Im Jahr 1929 hielt Apponyi einen Monolog in englischer Sprache über die ungarische Situation vor den Kameras eines amerikanischen Teams ab und sprach unter anderem über die Ungerechtigkeit des Diktats von Trianon. Weiterlesen
Heute vor 102 Jahren, nach dem Ende des Ersten Weltkrieges, unterzeichnete Ungarn den Vertrag von Trianon. Der Vertrag erwies sich als ein bedeutender Wendepunkt in der ungarischen Geschichte, welcher, verglichen mit dem Abtrennen der Gliedmaßen vom Körper, bis heute eine anhaltende soziale und kulturelle Wirkung auf die Ungarn hat. Aber was wäre, wenn die ungarische Delegation in Paris die Forderungen, mit denen sie im Schloss Trianon konfrontiert wurde, zurückgewiesen hätte?
Diejenigen, die mit der Geschichte des 20. Jahrhunderts vertraut sind, werden so eine Hypothese aufgrund der Situation Ungarns am Ende und während des Ersten Weltkrieges vermutlich sofort zurückweisen. Tatsache ist, dass Graf Albert Apponyi und der Rest der ungarischen Delegation im Januar 1920 wenig bis gar keinen Einfluss auf einen Vertrag hatten, der bereits vor ihrer Ankunft in Paris verfasst worden war. Doch selbst heute noch kommen in Ungarn solche Fragen bezüglich des Vertrages im öffentlichen Diskurs auf. Vor diesem Hintergrund wird dieser Artikel versuchen, die ungarische Situation während und vor 1920 im Auge zu behalten und gleichzeitig die „Was wäre wenn“-Frage zu stellen, die sich für viele in der ungarischen Gesellschaft noch lange nach dem Vertrag als Hoffnungsschimmer erwies.
Trianon: Ein Vertrag mit verheerenden Bedingungen
Der Vertrag von Trianon beendete formal den Ersten Weltkrieg zwischen dem Königreich Ungarn (die österreichisch-ungarische Monarchie war bei Kriegsende praktisch zusammengebrochen) und den Alliierten Mächten. Es war keine gleichberechtigte Verhandlung. Der einzige Beitrag, den die ungarische Delegation angesichts der fast schon vorherbestimmten Beratungen leisten durfte, war im Wesentlichen die Trianon-Verteidigungsrede von Albert Apponyi.
In seiner zweistündigen Rede, die er in drei Sprachen fließend hielt, argumentierte der angesehene ungarische Graf unter anderem, dass die Wirtschaft des Königreichs von regionalen Spezialisierungen abhängt, die im ganzen Land zusammenarbeiten. Daher würde sich ein Wegfall wichtiger Elemente nachteilig auf die mitteleuropäische Infrastruktur insgesamt auswirken. Er brachte auch Woodrow Wilsons 14 Punkte vor und argumentierte, dass die Ungarn in den abgetrennten Gebieten das Recht zur Selbstbestimmung haben sollten und und schlug als Lösung Volksabstimmungen über die Abspaltung vor.
Obwohl die Rede einen positiven Einfluss auf die großen Entente-Führer, den britischen Premierminister David Lloyd George, den italienischen Premierminister Vittorio Emanuele Orlando und sogar den französischen Premierminister Georges Clemenceau, gehabt haben soll, wurden die Hauptschäden des Vertrages nicht geändert. Die schmerzliche und tiefgreifende Tatsache war folgende: mehr als zwei Drittel des ungarischen Territoriums gingen verloren und wurden an die Tschechoslowakei, das neu gegründete Jugoslawien und Rumänien abgetreten. Ein Teil der Region Szepes wurde an Polen abgetreten, Fiume an Italien, und Österreich, eine der Mittelmächte, erhielt sogar das Burgenland. Die Bevölkerung des Königreichs Ungarn wurde von 18,2 auf 7,6 Millionen reduziert, wobei 3,2 Millionen ethnische Ungarn zwangsumgesiedelt wurden. Aus diesen „weggerissenen Gebieten“, wie man sie heute bezeichnet, zogen etwa 400.000 Ungarn schließlich innerhalb der neuen Grenzen Ungarns.
Die Türkei konnte es schaffen, könnte Ungarn es auch?
Stellen wir uns vor, dass Ungarn die Türkei nach dem Krieg nachahmt. Der türkische Präsident Mustafa Kemal Atatürk sagte Nein zur Entente, beendete die ausländische Besatzung und stoppte eine geplante Gebietsaufteilung. Anschließend schuf er aus dem zusammengebrochenen Osmanischen Reich eine neue Türkei und modernisierte das gesamte Land von Grund auf. In diesem Artikel sollen seine Handlungen strikt auf den hypothetischen Kontext der Rückforderung geteilter Gebiete durch Ungarn entgegen den Forderungen des Vertrags von Trianon bezogen werden.
Bei dem Versuch, diese Beziehung herzustellen, zeigt sich der eklatante Trumpf der damaligen ungarischen Situation. Im Gegensatz zu der Armee, die Atatürk für seine Revolution aufbieten konnte, ganz zu schweigen von der räumlichen Entfernung zwischen Griechenland und der Türkei, lagen die ungarischen Streitkräfte in Trümmern, und im chaotischen Verteidigungsministerium gab es zu dieser Zeit keine Militärexperten. Ungarische Dissidentensoldaten, die genug vom Krieg hatten, legten während der Aster-Revolution ihre Waffen nieder und wählten ihren pazifistischen Führer, Graf Mihály Károlyi, zum Ministerpräsidenten. Erwähnenswert, vielleicht auch wegen seiner symbolischen Bedeutung, ist, dass während dieser Revolution der ehemalige Ministerpräsident Graf István Tisza ermordet wurde. Károlyi war ein Gegner von Tiszas Kriegskonzept. Er folgte Woodrow Wilsons Forderung nach Pazifismus und ordnete die einseitige Selbstentwaffnung der 400.000 Mann starken ungarischen königlichen Honvéd-Armee an.
Laut Militärhistoriker Tamás Révész basierte dies nicht allein auf der Sichtweise der Károlyi-Regierung, da zivile Organisationen und staatliche Behörden die Entwaffnung ebenfalls unterstützten. Der Historiker sagte gegenüber Válasz Online, dass es in der ungarischen Gesellschaft zu der Zeit einen starken Wunsch nach Frieden und Antimilitarismus gab. In einem späteren Interview mit 24.hu sagte er, die Károlyi-Regierung nahm an, dass die immer schärferen Demarkationslinien nur vorübergehend waren und dass die Frage der Landesgrenzen in Zusammenarbeit mit den Alliierten durch diplomatische Verhandlungen gelöst werden würde.
Die Geburt der hoffnungsvollen „Was wäre, wenn“-Frage
Die nicht anerkannte Erste Ungarische Republik von Károlyi wurde schnell durch die Sowjetrepublik von Béla Kun abgelöst, aber nicht bevor rumänische, tschechische und serbische Truppen, die von den Alliierten unterstützt wurden, große Teile des ungarischen Territoriums besetzt hatten, ohne auf militärischen Widerstand zu stoßen. Damit waren die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass die auf die Kommunisten folgende Horthy-Regierung eine irredentistische Außenpolitik verfolgte, was sich deutlich auf ihr Handeln im Vorfeld des Zweiten Weltkriegs auswirkte.
Anlässlich des 100. Jahrestages des Vertrags von Trianon vor zwei Jahren sagte Pál Csaba Szabó, Direktor des Trianon-Museums in Várpalota, dass die Folgen der Nichtunterzeichnung der Forderungen von Trianon bereits bekannt waren. Die Ungarn hätten sich zwar entscheiden können, den Vertrag physisch abzulehnen, „aber es war nicht realistisch, die Unterzeichnung 1920 zu verweigern.“
In Anbetracht der vagen Schätzungen über die militärische Stärke und des Zustands der völligen diplomatischen Isolation zu dieser Zeit, sagte Szabó,
hätte der Rest Ungarns am Rande einer Besetzung gestanden, und wenn dies geschehen wäre, wäre die Existenz des ungarischen Staates ernsthaft gefährdet gewesen.
Der Historiker merkte an, dass die Besetzung der verbleibenden ungarischen Gebiete bei der Kleinen Entente bereits auf dem Tisch lag, womit eine mögliche Ablehnung des Vertrages in einer Konfliktsituation, in der Ungarn keine eindeutigen militärischen Kräfte zu verantworten hatte, noch gravierendere Folgen gehabt hätte.
Trianon vor der Unterzeichnung durch Ungarn
In einem Interview mit 24.hu sagte Historiker Balázs Abolnczy, dass die ungarische Delegation auf der Pariser Friedenskonferenz tatsächlich in Betracht zog, nicht zu unterzeichnen. Sie haben ausgiebig über alle möglichen Ergebnisse nachgedacht und sind zu dem Schluss gekommen, dass es, wenn sie das Dokument nicht unterzeichnen, in Ungarn einen völligen wirtschaftlichen Zusammenbruch und gesellschaftliche Umwälzungen gegeben hätte.
Diese hypothetische Situation beinhaltete die mögliche Rückkehr der instabilen Károlyi-Regierung oder der proletarischen Diktatur von Kun, von denen beide, so der Finanzexperte der Delegation Sándor Popovics, „bereit wären, um jeden Preis, auch unter härteren Bedingungen, den Frieden zu unterzeichnen.“ Graf Pál Teleki, ein Mitglied der Delegation und späterer Ministerpräsident, rechnete mit einem völligen Zusammenbruch der Lebensmittelversorgung in Budapest. Man entschied sich für das kleinere Übel.
Während die Existenz der historischen Grenzen des Königreichs Ungarn formell von der Unterzeichnung des Vertrags abhing, war das Schicksal des Karpatenbeckens schon lange vor der Abreise der ungarischen Delegation nach Frankreich und wohl auch vor der Ausarbeitung des Vertrags besiegelt.
„Die Geschichte von Trianon kann zu Recht vom Beginn des 19. Jahrhunderts an erzählt werden, während ihre Auswirkungen bis zum heutigen Tag andauern.“
Es gibt eine Debatte darüber, wann es sich lohnt, die Vorgeschichte zu Trianon zu betrachten, sagte Ablonczy, wobei einige Historiker bis in die osmanische Zeit zurückgehen, während andere die Entwicklung des modernen Nationalismus in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts als Auslöser betrachten.
Die Ablehnung vielfältiger Einflüsse auf das Ergebnis von 1920 zugunsten einer hochgradig politisierten Schuldzuweisung an Figuren wie István Tisza, Mihály Károlyi oder Béla Kun als alleinige Urheber des Scheiterns „gibt keine Antwort auf die heutigen Fragen“, so Ablonczy.
„Solange die inneren Spannungen in der ungarischen Gesellschaft so stark sind, wird es Sündenböcke geben. Ich finde es auf Dauer selbstmörderisch, wenn wir ständig jemandem an die Gurgel gehen, nur weil er eine Blume vor die Statue von Mihály Károlyi oder István Tisza legt.“
Die Probleme im Zusammenhang mit Trianon lassen sich nicht auf eine Person oder ein Ereignis zurückführen, sondern auf eine Reihe von Entscheidungen und Ereignissen, von denen Ungarn viele nicht beeinflussen konnte. Die damalige Situation deutet auf einen Mangel an Optionen hin, und auf eine noch schlimmere Situation bei einer Ablehnung. Was die heutigen Auswirkungen des Vertrags betrifft, so wäre es vielleicht, wie Ablonczy vorschlägt, für beide Seiten vorteilhafter, wenn sich die Ungarn in ihrem Gedenken vereinen und sich um die Verbesserung der grenzüberschreitenden Beziehungen bemühen würden, anstatt einen Konflikt darüber zu schüren, welcher verstorbene Staatsmann die Verantwortung für einen verlorenen Krieg trägt.
(geschrieben von Tamás Vaski, übersetzt von Eszter Grifatong, Titelbild: das Große Trianon Schloss in Versailles. Foto: Fortepan/ MZSL/Károly Ofner)