Wenige Tage vor dem hundertsten Jahrestag der Unterzeichnung des Friedensvertrags von Trianon machen sich Kolumnisten aus dem gesamten politischen Spektrum Gedanken darüber, wie sich Ungarn zu den vor hundert Jahren erlittenen territorialen und demografischen Verlusten positionieren sollte, eine Presseschau von Budapost.
In einem Beitrag für Magyar Nemzet behauptet Miklós Szánthó, beim Friedensvertrag von Trianon habe es sich nicht nur um ein höchst ungerechtes Instrument im Dienste der ihre geopolitischen Eigeninteressen verfolgenden Westmächte, sondern auch um eine ausgesprochene Strafaktion mit dem Ziel der Ausrottung Ungarns gehandelt. Die Annexion ungarischen Territoriums habe einen derartig gewaltigen sozialen sowie wirtschaftlichen Schock ausgelöst, dass in der Zwischenkriegszeit sogar die Kommunisten eine territoriale Korrektur befürwortet hätten, notiert der Chef der regierungsnahen Denkfabrik Zentrum für Grundrechte. Doch hätten dessen ungeachtet Ungarn und die Ungarn nicht nur die Zerstückelung ihres Landes, sondern auch die einander folgenden ausländischen Besetzungen überlebt, fügt Szánthó hinzu und lobt die Anstrengungen der Regierung um eine Wiedervereinigung des Landes sowie die Integration der jenseits der Grenzen lebenden Magyaren in das Gros der Nation.
Der Friedensvertrag von Trianon habe Ungarn einen Kulturschock zugefügt, schreibt Mátyás Gondi, ein weiterer Mitarbeiter des Zentrums für Grundrechte in der Wochenzeitschrift Magyar Demokrata. Immerhin seien dem Land zwei Drittel seines einstigen Territoriums und fast die Hälfte seiner Bevölkerung – darunter drei Millionen ethnische Ungarn – geraubt worden. Dennoch seien in den letzten hundert Jahren weder die ungarische Sprache noch die Kultur der Magyaren verschwunden. Auch die jenseits der Landesgrenzen lebenden magyarischen Minderheiten hätten ihre Muttersprache bewahrt und sich nicht der rumänischsprachigen Mehrheit angeglichen, betont Gondi. Der regierungsfreundliche Autor fordert die Ungarn auf, ihre nationale Kultur zu erhalten und die Erinnerung an die Tragödie des Jahres 1920 auch in den jüngeren Generationen wach zu halten, „bis sich die Geschichte wieder wendet“.
Judit Kósa von der Tageszeitung Népszava begrüßt die Entscheidung des Budapester Oberbürgermeisters Gergely Karácsony, im Gedenken an den Friedensvertrag von Trianon am Donnerstag für eine Minute die öffentlichen Verkehrsmittel stoppen zu lassen und die Einwohner der Hauptstadt zu bitten, sie mögen mit einer Schweigeminute an die Unterzeichnung des Vertrags am 4. Juni 1920 erinnern. Die linke Kommentatorin vertritt die Auffassung, dass diese Verfügung dem üblichen Vorwurf der Rechten den Wind aus den Segeln nehmen werde, linke Politiker seien kosmopolitische Verräter, die sich komplett dem Gedenken an den Friedensvertrag von Trianon verweigern würden.
Im Wochenmagazin Magyar Narancs kritisiert László Haskó dagegen die Entscheidung von OB Karácsony, des Friedensvertrags von Trianon zu gedenken. Der liberale Kommentator sieht darin ein Zugeständnis an den Nationalismus. Die linke und liberale Basis Karácsonys dürften dies kaum honorieren, so Haskó, der den Linksliberalen stattdessen empfiehlt, sich für ein grenzenloses Europa einzusetzen, anstatt Erinnerungen an Großungarn zu pflegen und mit illiberalen revisionistischen Ideen zu flirten, die die Hauptgründe für die Verstrickung Ungarns in den Zweiten Weltkrieg gewesen seien. Deshalb sollte Budapest den Jahrestag des Friedensvertrags von Trianon mit dem Hissen von EU-Flaggen begehen, so Haskó abschließend.
(via Budapost, Beitragsbild: Google)