Eine liberale Autorin tadelt die regierungsbildende Mehrheit im Parlament, die am Dienstag eine Resolution gegen die Ratifizierung des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt verabschiedet hat. Eine regierungsfreundliche Webpräsenz sowie eine unabhängige Rechtsexpertin vertreten eine andere Auffassung, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Presseschau von budapost.de.
In einer von vier christdemokratischen Abgeordneten (KDNP) eingereichten Entschließung hat das Parlament die sogenannte Istanbuler Konvention zurückgewiesen, da es ihre Definition des Begriffs Geschlecht für „nicht hinnehmbar“ sowie seine geschlechtsspezifischen Einwanderungsbestimmungen als unvereinbar mit dem ungarischen Recht erachtet. Was weite Teile der Konvention betrifft, nämlich den Schutz von Kindern und die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen, so seien diese bereits Bestandteil der ungarischen Rechtsordnung, heißt es in der Erklärung. Abgeordnete der Opposition protestierten und warfen der Regierungsseite vor, die Augen vor den weiblichen Opfern häuslicher Gewalt zu verschließen.
Für Zsófia Varga stellt die Entscheidung des Parlaments keine Überraschung dar. Die Regierung habe seit Jahren das Verständnis des Geschlechts als soziales Konstrukt abgelehnt und sogar die Akkreditierung von Studiengängen im Bereich Genderforschung an Universitäten untersagt, notiert Varga auf Mérce. Andererseits zählt sie eine Reihe tragischer Fälle häuslicher Gewalt auf, um zu beweisen, dass die gegenwärtige Rechtslage nicht ausreiche, um Frauen vor körperlicher Misshandlung zu schützen. Auch verurteilt die liberale Autorin scharf diejenigen Abgeordneten, die zu Zeiten des Coronavirus-Notstands für eine solche Resolution gestimmt hätten, denn durch die Ausgangsbeschränkungen seien häusliche Spannungen zusätzlich verschärft worden.
Auf Pesti Srácok führt László Vésey-Kovács nicht nur die Argumente der Regierungsseite an, sondern benennt darüber hinaus sieben Punkte in der Konvention, durch die Männer rechtlich benachteiligt würden. Zudem erwähnt er, dass Ungarn mit seiner Weigerung, die Istanbuler Übereinkunft zu ratifizieren, dem Beispiel der Slowakei gefolgt sei. (Das slowakische Parlament hatte die Unterzeichnung der Konvention durch die Regierung im vergangenen Februar widerrufen – Anm. d. Red.) Schließlich erinnert Vésey-Kovács daran, dass die Konvention nicht nur von Großbritannien, sondern auch von vier weiteren EU-Mitgliedsländern nicht ratifiziert worden sei.
In seinem Bericht über die Abstimmung bezieht sich Azonnali unter anderem auf einen Artikel der Rechtsexpertin Bea Bakó. Ebenfalls auf diesem unabhängigen Nachrichtenportal hatte Bakó liberale Befürchtungen angesichts der Weigerung der Regierung, die Konvention zu ratifizieren, mit dem Argument zurückgewiesen, dass Gewalt nach ungarischem Recht bereits ein Verbrechen darstelle. Neue Paragraphen würden die Notlage der Opfer von häuslicher Gewalt nicht lindern. Notwendig dagegen wären riesige Summen öffentlicher Gelder zur Finanzierung von Sozialarbeitern und Psychologen, die potenziellen Tätern und Opfern gleichermaßen helfen könnten, bevor es zu spät sei, notiert Bakó.
(Via: budapost.de, Beitragsbild: MTI – Szilárd Koszticsák)