Ein(e) Ungar(in) zu sein ist eine Lebensweise, ein Zustand der Seele, der Jeden zu dem Land knüpft, sogar diejenige, deren Eltern bereits im Ausland geboren wurden – dies bekennen Personen, die im ersten und zweiten Band des Buches „Visszidensek“ (Heimkehrer) über ihr Ungarntum erzählen. Vier von ihnen kamen zu einer Veranstaltung, vom Donau-Institut in Budapest organisiert, um darüber zu sprechen, was es für sie bedeutet, ungarisch zu sein. John O’Sullivan, Präsident des Instituts würdigte die Arbeit der „Freunde von Ungarn Stiftung“, die bei der Initiierung des Projekts und bei der Veröffentlichung des Buches geholfen hat.
In den letzten 150 Jahren gab es viele Ungarn, die das Land verlassen haben – sagte Gábor Gyuricza, Erfinder der Buchreihe, der auch ein, in Brasilien geborener Ungar ist. Er fügte hinzu: viele Ungarn verließen ihre Heimat unter der Habsburger-Ära, dann in den 30er Jahren, zwischen 1945 und 1956, sowie nach dem EU-Beitritt, wegen politischen oder wirtschaftlichen Gründen. Die meisten wussten aber, dass sie einmal zurückkehren werden, wenn sich die Umstände verbessern. Infolgedessen bemühten sie sich, ihre Kultur und nationale Identität im Ausland zu bewahren. Es gibt aber auch solche, die schon zu der 2., oder 3. Generation gehören, doch wollten sie die Heimat ihrer Familie kennenlernen. Beide Bände des Buches enthalten je 12 Interviews, von dem Journalisten Péter Gyuricza geschrieben. Die Befragten verraten, wie sie oder ihre Vorgänger in Ungarn lebten, warum sie ausgesiedelt sind, wie weit sie vom Land entfernt geblieben sind und wie sie zurückgekehrt sind.
Antal Lipthay stammt aus einer alten adligen Familie, den Titel bekamen sie noch im 13. Jahrhundert, vom König Béla IV., der auch „den zweiten Staatsgründer“, genannt ist. Nach dem Einmarsch der sowjetischen Truppen wurde die Adelsfamilie verfolgt. Einige seiner Angehörigen wurden zwangsweise umgesiedelt, während andere ermordet wurden. Antal Lipthays Eltern flohen in die Niederlande, wo er später geboren wurde. Dann zog die Familie nach Chile. Nachdem Lipthay die Marketingbranche verlassen hatte, wurde er chilenischer Diplomat und arbeitete in Österreich und Rumänien. Nach dem kommunistischen Regimewechsel entschied er sich, nach Ungarn zurückzukehren, vor allem deswegen, weil seine Wurzeln zu dem Land 800 Jahre alt sind.
Erst mit 44 Jahren lernte er von seiner slowenischen Sekretärin Ungarisch. Er bekam auch seine ungarische Staatsbürgerschaft zurück, denn es wurde früher, als er noch ein Kind war, von den Kommunisten entnommen. Er hilft das Ungarntum im Ausland zu bewahren durch Wohltätigkeit und durch unterschiedliche gesellschaftliche Veranstaltungen. Er hofft, dass die Zeit der Wiedergeburt Ungarns gekommen ist. Seit seiner Kindheit hasst der Journalist Árpád Szőczi die Ungerechtigkeit. Sein Vater hat ihm sehr viel über Trianon erzählt, und darüber, wie die ungarischen Minderheiten in Rumänien unterdrückt waren. Der vater heiratete eine Österreicherin, und so erlernte Árpád Szőczi sowohl Deutsch als auch Englisch als Muttersprache. Ungarisch lernte er viel später, erst in seinem frühen Erwachsenenalter, mit Hilfe ungarischer Sportmagazinen. In den 80er Jahren organisierte er in Kanada mehrere Demonstrationen zum Schutz der ungarischen Minderheiten in Siebenbürgen und in der Slowakei. Später hatte er eine Schlüsselrolle bei der Vermittlung eines Interviews zwischen zwei kanadischen Journalisten und László Tőkés, dem reformierten Pastor von Temesvár darüber, wie Ceausescu die Ungarn in Rumänien unterdrückt. Monate später brach der Aufstand in Rumänien aus, dessen Ereignisse er später in einem Buch und in einem Film dokumentiert hat. Árpád Szőczi arbeitet gerade in Budapest bei dem staatlichen Sender MTVA, wo er die Nachrichten über Ungarn auf Englisch vermittelt. Er lebt zwei Wochen in Berlin und zwei in Budapest. Er ist dem Land, Kanada dankbar, dass er seine Familie angenommen hat, aber er möchte nicht zurückkehren. Er hat den „patriotischen Geist“ seines Vaters geerbt und will sich nach seiner Pensionierung in Ungarn niederlassen.
Er kehrte nach Ungarn nicht zurück, da er das Land nie wirklich verlassen hatte – erklärt der in Washington geborene Keve Papp. Als er ein Kind war, sagte ihm sein Vater oft: er könne in der Schule nur dann kämpfen, wenn seine Klassenkameraden über seine Mutter oder über sein Heimatland etwas „Unschönes“ sagen – damals stellte er noch die Frage, welche seine Heimat ist. „Ungarn“ – hieß die Antwort. Er organisierte in den USA eine ungarische Pfadfindertruppe, später besuchte er die Marineakademie. In den 80er Jahren arbeitete er als Journalist für den Economist und schrieb oft über die Veränderungen in Ungarn, weil er die Sprache konnte. Er erinnert sich noch daran, dass man damals davon überzeugt war: Wenn die sowjetischen Truppen das Land verlassen, erreicht Ungarn das Lebensniveau der Schweiz. Noch seine Großeltern haben das Land verlassen, seine Enkel werden aber schon in Ungarn geboren. Seine Kinder sprechen zu Hause nur ungarisch, denn in der Familie ist es „die Sprache der Liebe“.
Obwohl sein Name nicht ungarisch ist, ist Frido Diepeveen umso stolz darauf, dass er sich in dem Buch „Visszidensek“ vertreten konnte. Seine Familie stammt ebenfalls aus Siebenbürgen: die Großmutter musste nach dem Vertrag von Trianon aus dem neuentstandenen Rumänien fliehen. Sie verbrachte dann einige Monate in Budapest, dann zog in die Niederlanden. Sie heiratete einen Niederländer und lehrte ihrer Kinder die ungarische Sprache leider nicht. Ihr Enkelkind, Frido, verliebte sich während eines Urlaubs am Plattensee in die ungarische Zigeunermusik. Im Alter von sieben oder acht Jahren lernte er Geige spielen. Während seines Jurastudiums in Amsterdam reiste er häufig nach Ungarn, um seine Geigenstudien fortzusetzen. Dann folgte er der Rat eines seiner Mentoren: „nur dann kann er die Zigeunermusik perfekt beherrschen, wenn er versteht, worum es in den Songs wirklich geht“. Er fand Arbeit bei einer ungarischen Versicherungsgesellschaft und beherrschte die Sprache schon innerhalb von 6 Monaten. Um seine Liebe zu Ungarn zu bezeugen, trat er mit seiner Zigeunerkapelle bei der Veranstaltung des Donau-Instituts auf. Obwohl er nur zu 25 Prozent ungarisch ist, fühlt er sich hier zu Hause. Er sieht Ungarn als ein Land der Möglichkeiten und wenn er länger als zwei Tage nicht da ist, hat er gleich Heimweh.
„Und was habt ihr in dieser Zeit gemacht?“ – „Visszidensek 2.” („Heimkehrer“) – eine Buchvorstellung
(Geschrieben von Miklós Halász-Szabó. Ins Englische übersetzt von Katrina Hier, Via: hungarytoday.hu, Beitragsbild: Miklós Hajósi)