Kommentatoren aus der gesamten Breite des politischen Spektrums betrachten die Wahl als einen existenziellen Kampf um die Seele und die Zukunft Ungarns. Auch ein ehemaliger liberaler Parlamentsabgeordneter sieht in dem Urnengang vom 3. April ein bedeutsames Kapitel im Ringen um eine neue Weltordnung.
Árpád W. Tóta von Heti Világgazdaság sagt eine Manipulation der Wahl seitens der Regierung voraus. Der linksliberale Kolumnist hält den Urnengang für zutiefst unfair, da die Opposition viel weniger Gelegenheit als die Regierungspartei gehabt habe, sich in den staatlichen Medien zu präsentieren. Das einzige Ziel des Fidesz bestehe darin, das Land weiter auszuplündern, selbst wenn aufgrund dessen für Ungarn bestimme EU-Fördergelder gestrichen würden, so Tóta. Sollte der Fidesz gewinnen, werde sich hierzulande alles zum Schlechteren wenden, einschließlich des Bildungs- und Gesundheitswesens, warnt Tóta und konstatiert, dass junge Menschen das Land weiterhin zu Tausenden verlassen würden.
Der Regierung werde es nicht gelingen, sich mit Hilfe von niedrigeren Energieversorgungstarifen und verschiedenen anderen Versprechungen genügend Stimmen zu erkaufen, so die in einem Leitartikel von 168 Óra zum Ausdruck gebrachte Hoffnung. Das linke Wochenmagazin ruft die Wähler dazu auf, strategisch zu denken und die Regierung abzuwählen. Das Kabinett von Viktor Orbán habe Ungarn in Europa isoliert, behaupten die Leitartikler und unterstellen, dass die neue Regierung nach der Wahl vor großen finanziellen Schwierigkeiten stehen werde.
Ferenc Gegesy geht davon aus, dass dies die letzte Chance der Opposition für einen Sieg über den Fidesz sei. In einem Gastkommentar für Élet és Irodalom wirft der ehemalige SZDSZ-Bürgermeister des IX. Budapester Stadtbezirks dem Fidesz eine die Zukunft Ungarns gefährdende massive Korruption vor. Der liberale Autor gibt sich immerhin zuversichtlich, dass die Opposition eine Chance auf einen knappen Wahlsieg habe. Aber selbst wenn sie gewinnen sollte, werde sie es schwer haben, die Politik des Fidesz rückgängig zu machen und durch Korruption ausgegebene Gelder zurückzufordern. Falls die Opposition nicht gewinne und der Fidesz nach einem Wahlsieg an der Macht bleibe, „wird er seine Mission der Errichtung einer Diktatur vollenden“, befürchtet Gegesy.
András Bencsik, Chefredakteur von Magyar Demokrata, beschuldigt die Linken und „die angeblich nicht existierenden verborgenen internationalen Mächte, die ihnen helfen“, im Wahlkampf eine Offensive des Hasses in Gang gesetzt zu haben. Der regierungsnahe Kommentator pflichtet Ministerpräsident Orbán bei, dass es am Sonntag um Leben und Tod gehe, und weist darauf hin, dass ein Sieg der Opposition bei den Wahlen zu einer direkten Beteiligung Ungarns am „Krieg zwischen Ost und West“ in der Ukraine führen könnte. Bencsik ruft die Wähler auf, den Fidesz, die Partei der „Engel und Patrioten“, zu unterstützen und ihr zu helfen, die Linke zu besiegen, die aus „dummen und neidischen Proleten, hasserfüllten und kranken Kommunisten, globalistischen Agenten und unverantwortlichen Kosmopoliten“ bestehe.
Ein Sieg der Linken würde sowohl die Sicherheit als auch die wirtschaftlichen Interessen Ungarns gefährden, notiert Zoltán Kiszelly auf dem Blog Mozgástér. Der regierungsnahe Politikwissenschaftler beschuldigt die Opposition, dass sie mit ihrer Forderung, Ungarn sollte Waffen in die Ukraine schicken, „ungarische Leben gefährdet“. Zudem befürworte die „globalistische“ Linke schärfere Wirtschaftssanktionen gegen Russland, echauffiert sich Kiszelly. In diesem Zusammenhang erinnert er daran, dass man ohne russisches Gas und Öl erheblich mehr für Energie bezahlen müsste, was tiefgreifende Folgen für alle Ungarn hätte.
Der ehemalige SZDSZ-Abgeordnete Péter Hack ist der Meinung, dass die ungarischen Wahlen ein bedeutendes Kapitel im Kampf um die neue Weltordnung darstellen würden. Die Oppositionsparteien erhielten wichtige Unterstützung von der US-Regierung und dem ukrainischen Präsidenten, die die Behauptung der Linken bekräftigen würden, dass Ungarn im Falle eines Fidesz-Wahlsieges zu einem Bestandteil der russischen Einflusssphäre werden dürfte, notiert Hack in der Wochenzeitschrift Hetek.
Die Regierung hingegen folge pragmatischen wirtschaftlichen Erwägungen, wolle sich aus dem Krieg heraushalten und lehne eine Kappung russischer Gaslieferungen ab, da dies für Ungarn äußerst negative ökonomische Folgen hätte. Hack fügt hinzu, dass die Wahl auch eine Schlacht im Kulturkampf darstelle, da die Wähler über das umstrittene Kinderschutzgesetz der Regierung entscheiden würden (siehe BudaPost vom 2. August 2021).
US-Präsident Bidens „Krieg für eine neue, auf fortschrittlichen Werten basierende Weltordnung“ werde nicht in Ungarn entschieden, stellt Hack abschließend klar und schränkt ein: „Wie die beispiellose internationale Aufmerksamkeit sowie die Bemühungen zur Beeinflussung der Wahl zeigen, betrachten die Befürworter der neuen Weltordnung Ungarn als ein wichtiges Schlachtfeld.“
(via budapost.de, Beitragsbild: MTI/Nándor Veres)