Die ungarische Nationalversammlung hat am Dienstag die Istanbuler Konvention abgelehnt. 2019 forderte die EU alle Staaten auf, die das Übereinkommen noch nicht ratifiziert hatten, dies so bald wie möglich zu tun. Als Antwort erklärte die Regierung, dass die Konvention gegen das ungarische Grundgesetz verstoße und daher nicht ratifiziert werden könne. Dies war eine überraschende Wende, da das Dokument 2014 von einer Mehrheit der EU-Mitgliedsstaaten unterzeichnet wurde, darunter auch Ungarn. Dem ungarischen Parlament war es jedoch nie zur Ratifizierung vorgelegt worden. Gastartikel von Miklós Verseghi-Nagy. Übersetzt von Ungarn Heute.
In den späten 80ern, als ich an der Technischen Universität von Budapest studierte, hatte ich einen Lehrer für Philosophie, der einmal sagte, „99% der Streitigkeiten sind auf schlechte oder fehlende Definition von Begriffen zurückzuführen“. Diese Aussage fiel mir ein, als im ungarischen Parlament der Streit um die Istanbuler Konvention ausbrach.
Der Standpunkt der Regierung basiert auf dem Argument, dass der Konvent eine Geschlechterideologie enthält und dass „wir nicht beabsichtigen, ihn in die ungarische Gesetzgebung aufzunehmen“.
(Der „ideologische Ansatz“ der Konvention widerspreche Ungarns „Rechtsordnung und den Überzeugungen der Regierung“, sagte Lőrinc Nacsa von den Christdemokraten, die hinter der Erklärung der Regierung stehen. In dem Dokument heißt es unter anderem: „Wir haben das Recht, unser Land, unsere Kultur, unsere Gesetze, Traditionen und nationalen Werte zu verteidigen. Die Gender-Anschauung, die von der Überzeugung der (Bevölkerungs-)Mehrheit abweicht, darf dies nicht gefährden.“ – Red.)
Das Hauptziel des Übereinkommens – jegliche Gewalt gegen Frauen und Mädchen sowie alle Formen häuslicher Gewalt als Verbrechen einzustufen- ist natürlich von größter Bedeutung, aber alle rechtlichen Garantien zum Schutz der Frauen vor häuslicher Gewalt seien bereits von den eigenen Gesetzen abgedeckt. Der politische Kommentar der Opposition ist einfach und logisch: Die Ablehnung einer Konvention zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen bedeutet die Vernachlässigung wesentlicher Menschenrechte.
Man muss aber darauf hinweisen, dass es keine praktische Konsequenzen der Ratifizierung oder Ablehnung des Übereinkommens gibt.
Da es sich bei der Konvention um eine Reihe von Richtlinien handelt, sind nur die spezifischen Gesetze des Landes von Bedeutung, die das betreffende Thema regeln, und ob diese Gesetze mit den Richtlinien übereinstimmen oder nicht. Ein ideales Feld für Politiker: Ideologiestreit, der keinerlei Folgen hat.
Ich habe mich bemüht, den Originaltext des Konvents gründlich zu studieren. Mir wurde klar, dass der Text tatsächlich für unterschiedliche Interpretationen geeignet ist und dass es sich nicht um einen sehr gut strukturierten Text handelt.
Unter Artikel 4 des Dokuments sind alle schutzbedürftigen Gruppen der Gesellschaft aufgeführt, die vor Gewalt geschützt werden sollten.
Darin heißt es: „Die Durchführung dieses Übereinkommens durch die Vertragsparteien, insbesondere von Maßnahmen zum Schutz der Rechte der Opfer, ist ohne Diskriminierung insbesondere wegen des biologischen oder sozialen Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauung, der nationalen oder sozialen Herkunft, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt, der sexuellen Ausrichtung, der Geschlechtsidentität, des Alters, des Gesundheitszustands, einer Behinderung, des Familienstands, des Migranten- oder Flüchtlingsstatus oder des sonstigen Status sicherzustellen.“
Dies ist natürlich absolut richtig, aber das Dokument ist nicht selbstkonsistent, da in den meisten Fällen nur „Frauen“ als Opfer bezeichnet werden und sie vor „geschlechtsspezifischer Gewalt“ geschützt werden sollten.
Das Wort „Frau“ kommt 76-Mal im Text vor, während das Wort „Geschlecht“25-Mal. Weitere Wörter der obigen Definition, wie „Minderheit“, „Rasse“, „Farbe“ und „Behinderung“ ‚werden an keiner anderen Stelle im Text verwendet.
Die Definition von „Geschlecht“ im Konventionstext lautet wie folgt: „Geschlecht“ bezeichnet die gesellschaftlich geprägten Rollen, Verhaltensweisen, Tätigkeiten und Merkmale, die eine bestimmte Gesellschaft als für Frauen und Männer angemessen ansieht“.
Um es kurz zu machen: Trotz der Tatsache, dass das Dokument eine Reihe schutzbedürftiger sozialer Gruppen auflistet, liegt der Schwerpunkt auf dem Schutz von Frauen, und „Frauen“ werden als „Gender“ und nicht als „biologisches Geschlecht“ bezeichnet.
Keine große Sache, könnten wir sagen, und wir könnten uns auch fragen, warum die ungarische Regierung ihr eine so große Bedeutung beimisst.
Etwa 99,99% der Frauen im Sinne des Geschlechts sind auch Frauen im Sinne des Genders
Das ist natürlich nicht der Punkt, über den ich sprechen möchte. Durch die Annahme der Konvention stimmt man implizit zu, dass bestimmte Rechte eher mit dem Gender als mit dem Geschlecht verbunden sind. Es würde einen Präzedenzfall schaffen. Dies würde aber am Anfang sicherlich keine großen Probleme verursachen. Vielleicht würden einige Männer versuchen, an einem Frauensportrennen teilzunehmen indem sie behaupten würden, dass ihr Geschlecht weiblich sei. Dies könnte jedoch später eskalieren. Ein Sportrennen ist eine Sache, aber was ist, wenn jemand, der „nach seiner Biologie“ ein Mann ist, das Recht beansprucht, ein Kind zu haben und Mutter zu sein?
Wir haben letzten Sonntag den Muttertag gefeiert. Der Tag drückt den Respekt der Gesellschaft für Mütter aus. Ich hoffe es wird auch immer so bleiben. Es ist jedoch beunruhigend, dass es mit dem Fortschritt der Biotechnologie und der Verschiebung der „Menschenrechte“ bald sogar möglich sein könnte, dass ein Mensch ohne Mutter geboren wird. Und dass es sogar gesetzlich genehmigt wird.
In der Vergangenheit, vor Hunderttausende von Jahren, war dies noch keine Frage. Jemand, der biologisch in der Lage war, ein Kind zu bekommen, könnte ein Kind haben. Punkt. Aufgrund der oben erwähnten potenziellen technologischen Entwicklung und der „modernen“ Auslegung der Menschenrechte kann aber dieses Naturgesetz überschreiben. Alles beginnt mit „harmlosen“ Begriffen wie Toleranz, Freiheit und Vielfalt der Selbstwahrnehmung“.
Solang du feststellst, dass es Probleme gibt, bist du schon in großen Schwierigkeiten.
LGBT-Aktivisten protestierten in den USA vor dem Weißen Haus noch 2018. Die Trump-Administration kursierte ein Entwurf, nach dem das Geschlecht unveränderlich bei der Geburt anhand der Genitalien eines Säuglings als „männlich“ oder „weiblich“ festgelegt werden soll – und im Laufe eines Lebens nicht verändert werden darf.
Genau das plant die ungarische Regierung jetzt. Der stellvertretende Ministerpräsident Ungarns, Zsolt Semjén (KDNP), hat am 31. März ein umfassendes Gesetzespaket eingebracht. U.a. soll die Kategorie „Geschlecht“ durch das unveränderbare „Geschlecht bei der Geburt“ (“születési nem”) ersetzt werden.
Liberale Aktivisten sagen jetzt, dass die Orbán-Regierung den Menschen das Recht nimmt, das Geschlecht zu ändern. Dies ist jedoch nicht wahr. Die Regierung stärkt die Rechte und Pflichten von Männern und Frauen auf der Grundlage traditioneller Prinzipien. Die „Selbstwahrnehmung“ liegt im Ermessen jedes Einzelnen, ersetzt jedoch nicht die Grundlage für die zuvor gesetzlich festgelegten Rechte und Pflichten.
Wenn jemand das Naturgesetz missachtet,
… der ist einem törichten Manne gleich, der sein Haus auf den Sand baute. Da nun ein Platzregen fiel und kam ein Gewässer und wehten die Winde und stießen an das Haus, da fiel es und tat einen großen Fall
(Matthäus 7, 26-27)
Wir sollten unser Haus auf Felsen bauen! Es ist seit Hunderttausenden von Jahren dort und steht fest. Nur so können wir darauf vertrauen, dass wir in der Zukunft auch in Sicherheit leben können.
Da nun ein Platzregen fiel und ein Gewässer kam und wehten die Winde und stießen an das Haus, fiel es doch nicht; denn es war auf einen Felsen gegründet
(Matthew 7, 25)
(Gastartikel von Miklós Verseghi-Nagy. Übersetzt von Ungarn Heute. Originelltext erschien auf Hungary Today, Beitragsbild: Shutterstock – Sopotnicki)