Ungarn Heute hat Dr. habil. Imre Tóth, Historiker, den Direktor des Soproner Museums, über das Konzept des neu eröffneten Museumquartiers, die aktuellen und zukünftigen Ziele sowie über die deutschen Aspekte Soprons befragt.Weiterlesen
Im Dezember 2012 nahm das ungarische Parlament einen Antrag an, den 19. Januar zum Tag des Gedenkens an die Vertreibung der Ungarndeutschen zu erklären. Ungarn war damit der erste europäische Staat, der das Unrecht der Verfolgung der deutschen Minderheit in den Jahren 1946/1947 offiziell anerkannte.
Am 19. Januar 1946 verließ der erste Zug mit den aus ihrer Heimat vertriebenen Deutschen Budaörs. Die Zahl der aus den deutschsprachigen Siedlungen deportierten Menschen stieg bis 1947 auf 200.000. Die Deportierten nahmen nichts weiter mit als ein „kleines Bündel“, die Erinnerung an ihre verlorene Heimat und den festen Willen, nicht aufzugeben. Nach ihrer Ankunft in der Bundesrepublik Deutschland, der Deutschen Demokratischen Republik oder Österreich mussten sie ihr gesamtes bisheriges Leben neu organisieren.
In dem Erlass hieß es unter anderem: „Jeder ungarische Staatsbürger, der sich bei der letzten Volkszählung zur deutschen Nationalität oder Muttersprache bekannt hatte oder der seinen ungarisierten Namen wieder in eine deutsche Sprechweise umgewandelt hatte oder der Mitglied des Volksbundes oder eines bewaffneten deutschen Korps (SS) war, ist verpflichtet, nach Deutschland umzusiedeln“.
Grundsätzlich konnten diejenigen, „die sich zur ungarischen Nationalität bekannten, auch wenn sie deutschsprachig waren, von der Bestimmung ausgenommen werden, wenn sie glaubhaft nachweisen konnten, dass sie wegen ihrer ungarischen Volkszugehörigkeit verfolgt wurden“. Eine wichtige Bestimmung des Gesetzes lautete: „Das gesamte bewegliche und unbewegliche Vermögen der Umsiedlungspflichtigen, gleichgültig, ob sie im Inland oder außerhalb des Inlandes wohnen, gilt vom Tage des Inkrafttretens dieses Erlasses an als unter Verschluss, und der Eigentümer (Besitzer) darf nichts davon veräußern oder belasten“.
Im Zusammenhang mit der Volkszählung von 1941, auf die in der zitierten Rechtsvorschrift Bezug genommen wird, ist es wichtig zu betonen, dass sie in einem nach der territorialen Erweiterung vergrößerten Ungarn durchgeführt wurde. Damals gaben 303.000 Personen, die innerhalb der Landesgrenzen lebten, an, die deutsche Staatsangehörigkeit zu besitzen, während 477.000 Personen angaben, deutschsprachig zu sein. Dies deutet auf das ungewöhnliche Phänomen hin, dass sich ein erheblicher Teil der deutschen Bevölkerung – etwa ein Drittel – als ungarische Staatsangehörige, genauer gesagt als ungarische Staatsangehörige mit deutscher Muttersprache, fühlte. In diesem Zusammenhang ist es vielleicht ausreichend, zwei deutschstämmige ungarische Schriftsteller zu erwähnen, die sich zwischen den beiden Weltkriegen großer Beliebtheit erfreuten: der in Kassa geborene Sándor Márai (geb. Sándor Grosschmid) und der in der Vojvodina geborene Ferenc Herceg (geb. Franz Herzog), die nicht nur erfolgreiche Schriftsteller von bürgerlichem Zuschnitt, sondern auch Mitglieder der ungarischen Akademie der Wissenschaften waren.
Schließlich wurden zwischen 1946 und 1949 etwa 200.000 Deutsche aus Ungarn umgesiedelt. Die traurigste Folge der Verfolgung, Stigmatisierung und Deportation der deutschen Bevölkerung in Ungarn nach dem Zweiten Weltkrieg war jedoch, dass sich die Ungarndeutschen ihrer nationalen Identität schämten. Bei der Volkszählung von 1949 trauten sich nur etwas mehr als 20.000 Menschen, sich als Deutsche zu bezeichnen. Nach dem Sturz des staatssozialistischen Regimes hat sich die deutsche Gemeinschaft in Ungarn jedoch neu organisiert, und laut der Volkszählung vom letzten Jahr liegt die Zahl der ethnischen Deutschen in Ungarn jetzt bei über 140.000. Heute ist die deutsche Minderheit die einzige ethnische Minderheit in Ungarn, die sowohl bei den Wahlen 2018 als auch bei den Wahlen 2022 einen Abgeordneten, Imre Ritter, in die Legislative bringen konnte, und zwar mit einem Nationalitätsvorteil.
Um sich diesem dunklen Kapitel der ungarischen Geschichte zu stellen, stimmte das ungarische Parlament im Dezember 2012 einstimmig für einen Antrag, den 19. Januar zum Tag des Gedenkens an die Deportation der Ungarndeutschen zu erklären.
Jedes Jahr am 19. Januar finden in vielen deutschen Gemeinden Ungarns lokale Gedenkfeiern für die aus Ungarn vertriebenen deutschen Mitbürgerinnen und Mitbürger statt.
Wie das Generalkonsulat von Ungarn Stuttgart, erinnert auch Ungarn Heute mit einem Gedicht von Robert Becker, einem deutschen Dichter aus Ungarn, an die Opfer der Vertreibung:
Ungarndeutsche Ballade
ich will euch nun erzählen
von einem Volk die Mär
das runter ist gefahren
die Donau bis zum Meer
mit Hoffnung schwer beladen
die Seele tief gerührt
so zogen sie gen Süden
vom Kreuze angeführt
gefolgt sind sie dem Rufe
Land und Flur bebauen
das Ungarn neu zu jäten
Wildnis rauszuhauen
da drunten an der Donau
fing unser Schicksal an
betrübt ergriff es alle
bis auf den letzten Mann
erst kamen harte Jahre
wo Hunger uns gezählt
der Tod im blinden Gleichmut
hat viele ausgewählt
doch in des Herren Weinberg
gab es für uns Gnade
frohlockt hat jeder Winzer
wenn die Lese nahte
ruhmvoll wir hervorgebracht
der Gelehrten viele
edle Künste aller Zeit
waren uns’re Ziele
wir hielten auch zum Lande
stets treu und immerfort
doch mussten wir erfahren
hier stört das deutsche Wort
so sollten wir bald gehen
mit leerem Bündel aus
das Brot nicht mehr vertilgen
und lassen Hof und Haus
nur mancher blieb in Ungarn
ohne es verschuldet
Jahrzehnte sind vergangen
bis man jetzt uns duldet
die Alten sind schon rüber
es folgt kein neues Glied
gar einsam ist der Sänger
verstummen soll sein Lied
via konyvtar.parlament.hu, szegedma.hu; Beitragsbild: Fortepan