Kolumnisten aus der ganzen Breite des politischen Spektrums erörtern die Konsequenzen der Wahlen zum Europäischen Parlament auf die Politik Ungarns sowie der Europäischen Union in ihrer Gesamtheit. Presseschau von budapost.de.
Klarer nationaler Sieger der Europawahlen vom Sonntag ist der Fidesz mit 52,3 Prozent der abgegebenen Stimmen. Damit wird die Partei von Ministerpräsident Viktor Orbán 13 Vertreter ins Europäische Parlament entsenden. An zweiter Stelle rangiert die Demokratische Koalition mit 16,2 Prozent (vier Sitze im EP), gefolgt von Momentum (9,9 Prozent – zwei Sitze) sowie der MSZP und Jobbik (6,7 bzw. 6,4 Prozent und jeweils ein Sitz). Die Wahlbeteiligung lag bei 43,4 Prozent.
Attila Ballai von der regierungsnahen Tageszeitung Magyar Nemzet liest das Wahlergebnis als Beweis für die deutliche Dominanz des Fidesz beim Wahlvolk. Der Kommentator erinnert daran, dass die ungarische Regierungspartei mehr Stimmen erhalten habe als sämtliche Oppositionsparteien zusammen, die nur acht Abgeordnete ins Europäische Parlament entsenden würden. Ballais Erklärung für den erdrutschartigen Sieg des Fidesz: Die Regierungspartei verfüge über eine klare Vision „von einem Ungarn für die Ungarn und einem Europa für die Europäer“. Im Hinblick auf die Oppositionsparteien argumentiert Ballai, dass die Unterstützung für die Demokratische Koalition deswegen sprunghaft angestiegen sei, weil bei den Linken ausschließlich die Partei des ehemaligen Ministerpräsidenten Ferenc Gyurcsány mit einer klaren Vision habe aufwarten können.
Nach Ansicht von Sándor Faggyas hat die Europawahl die Machtposition Viktor Orbáns sowohl in Ungarn als auch auf dem gesamten Kontinent gestärkt. Die Wähler hätten den Ministerpräsidenten beauftragt, die ungarischen Interessen und die christliche Kultur auf der europäischen Bühne gegen „multikulturelle, die Einwanderung fördernde sowie imperiale sozialistisch-liberale Kräfte zu verteidigen“, schreibt Faggyas in der regierungsnahen Magyar Hírlap.
Gábor Miklósi vom Nachrichtenportal Index vermutet, dass Ministerpräsident Orbán trotz seines erdrutschartigen Sieges nicht ganz zufrieden sein kann: Populistische einwanderungskritische Parteien in Europa hätten weniger Sitze erhalten als von Orbán erhofft. Demzufolge dürfte ihre Macht innerhalb der EU kaum zunehmen, glaubt der liberale Kommentator. Aus diesem Grunde werde Orbán eine Entscheidung in der Frage der Mitgliedschaft in der Europäischen Volkspartei schwerfallen. Möglicherweise werde sich Orbán auf einen Kompromiss einlassen und innerhalb der mächtigen EVP bleiben, um abzuwarten, ob und wann „die Rechtsextreme in Europa“ weiter an Dynamik zulegen könne. Laut Miklósi kann sich der Ministerpräsident aber auch für ein Ausscheiden aus der EVP entscheiden. Dann könnte er seiner Machtbasis alle finanziellen Kürzungen und die Kritik seitens der EU als Beweis für die migrationsfreundliche und antichristliche Ideologie der Brüsseler Eliten erklären.
Die Wahl zum Europäischen Parlament habe die Machtverhältnisse auf der linken Seite neu geordnet, schreibt Péter Pető auf 24.hu. Der linksorientierte Kolumnist beobachtet, dass die Wähler der Opposition ihren traditionellen Parteien den Rücken zugekehrt und für die neuen, die Fidesz-Herrschaft entschieden ablehnenden Kräfte votiert hätten. Die MSZP, Jobbik sowie die LMP befänden sich „auf dem Weg ins Nirgendwo“, vermutet Pető. Was die umfassenderen Auswirkungen der Europawahlen auf die ungarische Politik betrifft, so vertritt der Autor die Ansicht, dass die Oppositionsparteien angesichts ihrer Ergebnisse die Bedingungen einer Kooperation bei den Kommunalwahlen im Herbst neu aushandeln müssten.
(Via: budapost.de, Beitragsbild: MTI – Tamás Sóki)