber wenn diese ins Deutsche oder Englische übersetzt werden, hat man oft inakzeptable, unqualifizierte Texte, die diese Schärfe in der ungarischen Sprache nicht haben. Außerdem wird das Phänomen Viktor Orbán im Westen auch nicht wirklich verstanden. Man versteht nicht, wie ein Ministerpräsident 14 Jahre lang im Amt sein kann und wie es möglich sei, dass, wenn am Sonntag Wahlen stattfinden würden, laut einer Umfrage des Nézőpont-Instituts die Fidesz und Viktor Orbán 50 Prozent der Stimmen erhalten könnten.
Bence Bauer befragte Ágoston Sámuel Mráz auch über das Wesen des ungarischen Modells. Der Analyst sagte, dass der erste Punkt die Vollbeschäftigung sei: 2010 habe die Regierung versprochen, 1 Million neue Arbeitsplätze zu schaffen, und es sei ihr gelungen. Jetzt gebe es eine neue Parole, 85 Prozent Beschäftigung zu erreichen, was bedeute, 300.000 weitere Arbeitsplätze zu schaffen. Der Regierung sei es nicht gelungen, den Bevölkerungsrückgang zu stoppen, was ein weiteres ihrer Ziele sei, und die Geburtenrate liege jetzt bei 1,5 in Ungarn, so der Direktor des Nézőpont-Instituts weiter. Als dritten Punkt nannte er die Schaffung von nationalem Kapital, das seiner Meinung nach in den letzten 14 Jahren geschaffen wurde. Der vierte Punkt sei, dass die Regierung Orbán in den letzten Jahren die ungarische Rüstungsindustrie aufgebaut hat, die 2010 noch gar nicht existiert habe, da sie nach der Wende vollständig abgebaut geworden sei. Schließlich erwähnte er die Migration, bei der die Regierung den Standpunkt vertritt, dass die illegale Migration gestoppt werden muss und dass es Sache der nationalen Behörden ist, zu kontrollieren, wer in das Hoheitsgebiet eines bestimmten Staates einreisen darf. Der Analyst erinnerte daran, dass die Regierung deswegen in Brüssel auf viele Schwierigkeiten gestoßen sei.
Sámuel Ágoston Mráz merkte ironisch an, dass er heute aus dem Westen die Meinung höre, Ungarns Migrationspolitik sei in Ordnung, aber die Regierung hätte sich nicht so „böse“ ausdrücken dürfen. Diese westliche Anerkennung sei eine Kehrtwende in Europa. Seiner Meinung nach müsse die Regierung darauf hinarbeiten, dass diese Wende zu einem politischen Wandel in Brüssel führt und dass man versteht, dass die Migrationspolitik nach ungarischem Vorbild geführt werden sollte.
Der Analyst geht davon aus, dass im Sommer nach der Europawahl ein völlig neues Europa entstehen wird.
Die große Herausforderung für Viktor Orbán wird sein, einer der Entscheidungsträger und Regierenden in Europa zu werden. Wenn ihm das gelingt, wäre das ein starkes Signal, dass eine Wende in der Migrationspolitik notwendig sei. Auf die EP-Wahlen angesprochen, erinnerte Ágoston Sámuel Mráz daran, dass die ungarische Position darin bestehe, dass das EP nicht direkt gewählt werden solle, sondern dass die nationalen Parlamente ihre Vertreter entsenden sollten, wie es zwischen 1958 und 1979 üblich gewesen sei. Nach Ansicht des Analysten ist dieser Vorschlag von Viktor Orbán ein Gegenpol zum liberalen Mainstream, eine taktische Überlegung, mit dem Ziel, einen Kompromiss in der Mitte zu finden. Das Ziel der Regierung könnte sein, eine gemeinsame Reflexion über die Rolle des Europäischen Parlaments anzustoßen, merkte er an.
Auf die Frage einer Journalistin antwortete Ágoston Sámuel Mráz, dass
Viktor Orbán am 1. Februar zwar in Europa isoliert zu sein schien, aber mit einigen sehr wichtigen Ergebnissen nach Hause zurückgekehrt sei.
Das erste sei die Entscheidung des Europäischen Rates, dass die Europäische Kommission objektiv über die EU-Fonds entscheiden muss. Das zweite sei, dass dem ungarischen Premierminister versprochen wurde, dass die Fidesz-Partei der EKR-Gruppe beitreten kann, betonte der Analyst. Nach 2021 habe es den Anschein gehabt, dass die Beziehung zwischen Giorgia Meloni und Viktor Orbán nicht so vertauensvoll sei, wie zuvor angenommen, erinnerte er. Aber seit September letzten Jahres habe sich die Situation geändert und die Politiker haben begonnen, wieder gemeinsam über Europa nachzudenken. Ob dieses gemeinsame Nachdenken in der EKR-Fraktion oder in einer neuen Partei nach der Europawahl stattfinden wird, bleibt abzuwarten. Der Analyst erinnerte daran, dass es neue Kandidaten gibt, die an einem Beitritt zu einer neuen Partei interessiert sein könnten, wie etwa die Französin Marine Le Pen. Sámuel Ágston Mráz geht davon aus, dass nach den Wahlen auf der europäischen Bühne etwas Neues entstehen wird, das nach der EVP und den Sozialisten zur drittgrößten Partei auf der europäischen Bühne werden könnte. Wenn Le Pen, Meloni und Orbán sich zusammenschließen, könnte eine solche Partei nicht mehr von der europäischen Entscheidungsfindung ausgeschlossen werden, hob er hervor.
Der Analyst wurde auch nach der Situation der Ungarn in Transkarpatien und der Politik der Regierung gegenüber den ungarischen Minderheiten in der Ukraine gefragt. Ágoston Samuel Mráz erläuterte, dass in Transkarpatien nicht mehr 156.000 Ungarn leben, wie es in der Erhebung von 2001 angegeben wurde. Es gibt keine offiziellen Zahlen über die genaue Anzahl, aber der Direktor geht davon aus, dass es aufgrund des Krieges, den die ungarische Minderheit nicht als ihren eigenen empfindet, 100.000 weniger sein könnten. Außerdem führte Ungarn 2010 die doppelte Staatsbürgerschaft ein, erinnerte er. Dies war eine Gelegenheit für die Ungarn aus Transkarpatien, nach Ungarn, in die EU zu kommen. Ihre Verbindung zu Transkarpatien blieb jedoch erhalten und die Möglichkeit der Rückkehr war gegeben. Durch den Krieg besteht diese Möglichkeit jedoch nicht mehr, so dass
diese Menschen zu Unrecht den Ort verlieren, den sie tausend Jahre lang ihre Heimat nannten,
so Ágoston Sámuel Mráz. Aus diesem Grund bemüht sich die ungarische Regierung um einen Ausgleich mit der ukrainischen Regierung, die nach seiner Einschätzung schwierig sein wird. Er erinnerte daran, dass im Januar ein Treffen der ungarischen und ukrainischen Außenminister stattfand, um ein Treffen der Ministerpräsidenten der beiden Länder vorzubereiten. Nach Ansicht des Direktors würde ein Ausgleich bedeuten, dass die ukrainische Regierung akzeptiert, dass die ungarische Minderheit eine Bereicherung für das Land ist, und dass sie die Rechte, die diese Minderheit vor 2015 hatte, wiederherstellt.
Beitragsbild: Ungarn Heute