39 Länder, 45.500 Kilometer in 1.473 Tagen, durchschnittlich 1.500 Forint (4 Euro) pro Tag. Das sind die wichtigsten Parameter der Radexpedition von Adorján Illés um die Welt.Weiterlesen
Bazil Ivancsó ist griechisch-katholischer Priester. Hinter ihm und seinem Fahrrad liegen 30.000 Kilometer und dutzende Menschen – darunter Kinder und Jugendliche – die sich jedes Jahr auf den Weg machen, um gemeinsam die weite Welt und das eigene Selbst zu erkunden. Dieses Mal führt ihr Weg sie zwischen Czestochowa und Vilnius, 800 Kilometer in 8 Tagen.
Was war Ihr erstes Ziel, wie begann die Geschichte der 30.000 Kilometer?
Ich war 14 Jahre alt, besuchte das Gymnasium der Benediktiner in Pannonhalma. Im Sommer lud uns ein Novize zu einer Fahrradtour ein. Geplant war, dass wir fünf ehemalige und jetzige Abteien aufsuchen. So verbanden wir Pannonhalma, Celldömölk, Bakonybél, Tihany und Zalavár, und befuhren die hügelige Landschaft von Transdanubien. Für mich war das damals wie ein Sprung ins kalte Wasser, sowohl die Länge, als auch die bergige Landschaft waren eine enorme Herausforderung. Aber nächsten Sommer habe ich selbst eine Tour für die Klassenkameraden organisiert. Wir waren eine Woche in den Bergen unterwegs. Unser Weg führte dorthin, wo die Natur am schönsten ist. Entlegene Waldwege, kühle, frische Luft. In den darauffolgenden Jahren befuhren wir systematisch die bedeutenden Landschaften Ungarns. Unsere Devise war, zuerst das Heimatland kennenlernen, das vom Sattel aus viel intensiver sein kann. Seit vier Jahren versuchen wir Mariengnadenorte in Mitteleuropa zu verbinden. Zuerst legten wir die 1369 Kilometer zwischen Mariazell und dem siebenbürgischen Csíksomlyó zurück, dann Czestochowa-Međugorje auf zwei Sommer verteilt. Diese Wege bieten Austausch von kulturellen Einflüssen.
Von morgens bis abends unterwegs, wie haben Sie Wind, Hitze, Regen, Kälte erlebt?
Wenn du den ganzen Tag unterwegs bist, wirst du Wind und Wetter von einer neuen Seite aus kennenlernen. Hitze, Kälte, Sonne und Regen werden dabei sein, aber das gehört zu dieser Lebensweise. Für mich steht nicht das Ausgeliefertsein der Natur im Vordergrund, sondern das Erlebnis der Einheit mit der Natur. Einmal hatten wir etwas Besonderes erlebt. Als Vorbereitung auf die Priesterweihe haben wir Seminaristen eine Pilgerfahrt von Wien nach Máriapócs, Gnadenort der griechisch-katholischen Kirche organisiert. 600 Kilometer in vier Tagen. Starker Gegenwind, Regen am ersten Tag. Mehrere von uns waren dem Aufgeben nahe. Im Gebet vertieft haben wir aber den Weg fortgesetzt. Innerhalb einer Stunde schien die Sonne auf, und wir sahen, dass kleine Singvögel uns ganz nah kamen und uns kilometerlang begleiteten. Ein Vorfall, der durch Franz von Assisi bekannt ist.
Es scheint, Ihnen ist der gemeinschaftliche Aspekt auf den Pilgerwegen sehr wichtig. Was bedeuten Ihnen die Weggefährten?
Auf dem Weg kommt man der Natur, Gott, sich selbst und Ihren Mitmenschen näher. Hier fallen soziale Unterschiede wie Alter, Klassenzugehörigkeit weg. Wir sind gemeinsam unterwegs. Man teilt bereitwillig Essen und Kleidung, menschliche Schwächen bleiben nicht verborgen und werden toleriert. Mich fasziniert immer wieder, wie schnell sich intensive Gespräche unter den Pilgern entwickeln. Wir erleben das Schöne und das Schwere gemeinsam, fühlen uns füreinander verantwortlich. ‚Sharing is caring‘ erlebt man auf dem Weg. Die Gespräche können sehr heilsam sein. Ich habe immer die Kraft der Gemeinschaft erlebt. Es sind natürlich auch stille Abschnitte auf dem Weg, wo man die Freiheit hat, den eigenen Gedanken nachzuhängen und auch mal einen Blick dort hinzuwerfen, wo man sonst nie hinsieht.
Pilgern ist körperliche und spirituelle Leistung gleichzeitig. Erleben Sie ein Gleichgewicht?
Für mich ist Pilgern ein ganzheitliches Beten – mit Körper, Geist und Seele. Eigentlich ist der ganze Tag ein einziges Gebet. Auf dem Weg lebt man voll im Hier und Jetzt, bleibt bei sich und bei der Natur. Wenn sich die Seele öffnet, bei Gott, nimmt man gleichzeitig die Umgebung wie sein Innerstes wahr. Wie das den Teilnehmern geht, inwieweit das Pilgern heute der Gottsuche geschuldet ist oder vielmehr einer persönlichen Selbstfindung, ist schwer zu sagen. Da ich Priester bin, gehören Gottesdienste, gemeinsames Beten zum täglichen Programm. Es ist schon wichtig, dass man mitmacht.
Wie haben Sie die eigene Belastbarkeit erlebt?
Pilgern – der Begriff kommt vom lateinischen Wort peregrinatio, was Leben in der Fremde bedeutet. Auf dem Weg zu sein gibt mir immer die existenzielle Erfahrung der Grenzen, aber auch des Genusses der eigenen Leiblichkeit, das Überwinden von Hindernissen. Man nimmt eine große Anstrengung auf sich, und ist entschlossen, diese Herausforderung zu bewältigen. Man muss sich schon vorbereiten, um aushalten zu können. Man sollte den Weg seelisch bewusst und körperlich trainiert beginnen. Begeisterung ist nicht genug. Auf dem ersten, zweiten und darauffolgenden Tagen muss man 100 Kilometer zurücklegen. In der Früh nehme ich immer eine kalte Dusche, das hilft bei den ersten Kilometern.
Aufgeben? Niemals! Wo kann man Motivation schöpfen?
Es stimmt, aller Anfang ist schwer, die ersten Kilometer sind die schwierigsten. Langsam gewöhnt sich der Körper an die Anstrengung. Es wird für jeden wichtig, gemeinsam das Ziel zu erreichen, das Gefühl des „Getragen-Seins von der Gemeinschaft“ wird spürbar. Jeder kann die Bewältigung der Schwierigkeiten als Impuls für die persönliche Entwicklung wahrnehmen, und das trägt.
Was ist Ihre Erfahrung, warum machen sich Menschen auf den Weg?
Im Mittelalter waren die wichtigsten Motive, um zu pilgern, Vergebung für begangene Sünden zu finden und einer Bitte größeres Gewicht zu verleihen. Heute finden Gläubige auf den Pilgerwegen neue Kraft und Haltung, sie erhalten neue Einblicke in das Leben, können neue Freundschaften schließen, erfahren tieferes Verständnis für die anderen, sammeln Erfahrungen die ihnen helfen, ihr Leben zu verändern und ihren Horizont zu erweitern. Aber die Suche nach Gott, nach vertiefter Spiritualität ist auch ein Beweggrund. Meine Erfahrung ist, das tagelanges Radfahren mittendrin in der Natur die Seele für Gott öffnet, für die transzendentale Dimension des Lebens. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass eine Pilgerfahrt ein Weg ist, auf dem jeder von uns das findet, wonach er sucht, was auch immer es sein mag.