Heute vor 35 Jahren explodierte der Reaktorblock des Kernkraftwerks Tschernobyl in der Sowjetunion. Die radioaktiven Partikel wurden vom Wind über ganz Europa verbreitet. Die ungarischen – damals noch kommunistischen – Staatsmedien haben das Ereignis tagelang verschwiegen, sodass die Bevölkerung nicht rechtzeitig von den Gefahren erfahren hat.
Da der Tag nach der Katastrophe auf einen Sonntag fiel, sind die Zeitungen in Ungarn nicht erschienen, wobei weder das Fernsehen noch der Hörfunk über die Explosion berichtete. Am Montag den 28. April sind die Tageszeitungen mit den Überschriften „Frühlingsarbeit geht schnell voran“, „Kommunistische Schichten landesweit“, „Washington droht Libyen mit geheimen Aktionen“ sowie „Gipfel der Arabischen Liga wurde auf 1. Mai verschoben“ erschienen. Erst am Abend, um 21 Uhr wurde in den Nachrichten im Radio Kossuth anhand der BBC über das Ereignis kurz berichtet. Ein Tag danach, am 29. April haben die Zeitungen die Katastrophe in kleinen Artikeln beschrieben, am 30. April wurde berichtet, dass infolge der Katastrophe zwei Menschen ums Leben kamen, bis Dienstag habe sich aber die Konzentration schon vermindert. Erst nach Ablaufen eines weiteren Wochenendes, am 4. Mai, kam die Nachricht auf die Titelseite, jedoch waren die Inhalte weiterhin auf die Entwarnung gerichtet. Für die Verbreitung der Nachricht über einen der größten AKW-Unfälle der Geschichte musste man 10 Tage warten, wobei in Skandinavien die Strahlung sofort gemessen wurde.
Was den Hintergrund des Unfalls betrifft, hat man auf den wirklichen Umbruch laut Attila Aszódi, Professor der TU Budapest, bis August 1986 warten müssen: Erst dann haben die Sowjets in Wien bei der Internationalen Atomenergie-Organisation über die Details des Unfalls berichtet. Auch Aszódi ist der Meinung, dass sich die damalige Berichterstattung der ungarischen Medien eher auf die Beruhigung der Bevölkerung als auf die Bekanntmachung der Lage fokussierte. „Es gibt keine Strahlung, und die nimmt Tag für Tag ab“ – hieß es. Als die Verunreinigung den ungarischen Luftraum erreichte, konnte die Bevölkerung die Gefahr nicht wirklich ermessen, da es über die Ursachen keine Aufklärung gab. Die damalige politische Führung hat es unterlassen, die ungarische Bevölkerung rechtzeitig und korrekt zu informieren.
Gleichzeitig wurde eine Fläche von 150.000 Quadratkilometern – Weißrussland, Russland und Ukraine – stark verschmutzt, was das Leben in diesem Lebensraum von insgesamt 8 Millionen Menschen von einem Moment auf den anderen unmöglich machte. 350.000 Menschen mussten ihre Häuser verlassen, die bis heute nicht zurückkehren konnten. 34 Jahre nach den Ereignissen leben in diesen drei Ländern immer noch fünf Millionen Menschen in kontaminierten Gebieten, und die Inzidenz von Schilddrüsenkrebs und anderen Krankheiten, einschließlich vieler psychischer Erkrankungen, ist viel höher als anderswo auf der Welt, so Greenpeace auf ihrer Webseite.
Folgen für Ungarn
Viele Ungarn, hauptsächlich im Westen des Landes, haben Berichte über den Unfall von dem österreichischen Rundfunk gehört und wurden vorsichtiger, um sich vor einer möglichen radioaktiven Strahlung zu schützen. Aufgrund des in anderen europäischen Ländern eingeführten Einreiseverbots transportierten ungarische Frachter die Waren aus der Sowjetunion, und viele von ihnen durch Kiew. Die meisten sollen unterwegs signifikante Strahlendosen abbekommen haben, viele starben innerhalb weniger Jahre. Es gab jedoch nie einen klaren Zusammenhang mit Tschernobyl.
In Ungarn betrug die zusätzliche Dosis, die man 1986 bekommen hat, 0,2 mSv (zum Vergleich: Die Hintergrunddosis betrug durchschnittlich 3 mSv / Jahr). In den Tagen nach dem Unfall wurde in der Schilddrüse von Kühen in den am stärksten verschmutzten Gebieten Ungarns eine Aktivität von etwa 50 kBq gemessen.
Es ist auch eine interessante Tatsache, dass die österreichischen Behörden den Export ungarischer Produkte (hauptsächlich Lebensmittel) an der Grenze verboten haben, da diese (aufgrund ihrer Nachbarschaft zur Sowjetunion) als kontaminiert angesehen wurden.
Über die weltweiten gesundheitlichen Langzeitfolgen gibt es seit Jahren Kontroversen. Die WHO hält insgesamt weltweit ca. 4000 Todesopfer vor allem durch Krebserkrankungen für möglich. Direkt der Katastrophe zugeschriebene Todesfälle, größtenteils infolge von akuter Strahlenkrankheit, gab es laut diesem Bericht weniger als 50.
Als wesentlichster Effekt wurde das vermehrte Auftreten von Schilddrüsenkrebs beobachtet, einer Krebsform mit sehr guter Prognose. Dieses hätte mit einfachen medizinischen Mitteln, durch eine sog. Jodblockade, von der damaligen Regierung verhindert werden können.
Der damalige Generalsekretär der kommunistischen Partei KPdSU, Michail Gorbatschow, bezeichnete 1986 in einer öffentlichen Stellungnahme die westliche Berichterstattung über das Unglück als „zügellose antisowjetische Hetze“.
Quelle: nemzetikonyvtar.blog.hu index.hu de.wikipedia.org Bild: Pixabay