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BUDAPOST: Weiter in den Schlagzeilen: der langsame Abschied vom russischen Öl

Ungarn Heute 2022.05.16.

Regierungsnahe Kommentatoren halten die Absicht der Europäischen Union, sich von russischen Erdölimporten unabhängig zu machen, für nicht realistisch – ja sogar kontraproduktiv. Auch linke und liberale Beobachter sehen die wirtschaftlichen Kosten des Öl-Embargos, befürchten aber, dass ein Verzicht auf die Maßnahme die EU schwächen und Russland nützen würde. Presseschau von budapost.de. 

Am Freitag veröffentlichte Politico einen Artikel, in dem es heißt, die EU könnte die Idee eines Öl-Embargos für russisches Erdöl aufgeben. Unter Berufung auf nicht näher bezeichnete Quellen behauptet die europäische Ausgabe des Politikmagazins, die EU-Spitze habe angesichts eines von Ungarn angedrohten Vetos den Plan ad acta gelegt. Die Europäische Kommission wies diese Behauptung zurück und bekräftigte ihre Absicht, ein Verbot für Ölimporte aus Russland zu verhängen.

Ein Öl-Embargo würde die Inflation in der EU weiter anheizen, glaubt László Szőcs. Folglich wäre der Verzicht auf ein Einfuhrverbot für mehrere EU-Mitgliedstaaten von Vorteil, argumentiert der regierungsnahe Kommentator der Tageszeitung Magyar Nemzet. Er macht geltend, dass Ungarn gar keine andere Wahl habe, als sein Veto einzulegen. Immerhin decke das Land mehr als 60 Prozent seines Ölbedarfs mit Einfuhren aus Russland. Szőcs vermutet, dass Ungarns Veto auch anderen von russischem Öl abhängigen EU-Staaten helfen würde – Staaten, die jedoch nicht bereit seien, einen diplomatischen Konflikt mit Brüssel zu riskieren. Aber Ministerpräsident Orbán sei ein erfahrener Politiker mit starker öffentlicher Unterstützung, fügt Szőcs hinzu und weist darauf hin, dass laut einer aktuellen Umfrage der Denkfabrik Századvég zwei Drittel der hiesigen Bevölkerung ein Öl-Embargo ablehnen würden.

In Magyar Hírlap äußert Mariann Őry die Hoffnung, Politico möge Recht haben und die EU ihre Öl-Embargo-Pläne aufgeben. Die konservative Kolumnistin stimmt mit der Regierung darin überein, dass die Wirtschaftssanktionen die russische Außenpolitik nicht besonders stark beeinflussen würden. Die Ungarn sollten nicht den Preis für den Krieg zahlen, pflichtet Őry der Haltung der ungarischen Führung bei und behauptet, die EU werde eher durch hysterisches und ideologisches Denken als durch vernünftiges Kalkül motiviert. Dass die Ungarn wegen des vermeintlichen Kampfes der Ukraine für „europäische Werte“ schlechter gestellt sein sollen, hält die Kolumnistin für absurd. Zu Gerüchten über Pläne, das Vetorecht der Mitgliedstaaten aufzuheben, schreibt Őry: Ein solcher Schritt würde zu einer weiteren Zentralisierung der EU-Strukturen führen und die Ungarn zu Bürgern zweiter Klasse innerhalb der Union degradieren.

György Unyatyinszki behauptet unter Verweis auf Experten für Ölraffinerien, dass Ungarn in relativ kurzer Zeit die Technologie seines Pipeline-Netzes für Importe vollständig umstellen und seine Raffinerien in die Lage versetzen könnte, Öl der Marke Brent statt russisches Ural-Rohöl zu beziehen. In 168 Óra räumt der linke Journalist ein, dass die Modernisierung der Infrastruktur der Gesellschaft MOL Hunderte von Millionen Dollar kosten würde. Doch habe der Mineralölkonzern mit der Einfuhr von billigerem Rohöl aus dem Ural riesige Gewinne erwirtschaftet. Zudem würde wohl auch die EU eine Modernisierung subventionieren, so Unyatyinszki.
Das Wochenmagazin widerspricht darüber hinaus in seinem Leitartikel der Regierung, wonach die Sanktionen Ungarn und der EU mehr schaden würden als Russland. Die russische Wirtschaft wird laut 168 Óra aufgrund der Sanktionen in diesem Jahr voraussichtlich um zwölf Prozent schrumpfen. Demzufolge sei es wichtig, Embargos und andere Sanktionen aufrechtzuerhalten, um Russland von einer weiteren territorialen Expansion abzuhalten.

Auf Telex fragt Gergely Brückner sich sowie seine Leserinnen und Leser, was für die EU wohl schlimmer sein würde: ein Verzicht auf russisches Öl oder die Aufgabe entsprechender Pläne samt dem sich daraus ergebenden Gesichtsverlust. Der liberale Kommentator geht davon aus, dass das angekündigte Öl-Embargo für die europäischen Volkswirtschaften einen schweren Schlag bedeuten würde. Andererseits würde die EU bei Aufgabe ihres Vorhabens ihren internationalen Ruf sowie ihre Glaubwürdigkeit verlieren, befürchtet Brückner. In einem Nebensatz weist der Autor darauf hin, dass Moskau im Falle einer Eskalation des Streits zwischen der EU und Russland eine Drosselung der Energielieferungen nach Europa beschließen könnte, wodurch Ungarn sowieso ohne russisches Öl und Gas dastehen würde.

Zsolt Kerner vom Nachrichtenportal 24.hu hält es für unwahrscheinlich, dass Ministerpräsident Viktor Orbán ohne ein Entschädigungsangebot aus Brüssel dem Öl-Embargo der EU zustimmen werde. Der linke Publizist weist darauf hin, dass Orbán gerade einen weiteren erdrutschartigen Wahlsieg errungen und daher keine Furcht vor einem Streit mit der EU habe. Dennoch werde der Weg zu einer Verständigung schwierig sein. Immerhin hätten einige Länder Brüssel bereits für die Bereitschaft kritisiert, Ungarn Hunderte von Millionen Euro als Entschädigung anzubieten.

Der Energiesicherheitsexperte József Balogh macht darauf aufmerksam, dass das russische Rohöl umso billiger werde, je mehr EU-Länder darauf verzichten würden. Folglich, so Balogh auf 444, würden diejenigen Länder, die es weiterhin importierten, noch höhere Gewinne damit erzielen – und zugleich die Geschlossenheit der EU untergraben.

(Via: budapost.de, Titelbild/Illustartion: MTI/Kelemen Zoltán Gergely)