Er war erst 17, als die Revolution in Ungarn 1956 ausbrach. István Radda verließ einpaar Wochen später seine Heimat mit seinen zwei Geschwistern, ohne ihre Eltern. „Die Tragödie von 1956 riss Familien auseinander und verteilte sie auf die ganze Welt. Wir haben unsere ungarische Identität jedoch bis heute bewahrt, außerdem ist Ungarisch die gemeinsame Sprache, die wir mit meiner Frau, meinem Sohn und meinen Enkeln benutzen“ – betont er in seiner Erinnerung. Seit 1989 ist der 23. Oktober ein Nationalfeiertag in Ungarn. Man gedenkt heute nicht nur der Opfer der Revolution. Man denkt heute an allen, denen der Aufstand, das ganze Leben veränderte.
Die Revolution am 23. Oktober 1956 begann mit einer friedlichen Großdemonstration der Studenten der Universitäten in Budapest. Sie gingen auf die Straßen, um demokratische Veränderungen zu fordern. Am Abend versammelten sich schon mehrere Tausende auf dem Kossuth Platz in Budapest. Die Regierung ließ in die schnell wachsende Menge schießen, daraufhin brach der bewaffnete Kampf aus.
Binnen weniger Tage wurde die Einparteidiktatur durch eine Regierung von Imre Nagy abgelöst.
BZ-Interview mit der Enkelin des Revolutionsmärtyrers Imre Nagy
Ungarn trat aus dem Warschauer Pakt aus, erklärte seine Neutralität und rief die Sowjetarmee zum Verlassen des Landes auf. Am nächsten Tag kamen aber sowjetische Truppen nach Ungarn. An verschiedenen Orten in der Stadt wurden Aufstandszentren gebildet, dann verbreitete sich die Demonstration auf das Gebiet des ganzen Landes. Der Freiheitskampf endete mit dem Einmarsch der Sowjetarmee, die am 4. November 1956 eine pro-sowjetische Regierung unter János Kádár installierte. (Via: wikipedia.org)
Auswanderungswelle im Jahre 1956
Viele Ungarn sind ab Oktober bis Dezember 1956 nach Westen geflüchtet, um die Vergeltungen nach der Niederschlagung der Revolution zu vermeiden. Es sollen etwa 217.000 Ungarn noch im Jahre 1956 das Land verlassen. Unter ihnen István Radda, der seine Geschichte auch schriftlich vereweigt hatte. Diese erschien in einem Buch, neben anderen Rückerinnerungen. Das Buch wurde von der Stiftung Freunde von Ungarn ausgegeben.
„Die drei Sipis sind angekommen“
Im Oktober 1956 war ich 17 Jahre alt, studierte im benediktinischen Gymnasium in Pannonhalma und freute mich auf die Abschlussprüfungen. Hier habe ich die Tage unseres Revolutions- und Freiheitskampfes miterlebt, der am 23. Oktober begann. Wir konnten die Ereignisse mit Hilfe vom „Radio Freies Europa“ verfolgen. Auf Vorschlag der „Meinungsführer“ der beiden Finalistenklassen beschlossen rund 60 Schüler, einen Weg zu finden, um zu helfen und an der Revolution irgendwie teilzunehmen.
Wir fuhren zum Bahnhof von Kisécs, um nach Budapest zu reisen. Nach langen Gesprächen mit dem Präfektenvater, der nach uns kam und versuchte sich, uns von unserem Plan auszureden, kehrte ich schließlich auch in die Abtei zurück. In Anbetracht unserer christlichen Erziehung glaubten wir an die Kraft des Gebets und jeder von uns betete um dauerhaften Erfolg der Revolution.
Am 13. November hat mein Vater, Dr. Gyula Radda mich aus der Abtei abgeholt, weil meine Eltern beschlossen hatten, mich zusammen mit meiner Schwester und meinem älteren Bruder in den freien Westen zu schicken.
Wenn ich mit einem erwachsenen Kopf zurückdenke, denke ich, dass diese Entscheidung meiner Eltern als Akt der elterlichen Selbstaufopferung angesehen werden kann. (Mein Vater erwartete, dass nach der unterdrückten Revolution Vergeltungen kommen werden. Deshalb schickte er seine Kinder weg. Leider war seine Vermutung richtig, da die kommunistische Diktatur ihn 1957 zu sechs Jahren Haft verurteilte.)
Am 16. November 1956 fuhren die drei Geschwister mit einem Taxi in Richtung der österreichischen Grenze ab, wurden aber von der Geheimpolizei in Csorna angehalten. Sie nahmen uns fest, verhörten uns unter strengen und bewaffneten Drohungen und ließen uns schließlich zusammen mit dem Taxifahrer nach Győr zurückkehren.
Wir gingen jedoch vorsichtig zur Grenze, die wir mit der Kutsche und zu Fuß erreicht haben. Da nahmen zwei ungarische Grenzschutzbeamte das letzte Geld, das wir hatten, als Gegenleistung dafür, dass sie uns nach Österreich ließen.
Wir mussten unsere Eltern irgendwie benachrichtigen, dass wir über die Grenze kommen konnten. Ein Journalist vom „Radio Freies Europa“ hat uns dabei geholfen. Er verkündete in der Sendung mehrmals: „Die drei Sipis sind angekommen“. Dies war der mit meinen Eltern vereinbarte geheime „Kode“.
Ich verbrachte zwei Tage in einem Flüchtlingslager, das in einer Turnhalle eingerichtet worden war, und dann fuhren wir nach Wien, wo mir im Benediktinerhaus Asyl angeboten wurde. Nach ein paar Tagen reiste meine Schwester nach Belgien, mein Bruder nach Oxford und ich nach Innsbruck, wo seit 1946 eine ungarischsprachige Schule bestand.
Aufgrund der Sympathie, die allen Ungarn entgegengebracht wurde, wurde ich von einer österreichischen Familie aufgenommen.
Sie nahmen mich neben ihren drei minderjährigen Kinder zu sich, und gaben mir die Unterstützung, die ich brauchte.
Im August 1957 legte ich zusammen mit einigen meiner ehemaligen Klassenkameraden aus Pannonhalma, die inzwischen Innsbruck erreicht hatten, mein Abitur in Österreich ab. Gemäß der ursprünglichen Vereinbarung wurden die von Tiroler Familien aufgenommenen Schüler bis zum Bestehen der Abschlussprüfungen aufgenommen, sodass die meisten von uns in ganz Europa und sogar in Übersee verteilt waren.
Diese, zuerst nur für einige Monate geplante vorübergehende Phase dauerte für mich 12 Jahre lang. Zu meiner großen Überraschung stellte sich heraus, dass der Großvater in der Familie, die mich aufgenommen hatte, und mein Großvater mütterlicherseits jahrelang in derselben Kaserne als Generäle der Armee des Kaisers und des Königs gedient hatten.
Dieser Zufall hat wesentlich dazu beigetragen, dass ich mich über mehrere Jahre hinweg ihrer großzügigen Unterstützung erfreuen konnte. So begannen meine 60 Jahre in Tirol und Österreich, nachdem ich die Schwierigkeiten eines Emigrantenlebens überwunden hatte.
Die Tragödie von 1956 riss Familien auseinander und verteilte sie auf die ganze Welt. So wurde meine Schwester deutsche Staatsbürgerin mit einer Familie in Deutschland; mein Bruder, ein britischer Staatsbürger und weltberühmter Forscher in Oxford; und ich ein österreichischer Staatsbürger in den Tiroler Bergen.
Wir haben unsere ungarische Identität jedoch bis heute bewahrt, außerdem ist Ungarisch die Sprache, die wir mit meiner Frau, meinem Sohn und meinen Enkeln benutzen.
(Via: wikipedia.org, Die Geschichte von István Radda erschien im Buch „My Revolution – 1956“, Verlag: Friends of Hungary Foundation, Beitragsbild: Fortepan – Pesti Srac 2)