Der Regierung nahestehende Presseorgane empören sich über den Beschluss des Rechtsausschusses des Europäischen Parlaments, die Kandidatur von László Trócsányi für das Amt als Kommissar für Nachbarschaft und Erweiterung der Union nicht zu akzeptieren. Ein linksliberaler Kolumnist weist Erklärungsversuche des Ministerpräsidenten zum Geschehen zurück. Presseschau von budapost.de.
Im Verlauf der am Donnerstag erfolgten Anhörung von László Trócsányi hat der Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments Interessenkonflikte ausgemacht, die sich auf die politische Vergangenheit des ungarischen Kandidaten beziehen. Die entsprechende Erklärung wurde mit elf Ja- und neun Nein-Stimmen bei zwei Enthaltungen angenommen. Die designierte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat daraufhin den Ausschuss um nähere Ausführungen ersucht. In seinem üblichen, alle zwei Wochen stattfindenden Interview mit dem staatlichen Kossuth Rádió erklärte Ministerpräsident Viktor Orbán, dass es sich bei der Abstimmung um eine Reaktion migrationsfreundlicher Kreise auf die Rolle Trócsányis als Justizminister (zwischen 2014 und 2019) bei der Eindämmung der illegalen Masseneinwanderung handele.
In Népszava weist György Bolgár diese Darstellung des ungarischen Regierungschefs zurück. Vielmehr habe der Rechtsausschuss die Tatsache für nicht hinnehmbar erachtet, dass Trócsányi in seinen Jahren als Minister mit seiner Anwaltskanzlei in Kontakt geblieben sei, schreibt der linksliberale Kommentator. Zudem äußert er die Vermutung, dass die Ausschussmitglieder ihm die Verantwortung für dem Parlament zugeleitete Gesetzentwürfe zugewiesen haben könnten, „die es Asylbewerbern praktisch unmöglich machen, ihre Anträge in Ungarn bearbeiten zu lassen“.
Auf dem regierungsnahen Internetportal Pesti Srácok legt Szilveszter Szarvas nahe, dass die Mitglieder des Rechtsausschusses Einflüssen von Seiten oppositioneller Europarlamentarier aus Ungarn gefolgt seien. So hätten die Parlamentarier der Demokratischen Koalition ihnen ein vierseitiges Schreiben zugeleitet. In ihm werde Trócsányi vorgeworfen, für die „Beseitigung der Rechtsstaatlichkeit“ in Ungarn verantwortlich zu sein. Szarvas illustriert seinen Onlinebeitrag mit Fotokopien von Auszügen aus diesem Schreiben. Sie sollen beweisen, dass alle vier Punkte, in denen der Ausschuss Trócsányi dem Vernehmen nach für verantwortlich befunden hatte, aus der Feder linker Abgeordneter aus Ungarn stammen. In der Überschrift seines Artikels definiert Pesti Srácok den Brief als „Beweis“ für von oppositionellen Europaabgeordneten begangenen „Hochverrat“.
Magyar Nemzet wartet mit einer Erklärung der ehemaligen Anwaltskanzlei von Trócsányi auf. In ihr wird bestritten, dass Trócsányi der Kanzlei als Minister Aufträge zugeschanzt habe. Vielmehr habe er seine Beteiligung an der Firma verkauft. Darüber hinaus stamme der Vertrag zur Vertretung Ungarns in Angelegenheiten des Kernkraftwerks Paks II noch aus der Zeit vor seiner Ernennung zum Minister. Trócsányis einstige Kanzleikollegen hätten die Regierung gelegentlich rechtlich beraten – aber stets kostenlos, wird in der Erklärung abschließend betont.
Der regierungsnahe Analyst Miklós Szánthó beschreibt das Vorgehen gegen Trócsányi als „politische Hexenjagd“. Auf hirado.hu, dem Nachrichtenportal des staatlichen Rundfunks, äußert er die Vermutung, dass es darum gehe, nicht dem fortschrittlichen, migrationsfreundlichen Lager angehörende Politiker von der Europäischen Kommission fernzuhalten. Es sei doch eigenartig, dass der Rechtsausschuss, der in der Regel in Kandidatenangelegenheiten nur Briefe mit der EU-Kommission austausche, diesmal Trócsányi, aber weder die Kandidatin aus Frankreich noch den Kandidaten aus Belgien angehört habe, gegen die in ihren Herkunftsländern Anti-Korruptionsverfahren liefen. (Nach Auskunft der Webseite des Europaparlaments werden beide am 2. Oktober erst von den für ihr geplantes Ressort zuständigen Ausschüssen gehört. Trócsányi muss bereits einen Tag zuvor dem außenpolitischen Ausschuss Rede und Antwort stehen – Anm. d. Red.)
(Via: budapost.de)