Die langjährige Vernachlässigung des ungarischen öffentlichen Gesundheitssystems führte dazu, dass das Gesundheitswesen auf die Bewältigung der Corona-Epidemie nicht vorbereitet gewesen sei – schreibt „Human Rights Watch“ in einem aktuellen Ungarn-Bericht. Die anzutreffenden Mängel gefährden Menschenleben, so die NGO.
Die Experten der Organisation stellten in Krankenhäusern schlechte Bedingungen fest, darunter einen Mangel an Handseife, Desinfektionsmittel und eine ordnungsgemäße Reinigung der Räumlichkeiten sowie Mangel an sanitären Einrichtungen und persönlicher Schutzausrüstung für Gesundheitspersonal und Patienten. Es gab kaum Ein-Bett-Zimmer für eine effiziente Isolierung von Corona-Infizierten. Auf die Ergebnisse mikrobiologischer Untersuchungen müsse lange gewartet werden, die Statistiken zu klinischen Infektionen seien unbefriedigend.
Die Menschen sollten nicht in Sorge sein, im Krankenhaus erst recht krank zu werden
kommentierte Tom Porteous den Bericht und riet zu dringenden Reformen sowie Investitionen.
„Obwohl es den Anschein hat, dass Ungarn vom neuartigen Coronavirus nicht so stark betroffen ist wie andere europäische Länder, ist das Virus nicht verschwunden, und die ungarischen Behörden müssen dringend Reformen und mehr Investitionen durchführen, um Patienten und Angehörige der Gesundheitsberufe vor Infektionen oder Todesfällen zu schützen“ – so die NGO.
Ärzte berichteten von Schwierigkeiten bei der Beschaffung persönlicher Schutzausrüstung und Verwirrung hinsichtlich der Richtlinien und Verfahren für den Umgang mit verdächtigen COVID-19-Patienten. Sie sagten, die Testkapazität sei begrenzt, es sei schwierig für Menschen, sich testen zu lassen, und bestätigte oder vermutete Corona-Patienten seien in Krankenhäusern nicht immer ordnungsgemäß isoliert.
Die ersten Corona-Fälle wurden Anfang März unter ausländischen Studenten in Budapest bestätigt, die in einem örtlichen Krankenhaus unter Quarantäne gestellt wurden. „Human Rights Watch“ interviewte einen der Studenten, der einen Mangel an sozialer Distanzierung und Isolation beschrieb. Er sagte, er sei mit mehreren anderen Patienten in einen Krankenwagen und dann mit zwei anderen nicht verwandten Personen in einen Raum gebracht worden, bevor das Krankenhaus ihren Infektionsstatus beurteilt habe.
Der HRW-Bericht stützt sich auf zwei Dutzend Tiefeninterviews mit Corona-Opfern bzw. deren Angehörigen zwischen Mai und Juli – mehr als 1.000 Ungarn sollen sich bis Mitte Juli das Coronavirus in einer Klinik zugezogen haben, unter denen 260 verstarben. (Diese Zahlen entspringen einer Fehlinterpretation, die vom Sozialministerium längst korrigiert wurde: Demnach fallen laut WHO-Definition unter „nosokomiale Infektionen“ alle Patienten, die 48 Stunden nach Aufnahme Symptome zeigen – bei Covid-19 beträgt die Latenzzeit aber 3-4 Tage.) Dessen ungeachtet gab es laut offiziellen Statistiken allein 2018 über 15.000 Krankenhaus-Infektionen, von denen 541 tödlich endeten.
Laut einem WHO-Bericht aus dem Jahr 2019 machten die ungarischen Gesundheitsausgaben 2016 4,9 Prozent des BIP des Landes aus, verglichen mit einem EU-Durchschnitt von 7,8 Prozent.
(Via: budapester.hu, hrw.org, Beitragsbild: MTI/Árvai Károly/kormany.hu)