Auch gegen Polen wurde diese Maßnahme wegen „umstrittenen LGTBQ-Regelungen“ getroffen.Weiterlesen
Wochenzeitungen und Magazine vertreten extrem unterschiedliche Ansichten über die Konflikte zwischen Budapest und Brüssel. Einigkeit herrscht jedoch in einem Urteil: Sie sind anhaltend und ernst. Presseschau von budapost.de.
Szabolcs Szerető erkennt politische Gründe hinter der Entscheidung der EU-Kommission, Ungarns Wiederaufbauprogramm und damit den Zugang des Landes zu beträchtlichen EU-Finanzmitteln auf Eis zu legen. Es sei durchaus problematisch, so Szerető in Magyar Hang, das Vorgehen auf die Kontroverse über das kürzlich verabschiedete Gesetz zum „Schutz von Kindern“ zurückzuführen, das von Brüssel als homophob eingestuft werde. Wahrscheinlicher sei, dass die EU-Kommission einem Sieg von Ministerpräsident Orbán bei den Wahlen im nächsten Jahr nicht so einfach durch das Öffnen des Geldhahns Vorschub leisten möchte. Vieles hänge davon ab, wann der Europäische Gerichtshof den so genannten Rechtsstaatlichkeitsmechanismus bestätigen werde, der es der Kommission ermöglichen würde, im Falle rechtsstaatswidrigen Verhaltens Zahlungen an Mitgliedsländer zurückzuhalten, erläutert Szerető.
Magyar Narancs widmet beide seiner wöchentlichen Leitartikel der Fehde zwischen der ungarischen Regierung und der Europäischen Kommission. Die Redakteure des Wochenmagazins sind so gar nicht überzeugt davon, dass die führenden Gremien der Union ungeachtet der weit verbreiteten Unzufriedenheit mit der ungarischen Regierung energische Maßnahmen ergreifen werden, um Ungarn in die Schranken zu weisen. Früher oder später werde der Sanierungsplan den EU-Finanzministern vorgelegt werden, die ihre Entscheidung mit qualifizierter, aber nicht absoluter Mehrheit treffen würden. Die meisten Finanzminister, so die Redaktion weiter, gehörten der Europäischen Volkspartei an und es sei daher zu erwarten, dass sie die ungarische Regierung nicht unterstützen würden. Diese Christdemokraten dürften jedoch dem Beispiel ihrer Vorgänger folgen, die sich in den frühen 1930er Jahren „von den Nazis hatten auffressen lassen“, befürchtet Magyar Narancs.
In 168 Óra räumt der ehemalige konservative Außenminister Géza Jeszenszky ein, dass Ungarn von der Europäischen Union immer wieder zu Unrecht kritisiert worden sei. Er erkennt auch an, dass es richtig sei, Minderjährige vor Pornografie und sexueller Propaganda zu schützen. Was er aber nicht gutheißen könne: Dass in dem Gesetz, das angeblich Kinder schützen solle, auch Homosexualität erwähnt werde. Dennoch fragt sich Jeszenszky, warum man dieses Gesetz als überzogen betrachte, während dies bei zahlreichen anderen wichtigen und umstrittene Maßnahmen nicht der Fall gewesen wäre. Der Ex-Minister macht dafür unter anderem den „allgegenwärtigen LGBTQ-Kult“ im Westen verantwortlich. Die meisten Ungarn würden die Position der Regierung in diesem Streit unterstützen. Deswegen äußert Jeszenszky die Befürchtung, dass die Welle ausländischer Kritik über die LGBTQ-Rechte dem Image der Europäischen Union in Ungarn schaden werde.
Die Regierung habe Recht: Die Europäische Kommission und das Europäische Parlament wünschten, dass Ungarn LGBTQ-Aktivisten Zugang zu seinen Schulen und Kindergärten gewähre, schreibt András Bencsik in einem geradezu apokalyptischen Leitartikel für das Wochenmagazin Demokrata. Die Propagierung sexueller Abweichungen, so argumentiert der Chefredakteur des Blattes, führe unweigerlich zu niedrigeren Geburtenraten. Das entspräche der progressiven Idee, dass Sex lediglich dem Vergnügen diene und die menschliche Fortpflanzung nur ein unwichtiger „Nebeneffekt“ sei. Es überrasche nicht, so Bencsik weiter, dass extremistische Bewegungen die Abtreibung bis zum Augenblick der Geburt zulassen würden. All das bewirke „unserer Ausrottung“, sinniert der Publizist und fragt: Was werde eine neue identitätslose, uns künftig ersetzende Zivilisation wohl hervorbringen können?
In Mandiner vertritt Milán Constantinovits die Auffassung, dass das, was der Brüsseler Mainstream als europäische Werte betrachte, zunehmend extremistische Konzepte seien. Sie stammten aus den USA und diejenigen, die sich diese Trends nicht zu eigen machten, würden innerhalb der Europäischen Union als zweitklassige Akteure gelten. Der Autor bezeichnet solche Haltungen als „koloniale Reflexe“ und erkennt in ihnen den eigentlichen Grund für die Serie von Vertragsverletzungsverfahren, die in den letzten Jahren gegen Ungarn eingeleitet worden seien. Ungarn glaube an eine Europäische Union, die ihre kulturelle Identität nicht aufgeben und in der es keine erst- und zweitklassigen Mitglieder geben würde. Constantinovits nennt den derzeitigen Zustand einen „Albtraum“ und fragt, ob Europa daraus aufwachen werde, bevor es zu spät sei.
(Titelbild: MTI/Miniszterelnöki Sajtóiroda/Benko Vivien Cher)