Viktor Orbán gab nach den Wahlen am Montag ein Fernsehinterview. Weiterlesen
Fidesz siegt souverän bei Kommunal- und Europawahlen, neue Oppositionspartei Tisza verdrängt die alten Oppositionsparteien. Eine Analyse von Bence Bauer, Direktor des Deutsch-Ungarischen Instituts für Europäische Zusammenarbeit.
Die Wahlbeteiligung von 59,26% bedeutet eine weitere Zunahme um 16 Prozentpunkte gegenüber der bereits bei der letzten Europawahl stark erhöhten Wahlbeteiligung. Damit kommt die Wahlbeteiligung sehr nahe an die auch aus Deutschland gewohnten Werte und es gingen in Ungarn erstmals mehr Leute wählen als etwa im Nachbarland Österreich. Das Interesse der Ungarn an Europa ist stark, was auch dieses Ergebnis eindrucksvoll unterstreicht. Die derzeit wichtigen Debatten um Europa betreffen auch die ungarischen Bürger, dementsprechend hoch gestaltet sich das Bedürfnis nach Mitsprache.
Bei den Europawahlen errang Fidesz-KDNP mit 2.015.792 Stimmen ein Rekordergebnis in absoluten Zahlen. Damit konnte das bisherige Rekordergebnis von 2019 von 1.824.220 Stimmen noch weit übertroffen werden. Aufgrund der gestiegenen Wahlbeteiligung verringerte sich das relative Ergebnis von 44,62% allerdings um knapp acht Prozentpunkte gegenüber dem Ergebnis von 2019. Damit erzielt das Wahlbündnis von Fidesz-KDNP elf Mandate, zehn davon gehen an die fraktionslose Fidesz, ein Parlamentarier wird für die KDNP in der Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) sitzen. Medienberichten zufolge plant Fidesz einen Beitritt zur Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer.
Die Partei von Péter Magyar (TISZA) konnte aus dem Stand mit 29,69% und 1.341.406 Stimmen einen großen Achtungserfolg für sich verbuchen und kann mit sieben Mandataren in das Europäische Parlament einziehen. Der Politikneuling ließ erkennen, dass er eine EVP-Mitgliedschaft anstrebe. Mit diesen Resultaten deklassiert die Bewegung von Magyar die bisherigen Oppositionsparteien, die hohe Wählerverluste zugunsten der TISZA hinnehmen mussten. Es ist ungewiss, ob die linken Parteien in dieser Form noch bestehen bleiben.
Der Führungsanspruch der Demokratischen Koalition (DK) ist schwer angeschlagen, die Partei vernichtend geschlagen. Der Formation des ehemaligen Ministerpräsidenten Ferenc Gyurcsány gelang es nur im Dreierbündnis mit der Ungarischen Sozialistischen Partei (MSZP) und den Grünen (PM) überhaupt auf 8,10% zu kommen. Die 366.082 Stimmen reichen nur für insgesamt zwei Plätze. Vor fünf Jahren hatten DK und MSZP noch vier, respektive einen Sitz. Damit ist die alte linke Opposition nur noch ein Schatten ihrer selbst.
Bei den Oberbürgermeisterwahlen in Budapest erzielte der Amtsinhaber Gergely Szilveszter Karácsony 47,53% der Stimmen, während Herausforderer Dávid Vitézy mit einem Abstand um Haaresbreite auf 47,49% kam. Der Stimmenunterschied betrug 324 Wähler, eine Neuauszählung soll das endgültige Ergebnis in den nächsten Tagen klären. Das Vabanquespiel, die Fidesz-Kandidatin im allerletzten Moment zurückzuziehen, ging für die bürgerlichen Regierungsparteien dementsprechend überraschend gut aus. Sie erzielten die meisten Stimmen im Budapester Gesamtstadtrat und kamen auf 28,69%, gefolgt von der TISZA-Partei mit 27,34% und dem linksgrünen Bündnis von Karácsony aus DK, MSZP und PM mit 16,62%. Vitézys Bündnis mit der rechtsgrünen LMP kam auf 10,15%, die Satirepartei „Ungarische Partei des zweischwänzigen Hundes“ (MKKP) auf 7,89%. Die liberale Partei Momentum verfehlte mit 4,98% denkbar knapp den Einzug in ihrer absoluten Hochburg Budapest. Sie lag nur 144 Stimmen unter der 5%-Hürde. Mit diesem Ergebnis verfügt keiner der eventuell Gewählten über eine Mehrheit und müsste sich wechselnde Mehrheiten suchen; mit welcher politischen Formation dies geschehen soll, bleibt völlig offen.
In den 25 großen Städten (Komitatsstädte) gewannen die Regierungsparteien 15 Bürgermeisterposten und die entsprechende Stadtratsmehrheit. In zehn Komitatsstädten wird es einen Bürgermeister der Opposition geben, drei von ihnen verfügen vermutlich aber über keine Stadtratsmehrheit. Damit haben derzeit gesichert nur sieben Bürgermeister der Opposition auch eine entsprechende Gestaltungsmehrheit inne – in den Städten Győr, Pécs und Szolnok müssen sie ohne Mehrheit regieren. Vor fünf Jahren betrug das Verhältnis bei diesen Städten 11:11:3. Damals gab es insgesamt 14 Fidesz-Bürgermeister und 11 seitens der Opposition. In drei Städten verfügte der jeweilige Fidesz-Bürgermeister über keine Stadtratsmehrheit, d. h. nur in elf konnte sich der Amtsinhaber von Fidesz auch auf eine bürgerliche Stadtratsmehrheit stützen. Fidesz verlor 2024 insgesamt drei große Städte (Győr, Nagykanizsa und Szolnok) und gewann vier (Baja, Eger, Miskolc und Salgótarján) hinzu. Bei der Wählerschaft der großen Städte konnten die Regierungsparteien die bisherige Pattsituation geringfügig zu ihren Gunsten verbessern. Dies deutet auf die starke Dominanz der Bürgerlichen auf dem Land hin, aber auch auf die Erschöpfungserscheinungen der Opposition. In den großen Städten war die TISZA-Partei überdies kommunalpolitisch inaktiv und konnte so keine Wähler mobilisieren, was sich auch auf die schlechteren Ergebnisse der Oppositionsparteien niederschlägt.
Auf dem Land gewann Fidesz-KDNP in 18 Komitatsversammlungen die absolute Mehrheit, nur im Komitat Pest verfehlten sie diese um zwei Mandate. In 16 Komitaten erzielte das Wahlbündnis auch absolute Stimmenmehrheiten, nur in drei Komitaten blieb es unter der 50%-Marke. Vor fünf Jahren hingegen lag das Bündnis überall über 50%. Auch auf dem Land herrschte große Unzufriedenheit mit der Opposition. Die bisherigen Oppositionsparteien kamen nur in fünf Komitaten auf den zweiten Platz, in 13 Komitaten rangierte stattdessen die rechtsradikale Formation „Unsere Heimat“ (Mi Hazánk) auf Platz 2. Während in Budapest die neue TISZA-Partei die Opposition in die Schranken wies, war dies auf dem Land also die rechtsradikale Partei „Unsere Heimat“.
Die Entwicklungen rund um die Kommunal- und Europawahlen haben in Ungarn ein politisches Erdbeben in den Reihen der Opposition verursacht. Die schon vor den Wahlen geäußerten Mutmaßungen, das Phänomen des Péter Magyar sage viel mehr über den Zustand der ungarischen Opposition aus als über den der Regierungsparteien, haben sich klar bestätigt. Die neue TISZA-Partei löst die altersschwache und wenig überzeugende Opposition aus postkommunistischen, linken, liberalen und grünen Parteien ab und will nun 2026 Fidesz-KDNP herausfordern. Die Regierungsparteien sind aber trotz Verlusten immer noch eine bestimmende Größe, die weiterhin das Heft des Handelns behalten. Viktor Orbán konnte die Krise zum Jahresanfang in einen großen Erfolg verwandeln.
Die vollständige Analyse von Bence Bauer ist auf der Webseite des Deutsch-Ungarischen Instituts für Europäische Zusammenarbeit hier zu finden.
Beitragsbild: Tamás Kovács/MTI