Im neuen ungarischen Historikerstreit verurteilen rechte Kommentatoren die Perspektive der großen Mehrheit linksliberaler Geschichtswissenschaftler mit Blick auf den Friedensvertrag von Trianon. Deren Ansicht nach hatte die Freimaurerei keinerlei Einfluss auf die Bestimmungen des Vertrags. Laut Meinung der Kommentatoren geht es bei der Auseinandersetzung im Kern um gegenwärtige, vermeintlich geheime Operationen internationalistisch-liberaler Netzwerke. Presseschau von budapost.de.
Im Juni hatte Árpád Szakács einen der führenden Historiker des Landes scharf kritisiert. (Der gescholtene Ignác Romsics hält die Theorie, der zufolge die Erarbeitung des Friedensvertrags von Trianon das Resultat einer freimaurerischen Verschwörung gewesen sei, für „puren Wahnsinn“ – Anm. d. Red.) In dem Beitrag für die regierungsnahe Tageszeitung Magyar Nemzet zitiert der Hobbyhistoriker Szakács den konservativen Geschichtswissenschaftler Ernő Raffay. Dieser hatte in verschiedenen Veröffentlichungen von Beweisen gesprochen, wonach viele der Hauptverantwortlichen für die nach dem Ende des Ersten Weltkriegs abgeschlossenen Friedensverträge Freimaurer gewesen seien.
Szakács behauptet nun in seinem Artikel vom Juni, dass es sich im Gegensatz zu Freimaurerlogen in den Nachbarländern – denen es vor allem um das jeweilige nationale Interesse gehe – bei ungarischen Freimaurern sowie kommunistischen und die Rolle der Freimaurer leugnenden zeitgenössischen Historikern um „internationalistische Verräter“ handeln würde. Szakács bezieht sich auch auf die Erklärung eines rumänischen Freimaurers, dem zufolge sie es gewesen seien, die die Ungarn aufoktroyierten territorialen Veränderungen veranlasst hätten.
Die Gedanken von Szakács wurden seitens mehrerer Historiker und Journalisten zurückgewiesen. In Magyar Nemzet beschreibt Krisztián Ungváry diese Thesen als völlig unbegründet und unwissenschaftlich. So seien die weitaus meisten ungarischen Freimaurer Ende der 1920er Jahre Nationalisten gewesen. Ungváry konstatiert, dass Szakács’ Ideen nichts weiter als unfundierte Verschwörungstheorie seien, und nennt ihn „einen laienhaften Hobbyhistoriker“. In einer Nebenbemerkung macht Ungváry auch darauf aufmerksam, dass Raffay früher ein Informant der kommunistischen politischen Polizei gewesen sei.
In einer Replik – erschienen in der selben Tageszeitung – beschuldigt Szakács Ungváry, er würde seine berufliche Qualifikation als Trumpfkarte ausspielen, statt sachliche Beweise vorzulegen. Szakács behauptet, dass Zitate, von Fachleuten geprüfte Veröffentlichungen und Konferenzteilnahmen lediglich Inszenierungen wissenschaftlicher Ränkespiele seien, die diejenigen zum Schweigen bringen sollten, die ihre Hegemonie und Tabus herausfordern würden. Szakács versteigt sich gar zu einem Vergleich der zeitgenössischen liberalen Sozialwissenschaften mit der Inquisition. Er wirft ihren Vertretern vor, die Hegemonie ihrer „im stalinistischen Erbe verwurzelten“ Sozialwissenschaft mit Hilfe von Dogmatismus und Ausgrenzung bewahren zu wollen.
In einem langen und ebenfalls in Magyar Nemzet veröffentlichen Essay behauptet Ernő Raffay, dass Freimaurer seit der Französischen Revolution stets eine antichristliche Ideologie vertreten würden. Die ungarischen linken Freimaurer des frühen 20. Jahrhunderts hätten ebenso wie die derzeitigen linken Demonstranten das Christentum ins Visier genommen und es durch ihre eigene Ideologie ersetzen wollen, so die Überzeugung des rechtsorientierte Historikers.
Der Chefredakteur von Magyar Demokrata hält es für durchaus vielsagend, dass liberale Historiker immer dann hysterisch würden, wenn Freimaurern vorgeworfen werde, am Friedensvertrag von Trianon und an der Zerstückelung Großungarns beteiligt gewesen zu sein. Linksliberale Historiker wollten den Einfluss der Freimaurerei herunterspielen, um das Vorgehen „zeitgenössischer Mächte, die heimlich im Schatten operieren“, zu vertuschen, sinniert András Bencsik. Als Beispiel verweist der regierungsnahe Kolumnist auf von der Europäischen Union vorgebrachte Kritik. Diese, so vermutet Bencsik, werde von einigen geheimen Verbindungen zeitgenössischer Freimaurer inszeniert.
Eine Gruppe von Historikern springt Ignác Romsics zur Seite und verteidigt ihn. In Magyar Hang verwerfen sie die Annahme, die ungarischen Freimaurer könnten für die Bestimmungen des Friedensvertrags von Trianon verantwortlich sein, als reines Hirngespinst. Sie führen eine Untersuchung an, aus der das genaue Gegenteil hervorgehe: Demnach hätten die ungarischen Freimaurer ihre westlichen Kollegen davon zu überzeugen versucht, den führenden Repräsentanten der Siegermächte die legitimen Interessen Ungarns nahezubringen.
Balázs Ablonczy, ein konservativer Historiker und führender Experte zum Thema Friedensvertrag von Trianon, verweist in einem Népszava Mitte Juni gegebenen Interview auf eine interessante Tatsache: Demnach hatten während des Ersten Weltkriegs die Freimaurer in jeder der verfeindeten Nationen die Unterstützung ihrer jeweils eigenen Länder beschlossen.
(Via: budapost.de, Beitragsbild: MTI – György Varga)