Schule und Familie sind die Themen, die in der politischen Auseinandersetzung im Vorfeld der Parlamentswahlen am 25. September in Italien den Ton angeben.
In einem Interview am Mittwoch schlug Matteo Salvini, der Sekretär der Lega (Mitte-rechts) vor, die Maßnahmen des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán als Vorbild für den Schutz der Familie zu nehmen. „Es besteht kein Zweifel“, so Matteo Salvini in Radio 24, „dass das fortschrittlichste Gesetz für die Familie, das auf europäischer Ebene die besten Ergebnisse erzielt, das ungarische ist. Aber ich sage das nicht, weil Orbán dort ist, wenn es in Frankreich wäre, würde ich sagen Frankreich“. Es gibt „viele Hilfen, echte wirtschaftliche Anreize: die Frau ist nach dem dritten Kind ein stark reduziertes Steuersubjekt, ab dem vierten Kind ist sie es nicht mehr, kurzum die Flat Tax für Familien. Und dann gibt es noch den Elternurlaub, der sogar auf die Großeltern ausgedehnt wird“.
Der Vorschlag gefiel der Demokratischen Partei (PD, Mitte-links) überhaupt nicht. Mit dem „Orbán-Modell“, attackiert die Fraktionsvorsitzende der Abgeordnetenkammer, Debora Serracchiani, „müssen wir auch mit solchen Vorschlägen rechnen, die uns im Gegensatz zu dem, was Frauen und Familien (alle Familien!) wirklich brauchen, uns um Jahrzehnte zurückwerfen und viele Rechte verweigern, die für Salvini offensichtlich nicht selbstverständlich sind“.
„Was kann es sonst noch bedeuten, zum Beispiel: ‚Lebenslange Befreiung von der Einkommenssteuer für alle Frauen, die mindestens vier Kinder zur Welt bringen und betreuen‘ oder ‚Zinsverbilligtes Darlehen von 31.500 Euro für Frauen unter 40, die zum ersten Mal heiraten; ein Drittel der Schuld wird bei der Geburt des zweiten Kindes getilgt und die Zinsen werden bei der Geburt des dritten Kindes erlassen‘?“ Die übliche Rechte, die diesmal mit Salvini das Rad der Geschichte zurückdrehen will.“, fügte sie hinzu.
Die Fraktionsvorsitzende der PD fürchtet offensichtlich, dass die Mitte-Rechts-Koallition im Falle eines wahrscheinlichen Wahlsieges die traditionelle Familie bevorzugen wird. Die Aufmerksamkeit der wenig ambitionierten Familienpolitik der letzten Jahre galt in Italien eher den „alternativen“ Lebensgemeinschaften. Steuerlich bevorzugt entlastet wurden bisher Alleinerziehende.
Die Fact-Checking-Seite Pagella politica, die laut eigener Auskunft anhand von Zahlen und Fakten die Treibkräfte der Politik verstehen will, nimmt Salvinis Behauptungen aufs Korn und kommt mit Hilfe der Eurostat-Angaben zu der Schlussfolgerung, dass der Lega-Chef „übertreibt“.
Nach den aktuellsten Eurostat-Daten soll die ungarische Bevölkerung zwischen 2019 und 2021 weiter abnehmen, während sie in vielen EU-Ländern wachsen wird. Die Zahl der Einwohner stieg 2021 in Ländern wie Deutschland, Frankreich und Spanien. Die Bruttogeburtenrate in Ungarn ist die 12. höchste in der EU, während die Gesamtfruchtbarkeitsrate an siebter Stelle liegt.
Was den Fact-Checkern nicht auffällt: Die drei zitierten Länder sind typische Einwanderungsgesellschaften, deren Bevölkerungswachstum nicht zuletzt mit der Zuwanderungspolitik zu tun hat. So beispielsweise war 2021 „Mohammed“ der zweit beliebteste Vorname bei den männlichen Neugeborenen in Berlin. Außerdem wurden längerfristige Trends der Bevölkerungsentwicklung gar nicht berücksichtigt, da die Vergleichsgrundlage nur drei Jahre (2019-2021) umfasst.
Beitragsbild: Matteo Salvini Facebook