Seit 1083, als der erste König der Ungarn István (deutsch: Stephan; vor der Taufe hieß er Vajk) heiliggesprochen wurde, ist der 20. August für die Ungarn ihr ganz besonderer nationaler Feiertag. Der Heilige Stephan war im hohen Mittelalter einer der markantesten Herrscher Europas. Zum Tag des Heiligen Stephan und dessen Bedeutung für das nationale Selbstverständnis der Magyaren und Ungarns mitteleuropäische Einbettung hielt Honorarkonsul von Ungarn für Südtirol und Trentino vor in Bozen versammelten Ungarn die folgende Begrüßungsrede.
Der erfolgreiche Weg, den der kluge Stephan konzeptionell in Richtung Europa einschlug, ist zu einem guten Teil seinem Vater GÉZA zu verdanken. Sowohl der Árpáden-Großfürst Géza, als auch einige Magnaten, also Hochadelige, trugen dank ihrer Orientierung an und Verbindung nach Byzanz Stephans Bestreben gewiss mit, die Ungarn in die christliche Gemeinschaft zu führen.
Seinerzeit existierten in Europa zwei kirchliche und zwei weltliche Machtzentren, wovon eines Byzanz war. Bysanz war nicht nur politisch und militärisch eine Weltmacht, sondern zugleich das geistig-spirituelle Zentrum des östlichen, des orthodoxen christlich-kirchlichen Ritus. Hingegen repräsentierte das Heilige Römische Reich Deutscher Nation aufgrund der vom Papst dem damals bedeutendsten westlichen Herrscher, dem Franken-König Karl (Carolus magnus/Charlemagne/Karl dem Großen) übertragenen Reichsgewalt – die sogenannte „Translatio Imperii – „nur“ die weltliche Macht, die indes bis ins Spätmittelalter auf das engste mit Rom als der geistlich-kirchlichen Macht im Westen verbunden blieb.
Schon Großfürst Géza und Adelige seiner weitreichenden Familie sowie einige Magnaten erkannten, dass es, um den Fortbestand ihres Landes und des Ungarntums zu sichern, notwendig sein würde, Land und Volk in die Gemeinschaft der Christen einzugliedern. Sie ließen sich nicht nur in Byzanz taufen, sondern begünstigten auch die Gründung eines Klosters in Ungarn nach christlich-orthodox –byzantinischem Ritus in Szávaszentdemeter (in der heutigen Vojvodina; serbischer Ortsname: Sremska Mitrovica; deutscher Ortsname: Syrmisch Mitrowitz).
Doch entscheidend für die Zukunft der Ungarn war die Taufe Vajks als István/Stefan durch den römisch-katholischen Prager Bischof Adalbert sowie schließlich die Eheschließung Stefans mit der bairischen Prinzessin Gisela, einer Schwester des späteren Kaisers Heinrich II.
Damit war die Orientierung Ungarns nach Westen endgültig festgelegt.
In der Gefolgschaft Giselas kamen nicht nur viele römisch-katholische Geistliche ins Ungarland, sondern auch Händler, Handwerker und Ritter. Darunter waren die Gebrüder Hont (Hunt) und Pázmány (Pazman) aus einem schwäbischen Adelsgeschlecht. Sie bewährten sich als zuverlässige Stützen Stefans, fungierten als Heerführer bei dessen Kämpfen gegen die paganische (heidnische) Opposition und stellten ihre organisatorischen Fähigkeiten auch beim unerlässlichen Aufbau des ungarischen Staatswesens zuverlässig unter Beweis.
István / Stephan nahm seinen Titel „Apostolischer König“ sowie die Krone weder vom deutschen, noch vom byzantinischen Kaiser an, sondern mit Zustimmung Kaiser Ottos III. vom Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche, Papst Silvester II. Damit machte Stefan István sowohl seine eigene Souveränität, als auch Ungarns Zugehörigkeit zum Westen deutlich. Damit setzte er aber auch ein unübersehbares symbolisches Zeichen für die Unabhängigkeit und Eigenständigkeit Ungarns. Gleichwohl schuf er die rechtlichen, gesellschaftlichen und kirchlichen Grundlagen für die territoriale und geistig-geistliche Inkorporation Ungarns in das westliche Europa. Von alldem rührt seine weltweit anerkannte geschichtliche Bedeutung als Gründer des ungarischen Staates her.
Ungarn trug wesentlich zur Renaissance, zur Reformation und zur Aufklärung bei und erbrachte mit kulturellen Meilensteinen bedeutende Beiträge zum europäischen Kulturgut.
Ich greife die „Goldene Bulle“ von 1222 heraus, dank König Andreas II. die erste schriftlich niedergelegte Verfassung in Europa (nach der englischen „Magna Charta“ von 1215). Und mit der Erklärung von Torda (1568; auch „Edikt des Landtags von Thorenburg“) über die Gewissens- und Religionsfreiheit war Ungarn weltweit Vorreiter. ( „Das größte Geschenk Gottes ist der Glaube an Gott“ war der Leitspruch des dort wirkenden und daran mitwirkenden siebenbürgischen Unitarier-Bischofs Ferenc Dávid ; seit 1920 gehört Torda als Turda zu Rumänien.)
1848 war es auch in Ungarn – wie in anderen Ländern Europas – Ziel des geistigen und bewaffneten Kampfes der Revolutionäre, den Absolutismus durch konstitutionelle Monarchie zu ersetzen sowie die Gesellschaft rechtlich umzustrukturieren. Mit dem Aufstand gegen die stalinistisch-bolschewistische Tyrannei 1956 haben die Ungarn ihre Opferbereitschaft für ihre Freiheit wieder unter Beweis gestellt. Mit der Grenzöffnung für die DDR-Deutschen 1989 bewiesen sie, dass sie nicht allein für die eigene Freiheit und den eigenen Wohlstand, sondern auch für das Wohlergehen ihrer Mitmenschen einzustehen bereit sind und dafür Risiken einzugehen. Die weit überwiegende Mehrheit der Ungarn hat immer wieder aus dem Erbe und dem Geist des Heiligen Stefan/István Kraft geschöpft und damit gezeigt, dass Volk und Staat der Ungarn fest in christlichen Werten verankert sind.
Die mumifizierte rechte Hand mit der geballten Faust Stefans des Heiligen steht für Kraft und Entschlossenheit des Einsatzes für christliche Werte, für Volk und Land. Nicht zuletzt wegen der Botschaft, die aus dieser Symbolik spricht, wird der Schrein mit der darin befindlichen rechten Hand an SEINEM TAG , dem 20 August, in feierlicher Prozession verehrt.
Die Prozession findet in der Hauptstadt die Ungarn statt.
Tausende und abertausende Gläubige nehmen daran teil, darunter eine große Zahl von Angehörigen anderer Konfessionen als der römisch-katholischen.
Liebe Damen und Herren,
ich bin überzeugt davon, dass diese und ähnliche Zusammenkünfte auch in der Zukunft dazu Anlass bieten, das Zusammengehörigkeitsgefühl der Magyaren aus Ungarn und Ländern, in denen sie als nationale Minderheit daheim sind und nun in Südtirol leben oder als Saison-Kräfte tätig sind, zu fördern sowie die Wahrung ihrer Identität zu verstärken.
(Die Rede wird am 20. August 2019, am ungarischen Nationalfeiertag vom Honorarkonsul von Ungarn für Südtirol und Trentino – einem Rechtsanwalt, früheren langjährigen Vorsitzenden der Südtiroler Volkspartei (SVP) und ebenso langjährigen Parlamentarier in Rom, Dr. Siegfried Brugger – vor in Bozen versammelten Ungarn gehalten.)