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Die FDP und die Wiederauferstehung

Enikő Enzsöl 2017.09.19.

Deutsche Parteien und Politiker wurden von dem ungarischen Nachrichtenportal Mandiner vor der Bundestagswahl aufgesucht, um mit denen über deutsche und internationale Politik und über Ihre künftigen Pläne zu sprechen. Der AfD-Politiker und Philosoph Marc Jongen wurde im Interviewreihe von zwei FDP-Politikern – Christoph Meier (C.M.) Berliner Spitzenkandidat der FDP und Dr. Marcus Faber (M.F.) FDP-Kandidat auf Listenplatz zwei der Landesliste Sachsen-Anhalt – gefolgt. Die auf dem Portal in ungarischer Sprache erschienenen Interviews wurden von Gergő Kereki in deutscher Sprache parallel, unabhängig voneinander, über dieselben Themen geführt.

Christoph Meier Berliner Spitzenkandidat der FDP (Foto: fdp.de)

FDP verfehlte zum letzten Mal den Einzug in den Bundestag. Aber jetzt sind Sie populär, Sie haben laut Umfragen zirka 8-10 Prozent. Woraus kommt diese Popularität? Wie konnte FDP wiederauferstehen?

C.M.: Bei uns Liberalen in Deutschland gibt es einen kleinen Witz: Nur zwei Institutionen haben wirklich Erfahrung mit der Wiederauferstehung: die katholische Kirche und die FDP.

Seit 2013 ist viel passiert. Wir haben uns als Partei erneuert und setzen in diesem Wahlkampf auf Themen, die die Menschen interessieren. Digitalisierung, beste Bildung für jeden und das Versprechen, dass man durch eigene Leistung vorankommen kann – das sind unsere Schwerpunkte. Die deutschen Wähler haben keine Lust mehr auf eine Große Koalition, die das Land nur verwaltet statt Zukunft zu gestalten. In der politischen Mitte unseres Landes ist viel Platz für eine Partei, die für Freiheit, Selbstbestimmung und die Stärke des Rechts steht.

M.F.: Wir haben aus unseren Fehlern gelernt und uns als Partei neu erfunden. Der Bürger hat uns 4 Jahre Bildungsurlaub verordnet und diese haben wir genutzt. Wir Freie Demokraten haben uns personell, vom Auftritt und von der Kommunikation her verjüngt. Als Mitmachpartei werben wir mit flachen Hierarchien und ergebnissoffenen Diskussionen. Statt zu belehren wollen wir in das Gespräch kommen.

Was bedeutet Liberalismus heute in Deutschland? Die deutsche Gesellschaft ist schon liberal, die konservativen Parteien wagen sich nicht, konservativ zu sein. Was ist nun Ihre Botschaft? Was sind Ihre Themen? Was sind Ihre Ziele?

C.M.: Es stimmt: Deutschland steht heute gut da. Wir leben in einem freien Land, in einem geeinten Europa und umgeben von Freunden und Partnern. Aber kein Land und keine Regierung ist so gut, dass man sich auf dem Erreichten ausruhen kann. Auch in Deutschland gibt es noch viele Aufgaben, die wir abarbeiten müssen. Die Chancen der Digitalisierung für Wirtschaft und Verwaltung habe ich schon genannt. Wir wollen es Start-ups und jungen Unternehmen leichter machen, ihre Ideen bei uns zu realisieren. Deutschlands wichtigster Rohstoff ist die Bildung und Ausbildung unserer Kinder. Darum wollen wir hier deutlich mehr Geld investieren.

M.F.: Liberalität ist kein Zustand – er ist ein Prozess. Die offene liberale Gesellschaft ist immer bedroht, heute etwa wenn wir uns die Debatten um die Gleichberechtigung Homosexueller, die Umsetzung der Religionsfreiheit für Moslems und Juden oder die Privatsphäre der Bürger bei der Telekommunikation ansehen. Freiheit ist nie erreicht. Der Kampf für die Freiheit endet nicht.

Wer sind die potentiellen Wähler der FDP?

C.M.: In Europa gibt es einen Begriff, der im Zusammenhang mit uns Deutschen häufig verwendet wird: German Angst. Damit wird die vielen Deutschen eigene Zurückhaltung und Skepsis gegenüber Neuem und Ungewohntem beschrieben. Dieser Einstellung setzen wir unseren German Mut entgegen. Wir bieten den Menschen eine Politik, die offen ist für Innovation und Fortschritt. Wir wollen neu denken, Probleme angehen und sie – manchmal auch unkonventionell – lösen. Für jeden, der einen solchen Politikansatz unterstützt, der genug hat von German Angst, für denjenigen sind wir die richtige Partei. Und das ist völlig unabhängig von Alter, Geschlecht, sozialer oder regionaler Herkunft.

M.F.: Wir Freie Demokraten wenden uns an das ganze Volk. Besonders populär sind wir derzeit bei jungen Menschen und der arbeitenden Bevölkerung. Traditionell konnten wir auch bei Rentnern auch sehr gut abschneiden.

Dr. Marcus Faber FDP-Kandidat auf Listenplatz zwei der Landesliste Sachsen-Anhalt (Foto: fdp.de)

Was ist Ihre Grundbotschaft für die deutschen Wähler?

C.M.: Denken wir neu. Haben wir den Mut, alte Pfade zu verlassen und die sich uns bietenden Chancen zu ergreifen.

M.F.: Wir sagen: Denken wir neu!

Der Spitzenkandidat von FDP Christian Lindner kritisiert die Flüchtlingspolitik und die Energiepolitik der Kanzlerin zwar gelegentlich, aber daraus ergibt sich nicht, dass er mit der Amtsinhaberin keine Koalition eingehen würde. Im Gegenteil: Seine jüngsten Äußerungen zu außenpolitischen Fragen legen den Schluss nahe, dass er sich seine Zukunft als Außenminister in einer schwarz-gelben Koalition vorstellen kann. Was sind die Koalitionschancen? Würden Sie mit CDU eine Koalition bilden?

C.M.: Ich kenne keine Äußerung von Christian Lindner, in der er sich eine Zukunft als deutscher Außenminister ausmalt. Bei der Bundestagswahl treten wir als eigenständige Partei mit eigenen Ideen und Konzepten an. Wir sind unabhängig, frei und wollen für uns das beste Ergebnis bei den Wahlen erreichen. Nach der Wahl werden wir uns das Ergebnis anschauen, die Ergebnisse der anderen Parteien bewerten und dann sehen, ob sich die Frage einer Regierungsbeteiligung überhaupt stellt. Nur weil eine Koalition mit CDU und CSU eventuell möglich sein wird, heißt das noch lange nicht, dass wir ein solches Bündnis auch unbedingt schließen. Für uns kommt es ganz maßgeblich darauf an, in welcher Konstellation wir das Meiste aus unserem Programm und das Beste für unser Land umsetzen können.

M.F.: Die FDP streitet für ihre Inhalte – für ihr Programm. Nur wenn wir diese in einer Koalition umsetzen können, würden wir eine rechnerisch mögliche Koalition eingehen. Ob es rechnerisch für Schwarz-Gelb oder für Schwarz-Gelb-Grün reicht wissen wir am Abend des 24.9. Eine automatische Koalition leitet sich daraus nicht ab.

Was denken Sie über Migration? Seit 2015 können wir über eine Zuwanderung von 1,2 Millionen Migranten nach Deutschland sprechen. Christian Lindner hat gesagt, dass alle Flüchtlinge zurück müssen da es kein Menschenrecht gibt, sich seinen Standort auf der Welt selbst auszusuchen.

C.M.: 2015 sind deutlich weniger Flüchtlinge nach Deutschland gekommen, als ursprünglich angenommen. Laut amtlicher Statistik waren es 890.000 Schutzsuchende. Für uns Freie Demokraten ist Asyl ein Menschenrecht und nicht verhandelbar. Wie Sie richtig sagen, gibt es allerdings kein Menschenrecht darauf, in dem Land zu leben, in dem man will. Daher hat Christian Lindner richtigerweise gesagt, dass Kriegsflüchtlinge in ihr Land zurückkehren müssen, wenn dort wieder Frieden herrscht. Wir werben in Deutschland für ein modernes Einwanderungsgesetz nach kanadischem Vorbild. Deutschland ist seit vielen Jahren schon ein Einwanderungsland und unser Ziel ist es, die besten Köpfe zu uns zu holen. Das eröffnet auch legale Wege der Migration.

M.F.: Da hat Christian Lindner recht. Wir als Freie Demokraten stehen zum in unserer Verfassung verankerten Recht auf Asyl und Schutz vor Verfolgung. Wenn der Schutzgrund – wie etwa Bürgerkrieg – entfällt werden die Menschen wieder in Ihrer Heimat gebraucht um diese wieder aufzubauen. Dorthin müssen Sie dann auch zurückkehren.

Was denken Sie über die Europäische Union? Was ist Ihre Meinung über die heutige Lage in Europa?

C.M.: Die Europäische Union ist mehr als nur ein Friedensprojekt. Sie ist unsere einzige glaubhafte Antwort auf eine sich immer stärker vernetzende und globalisierte Wirtschaftsordnung weltweit. Keiner unserer Nationalstaaten würde hier alleine bestehen können. Eine Erfahrung, die unsere britischen Partner in den nächsten Jahren vermutlich machen werden. Die EU ist aber auch mehr als nur der Binnenmarkt. Sie ist eine Werte- und Verantwortungsgemeinschaft. Und diese gilt es zu schützen. Die EU ist nicht perfekt. Aber ich habe den Eindruck, dass wir an den richtigen Stellen Reformen eingeleitet haben. Wir haben beispielsweise den Außengrenzschutz gestärkt und die Wirtschafts- und Währungsunion krisenfester gemacht. Derzeit läuft der Diskussionsprozess zur Zukunft Europas. Auch hier gilt, was ich vorhin schon mit Blick auf Deutschland gesagt habe: Kein Land und keine Regierung ist so gut, als dass sie sich auf dem Erreichten ausruhen könnte. Das gilt auch für die Europäische Union.

M.F.: Zur Europäischen Union gibt es keine realistische Alternative. Alle europäischen Nationen – auch Deutschland – sind zu klein, um allein in einer globalisierten Welt zu bestehen. Bei allen Defiziten, die die EU noch hat: Sie ist ein Friedensprozess der europäischen Integration. Es gibt Rückschläge und es gibt Umwege, aber wir Freien Demokraten werden weiter daran arbeiten sie mit jedem Tag besser zu machen.

via mandiner.hu, Foto: fdp.nrw