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CDU-Parteitag wirkt sich kaum auf die deutsch-ungarischen Beziehungen aus

Ungarn Heute 2024.05.08.

Friedrich Merz und seine Frau Charlotte

In diesen Tagen findet in Berlin der 36. Parteitag der Christlich Demokratischen Union (CDU) statt, dem 1.001 Delegierte angehören. Wichtigster Tagesordnungspunkt des Treffens, das vom 6. bis 8. Mai 2024 stattfindet, war die Wahl einer neuen Führung am Montag. Friedrich Merz, Bundesparteivorsitzender seit 2022, wurde mit einer fast 90-prozentigen Mehrheit wiedergewählt. Außerdem wurden fünf Vizevorsitzende, ein Generalsekretär und ein stellvertretender Generalsekretär gewählt. Eine Analyse von Bence Bauer, Direktor des Deutsch-Ungarischen Instituts für Europäische Zusammenarbeit.

Vorgeschichte

Bei den Bundestagswahlen im September 2021 erlitt die bis dahin von Bundeskanzlerin Angela Merkel regierte CDU die größte Niederlage ihrer Geschichte. Mit nur 24,1 % der Stimmen geriet die Partei in eine schwere Führungskrise und musste nach einem neuen Weg suchen. Merkels Politik der Erfüllung vermeintlicher oder tatsächlicher gesellschaftlicher Erwartungen drängte die Partei nach links, und da sie sich zunehmend in prinzipienlosen Kompromissen und Regierungen verzettelte, war die CDU-„Marke“, die aus konservativer und christdemokratischer Politik bestand, kaum noch zu erkennen, und die Sachpolitik der Partei wurde zunehmend belanglos. Damit steht die CDU auch heute noch vor einer dreifachen Herausforderung: Zum einen strukturell, weil die Christdemokraten in den Bundesländern mit den Linksparteien regieren. Zum anderen inhaltlich, weil die Folgen der früheren Fehlentscheidungen der Partei (Atomausstieg, Migrationspolitik, Gender) die deutsche Gesellschaft bis heute prägen. Drittens ist auch die personelle Situation der CDU nicht einfach, denn bis auf wenige Ausnahmen sind Merkels Leute immer noch in Entscheidungspositionen. 2022 konnte der jetzige Parteivorsitzende Friedrich Merz erst im dritten Anlauf triumphieren, nachdem Merkels Leute zunächst gegen ihn arbeiteten, später scheiterten die kurzlebigen Parteivorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer und Armin Laschet kläglich, erstere wegen ihrer AfD-Politik, letzterer als Kanzlerkandidat bei der Bundestagswahl.

Eine Stärkung der authentisch konservativen Identität der Partei erwarten viele Analysten von Friedrich Merz,

der im nächsten Jahr 70 Jahre alt wird und seit seiner Wahl zweifellos respektable Wahlergebnisse für die CDU auf Landesebene erzielt hat und auch in Bundesumfragen stabil bei 30 % liegt, wobei eine echte konservative Trendwende noch aussteht. Die guten Umfragewerte sind auf die schlechte öffentliche Wahrnehmung der Bundesregierung zurückzuführen: Mehr als 70 % der Menschen halten die Regierung von Olaf Scholz für schlecht. Allerdings ist es Merz gelungen, die CDU, die sich nach der Bundestagswahl 2021 in einem desaströsen Zustand befand, zu stabilisieren und sich nach 17 Jahren ein neues, stärker profiliertes Programm zu geben. Die Politik der AfD ist jedoch eine Hypothek auf dem Vorsitz von Merz, deren Nagelprobe die Herbstwahlen in den ostdeutschen Bundesländern sein werden. Es ist fraglich, ob die CDU bereit sein wird, mit der AfD zu kooperieren, zumindest auf Landesebene. Derzeit weigert sie sich hartnäckig, dies zu tun.

Ergebnisse

Friedrich Merz erhielt 873 der 972 abgegebenen Stimmen, was einem Anteil von 89,81 % entspricht. Die fünf stellvertretenden Vorsitzenden waren Karl-Josef Laumann, Minister für Soziales und Arbeit in Nordrhein-Westfalen und Vorsitzender der Christlich Demokratischen Arbeitnehmerschaft (92%), Michael Kretschmer, Ministerpräsident von Sachsen (88%), Andreas Jung, Bundestagsabgeordneter aus Baden-Württemberg (79%), Silvia Breher, Bundestagsabgeordnete aus Niedersachsen (77%) und Karin Prien, Kultusministerin in Schleswig-Holstein (56%). Die CDU hat eine lange Tradition der regionalen Ämterverteilung („Proporz“), so dass die große nordrhein-westfälische CDU-Organisation mit Laumann einen Vizepräsidenten neben dem ebenfalls aus Nordrhein-Westfallen stammenden Merz bestimmt. Dementsprechend haben die anderen großen Organisationen jeweils einen stellvertretenden Vorsitzenden, und Michael Kretschmer, der die Ostdeutschen vertritt, spielt ebenfalls eine wichtige Rolle im CDU-Vorstand.

Es ist bezeichnend, dass der neue Generalsekretär Carsten Linnemann, der als konservativ gilt, mit 91,4 % eines der besten Ergebnisse, während Karin Prien, die dem linken Flügel der Partei angehört, das schlechteste Ergebnis erzielte.

Letztere ist unter anderem dafür bekannt, dass sie keine Gelegenheit auslässt, Friedrich Merz zu kritisieren und ist ein wichtiges Mitglied des zentristischen Merkel-Flügels. Obwohl die Ministerpräsidenten Daniel Günther und Hendrik Wüst, die anlässlich des Parteitags eine Politik der Mitte verfolgen, sich nun deutlich hinter Friedrich Merz gestellt haben, könnte diese Harmonie nach Meinung von Analysten langfristig brüchig sein. Neu geschaffen hat Merz den Posten des stellvertretenden Generalsekretärs, für den die baden-württembergische Bundestagsabgeordnete Christina Stumpp mit 77,9 % der Stimmen gewählt wurde. Sie stärkt den Frauenflügel der Partei und spielt eine wichtige Rolle in der kommunalen Arbeit.

Viktor Orbán trifft Angela Merkel in Berlin (10.02.2020). Foto: Orbán Viktor Facebook

Unausgesprochene Fragen

Was auf dem Kongress wirklich interessant war, war das, was nicht gesagt wurde. Als „weiße Elefanten“ werden in der Fachliteratur die Themen bezeichnet, die alle beschäftigen, über die aber nicht gesprochen wird. Die Partei hat den Ehrgeiz, spätestens nach vier Jahren Bundeskanzler Olaf Scholz abzulösen und eine neue CDU-Regierung zu bilden. Friedrich Merz ist als Bundesfraktions- und Parteivorsitzender der CDU, die derzeit mit 30 % der Wählerstimmen rechnen kann, offensichtlich am ehesten dazu in der Lage. Aber Merz wird nächstes Jahr 70 Jahre alt und hat keine Regierungserfahrung, dafür aber eine lange Erfahrung als Treuhänder. Ein aktueller Spiegel-Artikel zeichnet kein gutes Bild des Bundesparteivorsitzenden, wobei der Autor ein Journalist ist, der für seine Rufmordattacken bekannt ist. Dem Artikel zufolge ist Merz schnell wütend, schwer zu kontrollieren und regt sich schnell über Kleinigkeiten auf. So nahm der Parteivorsitzende im vergangenen Sommer einen Meinungsbeitrag des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Hendrik Wüst so persönlich, dass er sofort von allen seinen Ämtern zurücktreten wollte und von seinen Verbündeten nur schwer zu beruhigen war. Ein anderes Mal soll er in einer öffentlichen Sitzung des Bundestages einen Abgeordneten des Merkel-Flügels so laut angeschrien haben, dass seine Parteikollegen daran Anstoß nahmen.

Das Bild von Merz in den linken Medien lässt sich auch mit der Positionierung seiner Kritiker auf dem linken Flügel der Partei erklären.

Sie scheinen zu schweigen, sind aber dafür bekannt, beim ersten ernsthaften Rückschlag von Merz abzulassen. Das dürfte bei der nächsten Bewährungsprobe, den drei ostdeutschen Landtagswahlen im September in Brandenburg, Sachsen und Thüringen, der Fall sein. Die AfD liegt in jedem dieser Bundesländer auf dem ersten Platz, in Sachsen gleichauf mit CDU-Chef Michael Kretschmer. Wenn die CDU im Herbst insgesamt schlechter abschneidet als 2019, könnte Merz schnell die Luft ausgehen. Obwohl seine Stimmanteile als Parteichef zuversichtlich stimmen, darf sich Merz nicht auf seinen Lorbeeren ausruhen.

Grundsatzprogramm: Keine konservative Wende, aber eine leichte Akzentverschiebung

Das neue Grundsatzprogramm löst das bisherige, seit 2007 gültige Parteiprogramm ab. Die Hauptverantwortung dafür trägt der neu gewählte Carsten Linnemann, der bisher nur geschäftsführender Generalsekretär war.

Der neue Programmentwurf rüttelt nicht an den Grundfesten der gescheiterten Merkel-Politik, zeigt aber einige Veränderungen auf.

In der Migrationspolitik will er die Zuwanderung begrenzen und setzt auch auf eine andere Energiepolitik. Vor allem in wirtschaftlichen Fragen zeigt sich die große Kompetenz der CDU, die auch von den Wählern attestiert wird. Zur Gesellschaftspolitik und zu Geschlechterfragen schweigt das Papier auffallend, in der Außenpolitik zeigt sich die gewohnt starke atlantische Linie der CDU. In seiner 80-minütigen Programmrede, gefolgt von zehnminütigen stehenden Ovationen, betonte der Parteivorsitzende Friedrich Merz eine zentrale Botschaft: Die CDU ist bereit, mit einem scharfen politischen Profil Regierungsverantwortung zu übernehmen – „sofort, spätestens aber im Herbst nächsten Jahres“, wenn die Bundestagswahl ansteht. Der wiedergewählte Parteivorsitzende unterstrich in diesem Zusammenhang, dass die CDU eine klare Vision für die Zukunft habe und sich mit diesem Grundsatzprogramm deutlich von den Parteien der derzeitigen Regierungskoalition unterscheide – insbesondere in der Sozial-, Wirtschafts- und Migrationspolitik. Gleichzeitig betonte Merz, dass die CDU mit Blick auf die Landtagswahlen im Herbst weder mit Links- noch mit Rechtsradikalen koalieren könne. Der in letzter Zeit erstarkenden AfD sagte er den Kampf an, begrüßte aber die jüngste Debatte der Spitzenkandidaten von CDU und AfD in Thüringen. Mit wem die CDU im Falle eines Wahlsieges nach der Landtags- und Bundestagswahl eine Regierung bilden würde, sagte er hingegen nicht. Dennoch betonte Merz die erheblichen ideologischen Unterschiede zwischen der CDU und den Grünen, was eine wichtige Botschaft für den konservativen Flügel der CDU ist.

Obwohl der Kongress keine konkreten Auswirkungen auf Ungarn hatte, zeigten die Programmelemente und die Rede des Bundesparteivorsitzenden die Richtung, in die sich die CDU bewegt:

Sie hat die Problematik der derzeitigen Migrationspolitik erkannt und will die Migration eindeutig begrenzen. Im Bereich der Wirtschafts- und Energiepolitik gehen ihre Vorschläge in Richtung einer Arbeitsgesellschaft. Bereits im Februar veröffentlichte sie eine Liste mit wirtschaftspolitischen Sofortmaßnahmen, die in Ungarn bekanntlich schon lange umgesetzt werden. In vielen anderen Politikbereichen lassen sich Ähnlichkeiten zwischen den Programmelementen der CDU und der in unserem Land praktizierten bürgerlichen Regierungsführung feststellen, auch wenn das noch niemand gesagt oder erklärt hat. In Fragen der Gender- und Gesellschaftspolitik hingegen war die CDU alles andere als mutig und versuchte, den gesellschaftlichen Erwartungen an eine vermeintliche oder tatsächliche „Modernisierung“ gerecht zu werden, was oft die Meinung der liberalen akademischen, journalistischen und politischen Elite, nicht aber der Bevölkerung ist. In vielen Bereichen stehen die deutschen bürgerlichen Wähler, die CDU-Anhänger, sogar rechts von der CDU-Führung. Im Gegenteil, die CDU will ihre unveränderte und unkritische Politik gegenüber der Ukraine nicht ändern, obwohl ein wachsender Teil der deutschen Bevölkerung inzwischen der Meinung ist, dass ein anderer Ansatz erforderlich ist. Hier liegt der größte Unterschied zwischen der ungarischen und der deutschen bürgerlichen Seite.

Dieser Artikel wurde auf Grundlage des ungarischen Artikels von Bence Bauer, Direktor des Deutsch-Ungarischen Instituts für Europäische Zusammenarbeit, von Ungarn Heute verfasst.

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Via Deutsch-Ungarisches Institut Beitragsbild: Friedrich Merz Facebook