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Interview mit Emil Brix, ehemaliger österreichischer Botschafter in Moskau

Enikő Enzsöl 2023.02.22.

Am Rande der fünften UNESCO MOST Winteruniversität hatte Ungarn Heute die Gelegenheit, dem Direktor der Diplomatischen Akademie Wien und ehemaligem österreichischen Botschafter in Moskau, Emil Brix, Fragen zum russisch-ukrainischen Krieg, zu den österreichisch-ungarischen Beziehungen und zur Migration zu stellen.

Emil Brix ist ein österreichischer Diplomat und Historiker. Ab 1982 arbeitete er für den Auswärtigen Dienst der Republik Österreich. Er war Sekretär im österreichischen Parlament für die Fraktion der Volkspartei (ÖVP) und später Kabinettschef des österreichischen Wissenschaftsministers. Nach 1989 war Brix der erste österreichische Generalkonsul in Krakau (Polen). Ab 2010 war er österreichischer Botschafter in London und später in Moskau. Er ist Mitglied des Internationaler Beirats von dem Institut für Höhere Studien Kőszeg (Institut of Advanced Studies Kőszeg – iASK). Seit 2017 ist er Direktor der Diplomatischen Akademie Wien – Vienna School of International Studies.

Foto: Attila Horváth/iASK

Resilienz in Zeiten der Ungewissheit: Frieden schaffen durch Kultur und Bildung, so lautet der Titel der fünften UNESCO MOST Winteruniversität. Was versteht man darunter, Frieden durch Kultur zu schaffen? Wie kann Kultur zur Friedenssicherung beitragen?

Wir sehen, dass jetzt im Moment dieser Krieg, der in Europa geführt wird, kulturell begründet wird. Um solche Kriege zu verhindern oder sie zu beenden, müssen wir auf die Herausforderungen kulturell antworten. Es kann nicht sein, dass man sagt, wir müssen ein Land überfallen, weil es zu unserer eigenen Kultur, zu unserer eigenen Identität gehört. Da sieht man, wie zentral Kultur zum Selbstverständnis von Gruppen und Menschen in Europa – aber nicht nur in Europa – gehört. Wir sehen, dass es wieder möglich ist, mit solchen Argumenten Kriege zu führen und Identitäten zu verändern. Um friedliches Zusammenleben zu erreichen, müssen wir in die Kultur investieren.

Sie denken also, dass die Russen eine kulturelle Rechtfertigung für den Krieg haben. Meinen Sie, dass der Krieg hätte vermieden werden können, wenn die Ukrainer die Frage der russischen Minderheit anders behandelt hätten, oder lag der Krieg bereits in der Luft?

Ich fürchte, das ist immer noch eine Reaktion auf die Zeit der Sowjetunion, es ist ein postsowjetisches Trauma. Man hat die Absicht, wieder ein Imperium herzustellen. Die Grenzen dieses Imperiums lassen sich sehr leicht wieder beleben. Zu einer dieser Grenzen gehört die Vorstellung, dass die sogenannten Kleinrussen und Weißrussen Teil der russischen Identität sind. In der Hinsicht ist der Krieg aus der Sicht der jetzigen Führung unvermeidbar. Das Einzige, was man hätte machen können um dem entgegenzuwirken, wäre die Aufnahme der Ukraine in die europäische Kultur – einerseits in die Europäische Union, andererseits in die NATO – gewesen, nachdem das Referendum 1991 unterschrieben wurde. Wäre die Ukraine ein Teil dieser Institutionen, wäre dieser Krieg nicht ausgebrochen.

Foto: Attila Horváth/iASK

Der ungarische Ministerpräsident, Viktor Orbán, hielt am Samstag eine Rede zur Lage der Nation. Er erklärte, dass 2014 unter der starken deutschen und französischen Führung von Angela Merkel und dem genial verhandelnden Präsidenten Sarkozy der Krieg ausblieb und das Abkommen von Minsk zustande kam. Glauben Sie, dass der Krieg mit denselben oder sogar anderen westlichen Führern hätte vermieden werden können?

Ich glaube, die Entscheidung, dass man einen Krieg führt, haben der Kreml und Herr Putin getroffen, und sonst niemand. Es mag so sein, dass durch den Wechsel der deutschen oder der amerikanischen Regierung, sowie durch den Wechsel der französischen Präsidentschaft der Kreml zusätzlich motiviert wurde, was den Zeitpunkt des Krieges betrifft, aber der Krieg selber ist von langer Hand geplant gewesen. Er lässt sich nur so erklären, dass hier die Absicht besteht, ein anderes Gesellschaftssystem durchzusetzen, als wir es mühsam und lange aufgebaut haben. Wir haben geglaubt, dass man auf friedliche Weise das globale System multilateral in den Vereinten Nationen und in Europa in der OECD verwirklichen kann. Wir sind jetzt an der Grenze unserer eigenen Verteidigung angelangt und nun kommt es nur noch darauf an, ob man dagegen oder dafür ist. Sie haben die Rede von Herrn Orbán erwähnt, darin habe ich zu wenig davon gehört, ob diese Bereitschaft auch da ist. Es klang ein wenig wie die Rede eines Homo-Sowjeticus, der sich einer Situation anpasst. Und gerade bei Herrn Orbán, der als Student gegen den Homo-Sowjeticus gekämpft hat, hat mich das überrascht.

Viktor Orbán sagte in seiner Rede, dass Neutralität in dieser Situation ein Luxus sei und die Schweiz und Österreich diese bequeme Position genießen. Stimmen Sie zu, dass sich Österreich in einer bequemen Position befindet?

Erstens: bequeme Position heißt eigentlich nicht unangenehm. Und zweitens: da hat er Recht. Das gehört zu den Dingen, bei denen er recht hat. Unser Bekenntnis zur Neutralität ist durch die Notwendigkeit entstanden, uns zur Zeit des Eisernen Vorhangs auf die Seite des Westens zu stellen. Es ist inzwischen auch eine bequeme Position geworden, weil wir uns auf die Verteidigung der NATO um Österreich herum verlassen können, daher müssen wir nicht zu unserer eigenen Verteidigung beitragen. Dafür kann man uns kritisieren. Aber wenn ich den Beitrag Ungarns und Österreichs zur Bewältigung des Krieges in der Ukraine anschaue, dann leistet das neutrale Österreich viel mehr. Es gibt Überfluggenehmigungen über Österreich für NATO-Flugzeuge, wir haben Schutzwesten und Helme in die Ukraine geschickt. Wir bemühen uns vor Ort zu helfen, wenn es möglich ist. Und genau das kann man auch von Ungarn erwarten, da es genau weiß, was russischer Barbarismus bedeutet, sie haben es überlebt. Gibt es keine Erinnerungen an 1956 mehr, wenn einer sagt, Ungarn muss auf der richtigen Seite stehen? Mich wundert das, aber ich nehme es zur Kenntnis.

Foto: Attila Horváth/iASK

Apropos Beziehungen zwischen Österreich und Ungarn: Haben sich die Beziehungen zwischen den beiden Ländern aufgrund der gemeinsamen Bemühungen zur Bekämpfung der illegalen Migration und aufgrund der veränderten Haltung der EU in dieser Frage intensiviert?

Natürlich haben wir alle Sorge, was die ungeregelte Migration betrifft, und da sind Ungarn und Österreich zentral betroffen. Wir sind gemeinsam im Schengen-Raum und im wesentlichen auch Transitländer, Österreich ist manchmal auch ein Ankunftsland für Flüchtlinge von außerhalb Europas. Es könnte uns beiden sicher besser gehen, wenn es uns gelingen würde, unseren Außengrenzschutz zu verbessern. Aufgrund des Zustroms von Migranten haben wir gemeinsame Interessen und da arbeiten wir auch ganz gut zusammen. Österreich tut sich ein bisschen schwer, da wir von Westeuropa ständig kritisiert werden, weil wir nicht genug Kritik an Ungarn üben, sondern stattdessen Bulgarien und Rumänien kritisieren. Ich würde mir hier ein gemeinsames Vorgehen wünschen, um diesen Migrationsdruck wegzubekommen. Ich möchte nicht kommentieren, ob Ungarn mehr hätte tun können, oder ob es mehr tun könnte. Ich bin froh, wenn es gelingt, in Österreich eine vernünftige Politik zu machen. Ich hoffe auch, dass wir möglichst bald einer Schengen-Erweiterung mit Rumänien und Bulgarien zustimmen werden.

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Beitragsbild: Attila Horváth/iASK