Ungarn sei praktisch keine Demokratie, meint ein liberaler Kolumnist. Ein politisch in der Mitte angesiedelter Kritiker der Regierung pflichtet entsprechenden Vorwürfen weitgehend bei, hält das konkrete Urteil aber für übertrieben. Ein regierungsnaher Politologe glaubt, dass die ungarische Demokratie von außen gefährdet wird. Presseschau von budapost.de.
Im Wochenmagazin Heti Világgzdaság kritisiert Tamás Ónody-Gomperz diejenigen, die glaubten, ein Regime sei so lange demokratisch, wie dessen Führung durch Wahlen abgelöst werden könne. Wie lasse sich sicherstellen, dass eine Regierung zum Teufel gejagt werde, wenn sie – wie im Falle Ungarns – mehrere Wahlen hintereinander gewonnen habe? Doch die eigentliche Frage laute, ob derartige Wahlen überhaupt einen Sinn ergäben oder nicht. Ónody-Gomperz verweist auf ein Urteil des deutschen Bundesverfassungsgerichts. (Das oberste Gericht der BRD hatte Innenminister Seehofer dafür getadelt, dass er in einem Interview mit einer offiziell von seinem Ministerium herausgegebenen Publikation die Politik seiner Partei (CSU) propagiert habe. Der Staat und seine Institutionen, so das Gericht, müssten in politischer Hinsicht neutral sein – Anm. d. Red.)
In Ungarn nutze die Regierung dreist öffentliche Mittel, um parteipolitische Propaganda zu betreiben, behauptet Ónody-Gomperz und konstatiert: Damit sei Ungarn gemäß den Maßstäben des deutschen Verfassungsgerichts keine Demokratie.
Szabolcs Szerető von Magyar Hang konstatiert, dass die Ansichten zu diesem Thema auf beiden Seiten unversöhnlich radikal ausfielen. Während der eine Ungarn als eine Diktatur betrachte, halte es der andere für das perfekteste Beispiel einer Demokratie überhaupt. Die linksliberale Opposition habe sich bereits vor 27 Jahren in Weltuntergangsszenarien ergangen, erinnert Szerető. Damals habe sie vermutet, dass die erste demokratisch gewählte (Rechts-)Regierung im Falle eines Wahlsieges der Opposition diese mit militärischer Gewalt an einer Regierungsbildung hindern würde. Ungeachtet solcherlei Befürchtungen seien die Regierungswechsel in allen bisherigen vier Fällen reibungslos verlaufen.
Allerdings glaubt der Kolumnist tatsächlich, dass das Gesetz über die Verbreitung von Fake News in Zeiten des Corona-Notstands einen negativen Trend im Wirkungsbereich der Demokratie signalisiert habe. Obwohl es die strafrechtliche Verfolgung von Meinungen nicht autorisiert habe, seien mehrere Dutzend Personen von der Polizei verhört worden. Sicher, lediglich elf von ihnen hätten sich letztendlich vor dem Kadi wiedergefunden und einer sei auch verurteilt worden, dennoch vertritt Szerető die Auffassung, dass das Gebaren der Behörden Ungarn weiter von dem entfernt habe, was er „eine normal funktionierende Demokratie“ nennen würde.
In einem Programm des staatlichen Kossuth Rádiós hat Tamás Fricz die Behauptung aufgestellt, dass die Demokratie eher durch internationale Eliten als von auf die Unterstützung des Volkes angewiesene nationale Regierungen gefährdet werde. Unter Bezugnahme auf aktuelle Umfragen betont der regierungsnahe Politologe, die Menschen in ganz Europa sprächen sich nach wie vor mit überwältigender Mehrheit für die Demokratie aus, seien aber zunehmend unzufrieden mit der Art und Weise, wie sie funktioniere.
Dieses Missbehagen sei weitgehend auf die Konzentration von immer mehr Macht in den Händen von transnationalen Konzernen und supranationalen Institutionen zurückzuführen, so Fricz in einem vom Nachrichtenportal Hírado verbreiteten Diskussionsprogramm des Senders. Die Verantwortlichen dafür bildeten eine besondere Klasse, die von den lokalen Gesellschaften weitgehend losgelöst sei. Ihr wachsender Einfluss sowie ihre Macht stellen laut Fricz die größte Bedrohung für die Demokratie in unseren Tagen dar, nicht jedoch die Aktivitäten von Regierungen, die versuchen würden, die nationale Souveränität zu schützen.
(Via: budapost.de, Beitragsbild: Steve Buissinne – Pixabay)