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Hitzige Debatte über die Rolle der Medien in der Residenz der deutschen Botschafterin

Ungarn Heute 2024.03.12.

Zoltán Szalai, Gergely Prőhle und Jennifer Wilton (l-r)

Am Montagnachmittag fand in der Residenz der deutschen Botschafterin in Budapest eine anregende Debatte statt, bei der Journalisten, Wissenschaftler und Diplomaten die Gelegenheit hatten, ihre Meinung über den Zustand der ungarischen und deutschen Presse zu äußern.

Die Debatte mit dem Titel „The role of the media in restive democracies“ (Die Rolle der Medien in unruhigen Demokratien) wurde in englischer Sprache zwischen den beiden Podiumsteilnehmern Jennifer Wilton, Chefredakteurin von Die Welt, und Dr. Zoltán Szalai, Chefredakteur von Mandiner und Generaldirektor des Mathias Corvinus Collegium, geführt. Die Diskussion wurde von Gergely Prőhle, Direktor des Instituts für Strategische Studien der Nationalen Universität für den öffentlichen Dienst (NKE) und ehemaliger ungarischer Botschafter in Deutschland und der Schweiz, moderiert.

In ihrer Einführungsrede betonte die deutsche Botschafterin in Ungarn, Julia Gross, die entscheidende Rolle, die freie Medien in unseren Demokratien spielen. Sie wies aber auch darauf hin, dass diese Presseorgane kommerziell denken müssen, da die meisten von ihnen Unternehmen sind und daher von ihrem wirtschaftlichen und unternehmerischen Umfeld beeinflusst werden. In ihrer Einleitung bezeichnete sie die von den Podiumsteilnehmern vertretenen Medien, Mandiner und Die Welt, als „konservativ“, worauf der Moderator Gergely Prőhle die Idee gegenüberstellte, dass das, was ein „konservatives Medium“ ist, in verschiedenen Kontexten sehr unterschiedlich sein kann, und dass sich sowohl der Kontext als auch der Begriff „konservativ“ ständig ändern.

Foto: Pixabay

Die Welt-Redakteurin Jennifer Wilton sprach anschließend über das Bild Ungarns in den deutschen Medien. Ihrer Meinung nach ist das eigentliche Problem nicht, dass dieses Bild irgendwie verzerrt ist, wie manche behaupten, sondern dass es nicht viele Informationen über Ungarn gibt.

Daher ist ihrer Meinung nach nicht die Voreingenommenheit, sondern der Mangel an Informationen das Problem, das es zu lösen gilt.

Zoltán Szalai betonte in seiner Reaktion, dass das Deutschlandbild in Ungarn traditionell sehr positiv sei. Er sprach über die Bestrebungen der Ungarn nach dem Fall des Kommunismus, wie sie Deutschland, seine Freiheit und seinen Wohlstand zu einem Beispiel erhoben, in dem sie sich als Gesellschaft bewegen wollten. Nach 1989 habe der deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl ein starkes Beispiel dafür gegeben, wie man einen demokratischen Staat schaffen kann.

Die große Zäsur sei die Migrantenkrise 2015 gewesen, als die ungarische Regierung ganz andere Entscheidungen getroffen habe als Deutschland, das im Umgang mit illegalen Migranten den umgekehrten Weg eingeschlagen habe, so Zoltán Szalai. Das war das Jahr, in dem die Kritik an Ungarn in den deutschen Medien immer stärker geworden war. Im Gegenzug hätten auch die ungarischen Medien begonnen, die deutsche Politik in einem negativeren Licht zu sehen, so der Mandiner-Redakteur.

Er fügte hinzu, dass es in den deutschen Medien siebenmal mehr Nachrichten über Ungarn gebe als umgekehrt, es sei also nicht der Mangel an Informationen oder Interesse, der die Berichterstattung über Ungarn präge. Er erinnerte an eine aktuelle Studie, die zeigt, dass über 77 Prozent der Berichterstattung über Ungarn in den deutschen Medien negativ und nur 1 Prozent positiv ist. Im Gegensatz dazu seien nur etwa 13 Prozent der Berichte über die deutsche Regierung in den ungarischen Medien negativ, und sogar 30 Prozent der ungarischen Berichte über Deutschland seien positiv.

Jennifer Wilton betonte wiederum, dass eine negative Berichterstattung über eine bestimmte Regierung nicht gleichbedeutend mit einer negativen Berichterstattung über das gesamte Land sei. Sie bezeichnete auch ihre eigene Publikation, Die Welt, als „konservativ und liberal zugleich“, was sie auf dem deutschen Markt einzigartig mache. Ihrer Meinung nach

sollte man als Journalist an bestimmten Werten festhalten und sie verteidigen, aber das mache einen Journalisten nicht zum Propagandisten.

Sie betonte, dass sie keinen ihrer deutschen Kollegen als Propagandisten bezeichnen würde, aber was ihre eigene Zeitung betreffe, sei deren Position eindeutiger als die anderer.

Die Welt-Redakteurin fügte hinzu, dass es meist die amtierenden Chefredakteure sind, die bestimmen, ob Die Welt mehr oder weniger liberal oder konservativ ist. Unparteilichkeit sei zwar einer der wichtigsten Werte im Journalismus, aber man müsse auch prinzipienfest sein, so Jennifer Wilton.

Zoltán Szalai wandte sich dann der Frage zu, für wen man als Journalist schreibt: für die Leser, für die Meinungsmacher oder für andere Kollegen? Seiner Meinung nach gibt es ein handfestes Problem im Journalismus im Allgemeinen, wenn Journalisten nicht mehr für ihre Leser als solche schreiben, sondern Clickbaits für die sozialen Medien oder Kollegen veröffentlichen.

Er erklärte, dass die Privatisierung von Zeitungen nach dem Fall des Eisernen Vorhangs in Ungarn einen starken Einfluss darauf hatte, wie die lokale Medienlandschaft gestaltet wurde.  Westliche Unternehmen kauften die ehemals staatlichen Medien auf und behandelten sie wiederum wie Kapitalisten, wie ein kommerzielles Unternehmen. Über 90 Prozent der neuen Medien wurden von Journalisten geschrieben, die aus dem kommunistischen Regime übernommen wurden. Sie waren die einzigen, die Anfang der 90er Jahre Erfahrung im Journalismus hatten. Heute sind die Medien jedoch vielfältiger als früher. Sie sind sehr polarisiert, aber es gibt mehr Meinungen, fügte Zoltán Szalai hinzu.

Die Welt-Redakteurin reagierte auf die Äußerungen des Mandiner-Redakteurs zum Medienpluralismus in Ungarn mit einem Hauch von Skepsis und Ironie. In ihrer Reaktion sagte Jennifer Wilton: „Ich habe mich sehr über die Medienvielfalt in Ungarn gefreut, weil wir in Deutschland eine andere Information darüber haben“. Auf die Frage von unserer Schwesterseite Hungary Today, was sie mit „anderen Informationen“ meinte, und auf die Bitte, eine andere Meinung als die von Zoltán Szalai zu vertreten, gab sie keine Erklärung ab.

Der Chefredakteur von Mandiner hatte daraufhin erklärt, dass in Ungarn das Fernsehen die wichtigsten Medien seien und nicht die schriftlichen Zeitschriften und Zeitungen. Der linke kommerzielle Sender RTL und der Nachrichtensender ATV der Opposition sind die größten Sender, sowohl bei den regierungsfreundlichen als auch bei den regierungsfeindlichen Medien. Linksgerichtete Medien haben in Ungarn mehr Sendezeit und Zuschauer. Er wies auch darauf hin, dass 60 Prozent aller Online-Werbegelder in Ungarn in die Kassen von US-Tech-Giganten wie Facebook und Google fließen. Die übrigen ungarischen Medien müssen sich die verbleibenden 40 Prozent teilen, weshalb das Budget der Medienunternehmen sinkt, so Zoltán Szalai.

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via hungarytoday.hu, Beitragsbild: Hungary Today