Verschiedene Wochenzeitungen machen sich Gedanken darüber, was für eine Regierung wohl das Kabinett von Bundeskanzlerin Angela Merkel ablösen wird, die in ihren 16 Amtsjahren eine Schlüsselrolle in der deutschen Politik, aber auch auf internationaler Bühne gespielt hat. Die Kommentatoren versuchen auch eine Bewertung der möglichen Folgen für die deutsch-ungarischen Beziehungen. Presseschau von budapost.de.
Die Deutschen dürften mehrere Monate brauchen, um eine neue Regierungskoalition zu schmieden, vermutet Béla Weyer in einem Beitrag für Heti Világgazdaság und ist sich sicher: Da die Sozialdemokraten sowie die beiden christlichen Parteien eine Neuauflage ihrer großen Koalition erklärtermaßen ausschließen würden, bräuchte es mindestens drei Parteien zur Bildung einer tragfähige Koalition. Die Christdemokraten würden, falls sie wider Erwarten doch noch als Erste durchs Ziel gehen sollten, ein Bündnis mit den Freien Demokraten anstreben, benötigten für eine parlamentarische Mehrheit aber auch die Grünen. Die von diesen beiden Parteien vertretenen Politikansätze ließen sich jedoch kaum unter einen Hut bringen.
Sollten die Sozialdemokraten – wie prognostiziert – die meisten Stimmen erhalten, würden ihre natürlichen Verbündeten die Grünen sein. Allerdings würden sie eine Mehrheit im Bundestag verfehlen. Demnach müssten sie entweder die Freien Demokraten oder die postkommunistische Linkspartei in ihr Bündnis aufnehmen. Die FDP würde es schwer haben, von den Grünen akzeptiert zu werden, während Die Linke wegen ihrer NATO-kritischen Haltung Probleme in der internationalen Politik verursachen würde, erklärt Weyer.
Richárd Szentpéteri Nagy erwartet weder in der Innenpolitik noch für die internationale Rolle Deutschlands schlagartige Veränderungen, ganz egal, wer am Ende die neue Regierungskoalition bilden werde. Seit dem Zweiten Weltkrieg sei Deutschland aufgrund des bekannten historischen Erbes stets von der Mitte aus regiert worden, von Sozialdemokraten oder Christdemokraten oder von beiden gemeinsam, erinnert der Autor im Wochenmagazin 168 Óra. Wie auch immer die auf die Wahlen folgenden Koalitionsverhandlungen ausgehen würden, Deutschland wird seiner Meinung nach in den internationalen Beziehungen sicher eine besonnene und sachkundige Politik betreiben.
Die Lehre, die Szentpéteri Nagy aus all dem für die politischen Kräfte Ungarns zieht, lautet: Sie sollten nicht mit einer einschneidenden Kehrtwende im Verhalten Deutschlands rechnen. Berlin werde kein Interesse an einer Verschärfung der Konflikte haben, solange die ungarische Regierung geschmeidig auf die Interessen der deutschen Wirtschaft eingehe. Dieser Status quo könne sich nur ändern, wenn die Interessen der deutschen Automobilindustrie eine scharfe und heute noch nicht absehbare Wendung nehmen und/oder sich die Positionen der ungarischen Regierung „weiter radikalisieren“ sollten, sagt Szentpéteri Nagy voraus.
In Mandiner macht sich Gergely Szilvay Gedanken über die möglichen Szenarien für die ungarisch-deutschen Beziehungen nach der Bundestagswahl. Einem möglichen Szenario zufolge könnte in den bilateralen Beziehungen weiterhin Frieden herrschen – und zwar auf der Grundlage einer pragmatischen Zusammenarbeit mit gelegentlichen verbalen Scharmützeln. In einem anderen Szenario, so spekuliert Szilvay, stünden die beiden Länder an der Schwelle eines politischen Krieges. Letzteres wäre möglich, falls die Sozialdemokraten eine Regierung mit den Grünen und der Linkspartei bilden sollten. Szilvay umreißt einen internationalen und sich mittlerweile für die ungarische Regierung in eine ungünstige Richtung entwickelnden Kontext: Präsident Trump habe die Wahl im vergangenen Jahr verloren, nachdem er Ungarn inmitten diplomatischer Stürme einen „Windschatten“ verschafft hatte. Zugleich finde sich ein anderer wichtiger Verbündeter – der Israeli Benjamin Netanjahu – nunmehr in der Opposition wieder. Schließlich stehe Ungarn möglicherweise eine linke „Sturmdiplomatie“ bevor.
Szilvay macht sich auch deshalb Sorgen um die deutsch-ungarischen Beziehungen, weil seiner Ansicht nach ein Großteil der deutschen Öffentlichkeit Ungarn schlichtweg hassen und verachten würde. Und zwar vor allem deshalb, weil sie von ihren Medien systematisch falsch informiert werde. Das sei umso besorgniserregender, da Ungarn wirtschaftlich massiv von Deutschland abhänge. Deshalb müsse Ungarn seine wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland, China oder den Turkstaaten Mittelasiens ausbauen. Ungarn sollte sich besser auf vermehrte Konflikte einstellen, als zu kapitulieren. Alles in allem prognostiziert Szilvay, dass „das Rasseln der Waffen“ künftig lauter werden würde.
(Via: budapost.de, Titelbild: MTI/Koszticsák Szilárd)