Mein Freundeskreis empfindet es oft als Wunder, dass Ungarn trotz der vielen Schwierigkeiten in seiner Geschichte immer wieder wie ein Phönix aus der Asche auferstanden ist.Weiterlesen
Die Ungarn haben sich überall auf der Welt behauptet und sie haben sich auch in Argentinien beliebt gemacht, sagt die Gründerin der Argentinischen Ungarischen Zeitung. Sie betonte jedoch, dass viele in der Diaspora leider Integration mit Assimilation verwechseln. Zsuzsánna Haynalné Kesserű war noch ein Kind, als ihre Familie Ungarn am Ende des Zweiten Weltkriegs verließ. Trotz anfänglicher Schwierigkeiten wurde sie ein aktives und wichtiges Mitglied der lokalen ungarischen Gemeinschaft in Argentinien und arbeitete neben ihrem Hauptberuf als Bibliothekarin, Verlegerin und Journalistin. In Anerkennung ihres jahrzehntelangen Einsatzes für die ungarischen Interessen in Argentinien wurde sie kürzlich von der Stiftung der Freunde von Ungarn mit dem „Freund von Ungarn“ Preis ausgezeichnet. Interview.
Welche Erinnerungen haben Sie an das Jahr 1944, als sie Ungarn verlassen haben?
Wir sind wegen der Bombenangriffe losgegangen, wir waren damals (Dezember 1944) zu dritt mit unserer Mutter in Enese (ein Dorf 20km von Győr entfernt), während mein Vater noch in Budapest war, daher konnte er zuerst nicht mit uns kommen. Aber wir wussten, dass unser Weg nach Westen führte.
Wir mussten Enese verlassen, da die sowjetischen Truppen bereits einmarschiert waren und Ungarn traurige Erinnerungen an den Kommunismus hatte. Aber auch da wo wir hingingen, war die Welt auf den Kopf gestellt. Überall gab es Bombenangriffe, unzählige Flüchtlinge und dieser Winter war besonders hart. Schließlich bestimmten unseren Weg die nicht bombardierten Schienen…
Wie sind Sie nach Argentinien gekommen?
Die Schweiz war damals eine Insel und mein Vater arbeitete, im Außenministerium. Er hatte Kontakte in der Schweiz, so wurde das unser erstes Fluchtziel.
In der Schweiz waren wir dreieinhalb Jahre, aber mein Vater wurde nicht eingelassen. So sind wir in Argentinien gelandet. Ich war 10 Jahre alt, als wir ankamen.
Wie war die Haltung Argentiniens?
Argentinien, und insbesondere Präsident Perón, war immer sehr integrativ, ungeachtet vom Herkunftsland oder anderen Hintergründen. Argentinien ist wie andere südamerikanische Länder ein Einwanderungsland. Der historischen Situation entsprechend kamen die Einwanderer an: Juden in den 30er und 40er Jahren, nach dem Krieg vor allem Osteuropäer: Polen, Ungarn, Slowaken, Rumänen, Ukrainer.
Es ist wichtig zu beachten, dass Argentinien zur Zeit des Krieges ein sehr reiches Land war. Es exportierte große Mengen Weizen und Fleisch für harte Währungen sowohl an die im Krieg beteiligten Achsenmächte als auch an die Alliierten.
Wie verlief die Integration?
Obwohl wir großzügig aufgenommen wurden, bekamen wir – im Gegensatz zu dem, was in den angelsächsischen Ländern geschah – , keine Hilfe vom Staat.
Sobald wir das Schiff verlassen hatten, wurden wir in dem sogenannten „Einwanderungshotel” (Hotel de Inmigrantes) untergebracht. Die Männer gingen täglich in die Stadt, um Arbeit zu suchen. Sobald jemand eine Arbeit fand und der Lebensunterhalt gesichert war, konnte man etwas mieten. Mein Vater sprach fünf Sprachen, aber er wurde ein Fabrikarbeiter.
Was unsere Familie betrifft: Es gab immer Essen auf dem Tisch, aber das bedeutete nicht, dass wir Kinder nicht unser Eigenes dazugeben mussten, entweder in Form von Hilfe oder ganz konkret mit eigenem verdientem Geld.
Womit haben Sie angefangen?
Ich habe die Grundschule und das Gymnasium abgeschlossen. Die Erhaltung der Sprachen war ungemein wichtig. Neben dem vorhandenen Ungarisch, Französisch und Deutsch kam Spanisch hinzu, die Amtssprache in Argentinien. Mit meinen Französischkenntnissen konnte einem jüngeren Mädchen Privatunterricht geben und habe mit diesem Geld Englisch gelernt. Mit der Entwicklung meiner Sprachkenntnisse wurde ich später Simultandolmetscherin.
Wie kamen Sie zum Journalismus?
Das kam sehr viel später. In den 70er Jahren begann ich Artikel für die dortige ungarische Zeitung zu schreiben. Vielleicht habe ich zuerst über meinen Besuch in Ungarn 1976 geschrieben. Ich habe nicht regelmäßig geschrieben, sondern nur, wenn mich etwas interessierte. Im Laufe meiner Arbeit entstanden eine Reihe von Themen, die Ungarn im Ausland interessierten.
Wie wurde daraus die Ungarische Zeitung in Argentinien?
Der dort lebende ungarische Herausgeber einer seit 1929 vorhandenen ungarischen Zeitung wurde alt und starb. Die Kolonie blieb ohne eine ungarisch-sprachige Zeitung zurück. Deshalb habe ich diese Aufgabe übernommen und daraus wurde die Ungarische Zeitung in Argentinien.
Langsam wurde sie bekannt, da wir auch in andere Länder auf der Welt verschickten, in denen es ungarische Kolonien gab, und natürlich nach Ungarn. Ich konnte aber davon weiterhin nicht leben, sondern vom Dolmetschen. Zum Glück hatte ich Zeit, mich um die Zeitung zu kümmern, eine von mir sehr geliebte Tätigkeit.
Wie konnten sie das Blatt finanzieren?
Von Abonnenten, dazu etwas eigenem Geld und vor allem Spenden. Glücklicherweise gab es diejenigen, die es für wichtig hielten, dass die Kolonie eine ungarisch-sprachige Zeitung hat und sie waren auch bereit, dafür Opfer zu bringen.
Und warum hat es schließlich aufgehört?
Am Ende existierte die Zeitung fast 10 Jahre. Leider konnte ich sie finanziell nicht aufrechterhalten, es gab nicht genügend Abonnenten. Die neuere Generation las nicht viel, die Älteren begannen auszusterben.
Seit wann lebt eine bedeutende Zahl von Ungarn in Argentinien?
Die ersten Ungarn kamen während der Zeit von Franz Joseph. Der Begriff „húngaro” war lange Zeit sehr abwertend, denn nach der Politik von Franz Joseph wurden viele Zigeuner weggeschickt, die mit ungarischen Pässen nach Argentinien ankamen. Daher wurden wir oft Zigeuner genannt.
Wie groß ist die ungarische Kolonie in Argentinien?
Vorwiegend liest man von 30-40.000 Menschen, aber in dieser Zahl sind alle Nachkommen mitgerechnet, daher ist diese Zahl irreführend, denn es kommt auch darauf an, wen wir Ungarisch nennen.
Meiner Meinung nach kann man in Wahrheit 10 % von der oben genannten Zahl annehmen, denn es gibt viel Assimilation und man muss schauen, wer noch an seinem Ungarntum hängt: wer schickt sein Kind auf eine ungarische Wochenendschule, wer zelebriert die nationalen Festtage, usw.
Wo sind die größten Zentren?
Natürlich ist Gross-Buenos Aires die Nummer eins, aber es gibt auch viele andere Orte im Land. Da ist Mendoza, Córdoba oder im Norden ein relativ armer Landstreifen, Chaco.
In der 13 Millionen Stadt Buenos Aires, in der sogenannten Nordzone konzentrieren sich übrigens die Ungarn, hier sind auch die meisten Vereine. Bis heute gibt es ungarische Kirchenvertreter im Großraum Buenos Aires mit ungarischen Messen im Mindszentynum und Gottesdiensten in der reformierten und lutherischen Kirche. Und da ist der Ungarische Pfadfinderverband im Ausland, der weltweit dazu beiträgt, das Ungarnsein in den Nachkommen aufrechtzuerhalten.
Wie viele ungarische Vereine gibt es in Buenos Aires?
Ungefähr zwei sind übriggeblieben. Der wichtigste ist der Hungária Verein in Olivos, hierher kommen die Jugendlichen, hier ist das Pfadfinderhaus (dazu gehört der Zrínyi Jugendkreis, wo auch am Wochenende der ungarische Sprachunterricht stattfindet). Im Hungária Klub findet auch der jährliche, sehr festliche große Ball statt, wo das Publikum den traditionellen „palotás“-Tanz bewundern kann. Dieser Tanz wurde schon vor Jahrhunderten von Jungen Edelleuten ausgeführt, und die entsprechende Kleidung können wir nun jährlich geniessen. In der südlichen Zone der Großstadt gibt es einen Ungarischen Verein in Valentín Alsina, doch da wird Ungarisch kaum mehr gesprochen.
Wie sieht die Situation beim Lernen der ungarischen Sprache aus?
Samstags gibt es in dem Klub Hungária, oder in dem bereits erwähnten Pfadfinderhaus, am Vormittag Ungarisch Unterricht und am Nachmittag Pfadfinderaktivitäten. Im Verlaufe der Zeit ergaben sich immer mehr Mischehen (Ungarn mit Nicht-Ungarn) und oft verlangte der ungarische Elternteil, dass das Kind Ungarisch lernt. Oft fragen mich die Eltern, was nützt das überhaupt? Ich erkläre immer, dass der phonetische Reichtum der ungarischen Sprache hilft, auch andere Sprachen zu lernen.
Gleichzeitig verwechseln viele leider Integration mit Assimilation. Es ist schön sich zu integrieren, aber man muss nicht assimiliert werden, der Mensch kann klar bei seinen eigenen Wurzeln bleiben und gleichzeitig anderswo absolut integriert sein. Man kann sich die Mentalität zu Eigen machen, genauso wie auch meine Mentalität unterschiedlich ist, zum Beispiel von der Ungarischen.
Wie hat sich die Einstellung des Mutterlandes gegenüber der Diaspora in den letzten 30 Jahren verändert?
Offenbar änderte sich dies nach dem Regimewechsel radikal, als man anfing zu erkennen, dass diejenigen, die die Heimat verlassen mussten, überall Botschafter Ungarns wurden und dem Mutterland nützlich sein konnten. Ich persönlich habe das Gefühl, dass wir eine Mission für Ungarn haben, und ich versuche, diese Einstellung an meine Familie weiterzugeben.
Sind in letzter Zeit viele nach Ungarn zurückgekehrt?
Aus Argentinien nicht viel. Für mich würde es zum Beispiel eine zweite Auswanderung bedeuten, die ich aus naheliegenden Gründen nicht vornehmen werde.
Wer sind die bekanntesten Ungarn, die auch zur argentinischen Kultur beigetragen haben?
General János Czetz, der Revolutionär von 1848, der die argentinische Militärakademie gründete. Er genießt bis heute hohes Ansehen, die Akademie gedenkt ihm jedes Jahr und man weiß, dass er ein Ungar war.
Dann ist da noch der Erfinder des Kugelschreibers, László Bíró. In Argentinien heißt der Kugelschreiber „birome”, was sich aus seinem Namen und dem seines deutschen Miterfinders ableitet. Viele ungarische Ärzte haben sich auch einen Namen gemacht. Insgesamt habe ich das Gefühl, dass sich die Ungarn überall auf der Welt Anerkennung verschafft haben und sie auch in Argentinien geliebt werden.
Was bedeutet Ihnen der Preis der Stiftung Freunde von Ungarn?
Es war eine große Überraschung. Aber wie ich vorhin schon sagte, man arbeitet nicht um belohnt zu werden, sondern aus Pflichtgefühl, einer Art Berufung, und weil man daran glaubt.
(geschrieben von Hungary Today, übersetzt von Katharina Haffner, Fotos: Zita Merényi)