Einer der Protagonisten der politischen Wende 1989/90 lehnt die von einigen der Opposition nahestehenden Intellektuellen verfochtene Idee ab, dass im Falle eines Wahlsieges der Opposition im kommenden Frühjahr die neue Volksvertretung das Grundgesetz abschaffen könnte, und zwar auch ohne über die eigentlich erforderliche Zweidrittelmehrheit der Parlamentsabgeordneten zu verfügen. Presseschau von budapost.de.
In den letzten Monaten haben linke und liberale Juristen – nicht jedoch führende Politiker der Opposition – argumentiert, dass das Grundgesetz und die darauf basierenden zentralen Gesetze in Kraft bleiben und die verschiedenen die Regierung kontrollierenden Positionen weiterhin von Kandidaten der Fidesz-Administration besetzt werden würden, da bei den Wahlen 2022 ein Sieg der Opposition mit Zweidrittelmehrheit höchst unwahrscheinlich sei. Dieses Szenario würde ihrer Meinung nach die neue Regierung lähmen, weshalb das Grundgesetz auch dann abgeschafft werden sollte, falls die neue Mehrheit nicht das erforderliche Zweidrittel der Parlamentarier erreichen würde (siehe z.B. BudaPost vom 1. März).
Der Rechtsanwalt Imre Kónya bezeichnet es als traurig, dass sich mit János Kis eine der wichtigen Persönlichkeiten des Regimewechsels dem beschriebenen Chor von Intellektuellen angeschlossen habe (siehe BudaPost vom 24. Mai). In einem Gastbeitrag für Mandiner räumt der Jurist ein, dass Kis einige Vorbehalte geäußert habe. So beispielsweise, dass die neue Regierung, statt das Grundgesetz sofort nach den Wahlen abzuschaffen, zunächst abwarten sollte, bis der Sturz des Fidesz einen politischen Erdrutsch innerhalb der öffentlichen Meinung bewirkt habe. Falls es aber einen solchen politischen Erdrutsch geben sollte, warum dann nicht das Parlament auflösen und bei Neuwahlen eine Zweidrittelmehrheit gewinnen?, fragt der Gründer des oppositionellen Runden Tisches von 1989, der die verschiedenen Kräfte zu Zeiten der Wende vereint und so Verhandlungen über eine friedliche Transformation ermöglicht hatte. Abschließend äußert Kónya die Hoffnung, dass János Kis mit politischem Erdrutsch nicht die Herrschaft eines Mobs meint, der aus gegen die andere Seite aufgehetzten Anhängern der Linken bestehe.
(Via: budapost.de, Titelbild: MTI – Noémi Bruzák)