RFE veröffentlicht tendenziöse ReportageWeiterlesen
Vor vier Jahren erhielt Attila Dabis ein dreijähriges Einreiseverbot für Rumänien. Ein Jahr nach Ablauf der Frist kehrte der junge Mann nach Siebenbürgen zurück. Die rumänische Tageszeitung „Libertatea“ sprach mit ihm letzten Monat bei der Sommeruniversität in Băile Tușnad (Tusnádfürdő), wo er sein Buch über Autonomie vorstellte.
Der Politikwissenschaftler und Redakteur einer Zeitschrift für Minderheitenrechte hat keine Wurzeln in Rumänien, ist aber ein vehementer Verfechter der Autonomie für die Szekler. Im folgenden fassen wir das Interview zusammen.
Der Wunsch nach einer Autonomie für das Szeklerland wird seit über 30 Jahren in der rumänischen Öffentlichkeit kontrovers diskutiert: Für die rumänischen Politiker und die Bevölkerungsmehrheit eine rote Linie, für die ungarische Minderheit eine unverzichtbare Forderung. Je länger die Autonomie von rumänischer Seite tabuisiert oder ignoriert wird, desto weniger greifbar wird sie für die ethnischen Ungarn. Attila Dabis versucht einerseits Missverständnisse auszuräumen, andererseits unrealistische Erwartungen zurecht zu stützen.
In der zweistündigen Rede Orbáns auf der diesjährigen Sommerakademie kam der Begriff „Autonomie“ nicht einmal vor. Anscheinend hat das rumänische Außenministerium diese Zurückhaltung mit Nachdruck verlangt. Möglicherweise hat die ungarische Diplomatie selbst eingesehen, dass sie eine Strategie entwickeln muss, die der rumänischen Empfindlichkeit Rechnung trägt: Weg von der Forderung einer politisch institutionalisierten Autonomie, hin zu einer de facto Autonomie durch die Stärkung der ungarischen Institutionen.
Für Dabis kommt aber ein Verzicht auf die Forderung nach Selbstverwaltung und Mitbestimmung nicht in Frage. Gemeinsam mit dem Vorsitzenden des Szekler Nationalrats, Balázs Izsák, focht er die Entscheidung der Europäischen Kommission aus dem Jahr 2013 an, die Europäische Bürgerinitiative zu den nationalen Regionen nicht zu registrieren, und gewann den Prozess im Jahr 2019. Sein Engagement wurde auch durch die Feststellung bestärkt, dass die mehrheitlich von Ungarn bewohnten Regionen bei von der EU finanzierten Projekten ins Hintertreffen geraten, was laut Dabis auf das mangelnde Mitbestimmungsrecht zurückzuführen ist.
Die erste Fehlinterpretation ist, dass die territoriale Autonomie die Integrität des Staates untergräbt, wie die rumänische Regierung meint. Autonomieregelungen helfen vielmehr den Staaten ihre territoriale Integrität zu bewahren und lösen eskalierende Konflikte, wie das Beispiel des Baskenlandes zeigt.
Ein weiterer Irrglaube ist, dass, wenn man Autonomie gewährt, die Sezession folgt. Die Autonomie des Szeklerlandes würde nicht den Zerfall des rumänischen Staates bedeuten, sondern eine historische Versöhnung zwischen Rumänen und Ungarn bewirken. Die von der ungarischen Minderheit beklagte Benachteiligung ist nicht nur eine subjektive Wahrnehmung, sondern wird auch von soziologischen Untersuchungen bestätigt. Der Wunsch nach politischer Vertretung auf lokaler Ebene und nach muttersprachlichem Unterricht wird von der Mehrheitsgesellschaft massiv abgelehnt. Alles was die Homogenität des Nationalstaates hinterfragt, wird als Bedrohung auch von der politischen Klasse angesehen.
In einer Autonomie des Szeklerlandes hört die Souveränität des Staates nicht auf zu existieren. Die Gesetzgebung der regionalen Autonomie müsste mit den Gesetzen des Staates übereinstimmen. Eine Steuerautonomie wie beispielsweise in Katalonien würde die wirtschaftliche Benachteiligung des Szeklerlandes beenden und eine stärkere Bindung der Ungarn an den rumänischen Staat nach sich ziehen, wie das Beispiel Südtirols in Bezug auf Italien zeigt. Dabis schwebt eine Umsetzung der Subsidiarität im südosteuropäischen Land vor, auch wenn er den Begriff nicht verwendet.
Dabis wird gefragt, warum die politische Vertretung im Parlament den Ungarn nicht genügt. Darauf antwortet der junge Politikwissenschaftler:
„Dies ist keine effektive Art der Beteiligung, und darauf kommt es an. Der Minderheitenschutz beruht auf vier Säulen: Schutz des Lebens, Schutz der Identität, Antidiskriminierung und effektive Beteiligung. Was Rumänien derzeit umsetzt ist keine effektive Möglichkeit für die ungarische Minderheit, sich an der Politik zu beteiligen.
Die Leute sagen: Seht mal, der stellvertretende Ministerpräsident ist Ungar. Na und? Hat sich hier in der Gegend etwas verändert? Nein!“
In dieser Antwort wird das Dilemma deutlich, in dem sich die Ungarn in Rumänien befinden: Trotz einer beinahe ununterbrochenen Regierungsbeteiligung des Demokratischen Ungarnverbandes, gibt es in den 32 Jahren nach der Wende kaum wahrnehmbare Fortschritte für die von dieser Partei vertretene Minderheit. Dabis ist überzeugt, dass kein Ausweg aus dieser Stagnation an der Autonomie vorbeiführt.
Beitragsbild: Die Umrisse des Szeklerlandes auf dem Heldenplatz in Budapest, Attila Dabis Facebook