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Generationswechsel in der Politik: Große Klappe, nichts dahinter?

Ferenc Rieger 2023.11.03.

„Politiker ohne Berufsabschluss dürfen nicht zum Normalfall werden“, warnte der Berliner Korrespondent der NZZ im Frühjahr 2022. Doch mehr oder weniger wortgewandte Jungpolitiker, deren einzige Kompetenz die geschickte Selbstvermarktung ist, setzen ihren Siegeszug europaweit fort.

In einem Interview gab der ehemalige tschechische Ministerpräsident Andrej Babiš kürzlich freimütig zu, dass der einzige Grund für den Beitritt seiner Partei (ANO) zur ALDE-Fraktion (jetzt Renew Europe) im Europäischen Parlament darin bestand, dass diese politische Familie überwiegend französischsprachig ist und er gut Französisch spricht. Die ideologische Ausrichtung spielte bei der politischen Eingliederung der populärsten Partei des mitteleuropäischen Landes keine Rolle.

Der Prager Milliardär kann sich die Gelassenheit eines Elefanten im Porzellanladen leisten. Die meisten aktiven Politiker sind heute, unabhängig vom politischen Spektrum, dem sie angehören, ebenso opportunistisch, ziehen es aber vor, ihr Gesicht zu wahren, indem sie heuchlerisch die verschiedenen, einfallslos variierten Phrasen wiederholen, die ihnen von parteinahen Think Tanks geliefert werden.

Andrej Babiš. Foto: Hungary Today

Nur sehr wenige sind in der Lage, einen kohärenten, artikulierten politischen Diskurs zu führen, der auf soliden Lektüren beruht.

In den letzten Jahren haben wir den kometenhaften Aufstieg von viel zu jungen Politikern erlebt, die meist vom Davoser Weltwirtschaftsforum gefördert werden.

Die Lehrlinge von Klaus Schwab, dem Gründer und CEO des Weltwirtschaftsforums, sind weitgehend austauschbar, auch wenn sie verschiedenen politischen Familien angehören. Ihr gemeinsamer Nenner ist die zur höchsten Tugend erhobene Mittelmäßigkeit, der Mangel an Berufserfahrung und Fachwissen und – folglich – die Fügsamkeit, mit der sie die globalistische und transhumanistische Agenda ihrer Gönner umsetzen.

De facto gibt es keine Konfrontation von Ideen und politischen Projekten mehr. Die Partituren sind vorgegeben und die verschiedenen Dirigenten, die sich am Pult des europäischen Orchesters abwechseln, zeichnen sich bestenfalls durch ihre Gestik aus, nicht aber durch eine individuelle Sichtweise des zugelassenen Repertoires. Den Instrumentalisten fehlt es nicht nur an Hingabe, sondern auch an Professionalität. Jeder Versuch, aus der dumpfen Monotonie des Vorhersehbaren auszubrechen, wird vom gespenstischen Direktor der europäischen „Philharmonie“ umgehend sanktioniert. Das Publikum, d. h. der Souverän, spielt keine Rolle mehr: Die Bürger haben – zugespitzt gesagt – die Wahl zwischen Pest und Cholera.

Unter diesen Umständen ziehen viele den ehrlichen „Zynismus“ eines Andrej Babiš vor. Dem kürzlich verstorbenen Silvio Berlusconi nicht unähnlich, spielt er zumindest mit offenen Karten und macht bei der ideologischen Ausrichtung oder der Rekrutierung des politischen Personals subjektive Gesichtspunkte geltend.

Sanna Marin und Wolodymyr Selenskyj. Foto: Sanna Marin Facebook

Die Ansprüche der Jungpolitiker, die aufgrund ihrer Loyalität zum „Chef“, ihrer Fähigkeiten dessen Ego zu schmeicheln, befördert werden, sind ebenso konsistent wie ihre Bildung. Auch Beobachter, die keine Sympathien für den Staats- und Parteikapitalismus chinesischer Prägung hegen, können die großen Unterschiede zwischen einer nicht vom Marxismus, sondern von der konfuzianischen Meritokratie inspirierten Elitenrekrutierung einerseits und einer „Kaderauswahl“ der Art „Young Global Leaders“ andererseits feststellen. Erstere hat ein riesiges, aber bitterarmes Land in eine Position der globalen Hegemonie katapultiert. Letztere hat es geschafft, die Europäische Union in einen Club der Verlierer zu verwandeln – wirtschaftlich, politisch und militärisch.

„Politiker ohne Berufsabschluss dürfen nicht zum Normalfall werden“, warnte der Berliner Korrespondent der NZZ im Frühjahr 2022. Doch mehr oder weniger wortgewandte Ahnungslose, deren einzige Kompetenz die geschickte Selbstvermarktung ist, setzen ihren Siegeszug europaweit fort. Was Jörg Haiders „Buberlpartie“ in der Kärtner Provinz der 1990er Jahre war, ist heute Klaus Schwabs transnationale Jetset- Kaderschmiede: ohne Trachtenjanker, dafür aber noch devoter im Dienste des Davoser Gurus, der die „Penetration“ der einzelnen Regierungen mittels seiner Zöglinge mit Genugtuung beobachtet (Originalzitat: „We penetrate the cabinets.“). Die globalisierte „Freunderlwirtschaft“ ist zweifelsohne eine Erfolgsgeschichte, deren Nutznießer allerdings nicht die Nationalstaaten und ihre Bürger sind.

Die Verschleißzeit der gehypten Jungpolitiker wird immer kürzer, aber der Nachwuchs ist reichlich vorhanden.

In den Startlöchern der unzähligen Fakultäten, die an den Marktbedürfnissen vorbei Studienabbrecher und Dauerarbeitslose produzieren, warten neue Kandidaten auf den Anpfiff zur nächsten politischen Castingshow. Ein gefälliges Aussehen und eine große Klappe sind vom Vorteil, der fachliche Hintergrund ist eher nebensächlich: Eigenständiges Denken erübrigt sich dort, wo die Agenda 2030 und die Strategie zur Umsetzung derselben bereits feststehen.

„Young Gobal Shapers“ beim World Economic Forum (2016). Foto: Sebastian Kurz Facebook

„Gründet zuerst eure Familien, seid finanziell stabil, und wenn ihr die Vierzig überschritten habt, dann geht in die Politik, mahnte Jiří Čunek, ein selbsternannter „politischer Dinosaurier“ aus der Tschechischen Republik.  In einem Interview mit unserem Nachrichtenportal mutmaßte der ehemalige Vorsitzende der Christlich-Demokratischen Union – Tschechische Volkspartei (KDU-ČSL), dass junge Politiker wenig Affinität zur Familienpolitik und zum Konservatismus im Allgemeinen vorweisen, solange sie keine eigenen Familien haben. In seiner Partei muss er zusehen, wie junge Aktivisten die christdemokratischen Werte zunehmend verwässern, indem sie mit dem vermeintlich mehrheitskompatiblen „liberalen“ Mainstream liebäugeln.

Foto: MCC Facebook

Das in Europa einzigartige Hochschulprogramm des Mathias Corvinus Collegium (MCC) kann als ungarische Antwort auf das Bedürfnis nach einem qualitativ hochwertigen Generationswechsel in Politik und Gesellschaft gelten.

International vernetzt, aber nicht supranational, weltoffen, aber wertkonservativ, soll MCC eine einheimische Meritokratie heranbilden, welche den Dienst an der Gemeinschaft als vorrangiges Ziel anstrebt.

Das Gelingen dieses Langzeitprojekts ist nicht nur für Ungarn wünschenswert: Es würde nämlich zeigen, dass die Davoser Kaderschmiede nicht alternativlos ist.

Beitragsbild: Annalena Baerbock Facebook