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Korsikas Autonomie „zeichenhaft“ auch für die Ungarn in Rumänien

Ferenc Rieger 2023.09.29.

Flagge des Szeklerlandes vor der „Kapitolinischen Wölfin“, ein Geschenk Mussolinis in Neumarkt (Marosvásárhely, Târgu Mureș)

Árpád Antal, ein führender Politiker der Ungarischen Demokratischen Allianz Rumäniens (RMDSZ), hält die Ankündigung des französischen Präsidenten zur Autonomie Korsikas am Donnerstag für einen historischen Moment und „zeichenhaft“ für die Selbstbestimmung des Szeklerlandes.

Auf seiner Social-Media-Seite erklärte der Politiker aus dem Szeklerland, dass die Ankündigung von Emmanuel Macron „ein Meilenstein auch für die nationalen Minderheiten in Europa ist“.

Er erinnerte daran, dass Frankreich bisher jede Form von Autonomie strikt abgelehnt habe, und nun habe der Staatschef die Absicht des französischen Staates angekündigt, innerhalb von sechs Monaten eine Autonomie für Korsika zu schaffen.

Das ist genau das, was wir Szekler wollen!

Genauer gesagt wollen wir, dass eine ähnliche Klausel in die rumänische Verfassung aufgenommen wird und dass der rumänische Staat selbst die Autonomie des Szeklerlandes in ähnlicher Weise festschreibt“, betonte Árpád Antal in seinem Beitrag.

Der Bürgermeister von Sankt Georgen (Sepsiszentgyörgy, Sfântu Gheorghe) sagte, dass wir Zeugen eines Wandels in Europa sind, und dass er es für „bezeichnend“ hält, dass „der letzte große Nationalstaat nachgegeben hat“ und die Autonomiebedürfnisse der nationalen Gemeinschaften anerkennt.

„Lassen Sie uns den Mut haben, eine Autonomie für Korsika innerhalb der Republik aufzubauen“, sagte der Staatschef vor der korsischen Versammlung und forderte „den Aufbau einer Struktur, die vollständig korsisch ist, aber nicht vom (französischen) Staat getrennt“. „Dies wird weder eine Autonomie vom Staat noch eine Autonomie ohne den Staat sein“, betonte Macron. „Wir müssen vorankommen, und dazu müssen wir Korsika in unsere Verfassung aufnehmen, denn der Status quo wäre ein Misserfolg für uns alle“, so der Präsident gegenüber den gewählten Vertretern der Insel.

Die Ankündigung in Ajaccio ist nicht nur für Frankreich von historischer Bedeutung, sondern auch für den traditionellen Verbündeten der „Grande Nation“ im Südosten des Kontinents. Die erste Verfassung des rumänischen Staates von 1866 wurde zwar von dem belgischen Grundgesetz von 1831 inspiriert, der heute von vielen Beobachtern als lähmend empfundene Zentralismus der rumänischen Staatsverwaltung sowie die strikte Ablehnung jedweder territorialen Autonomie sind aber eindeutig auf den übergroßen Einfluss Frankreichs im sogenannten „Paris des Ostens“, wie Bukarest früher apostrophiert wurde, zurückzuführen. Die heute geltende rumänische Verfassung basiert auf dem Verfassungsmodell der Fünften Französischen Republik von 1958 und wurde am 8. Dezember 1991 durch ein nationales Referendum ratifiziert.

Laut Verfassung ist Rumänien ein nationaler, souveräner und unabhängiger, einheitlicher und unteilbarer Staat.

Im Unterschied zu Korsika, Baskenland oder Südtirol, gab es in Siebenbürgen nie gewalttätige Aktionen, die darauf abzielten, den legitimen Forderungen der ungarischen Minderheit mit außerparlamentarischen Mitteln Nachdruck zu verleihen. Die von der Karlsburger rumänischen Nationalversammlung am 1. Dezember 1918 feierlich zugesagte Selbstverwaltung der Minderheiten kann bis heute bestenfalls als rhetorische Übung gelten. Das stets kompromissbereite Wirken der gewählten Vertreter der ungarischen Gemeinschaft konnte nie jenes verfassungsrechtliche Tabu brechen, das sogar das Reden über die Selbstverwaltung als grenzwertig erscheinen lässt.

Das in Ungarn übliche Modell einer Selbstverwaltung der autochthonen Minderheiten wird in Rumänien vom überwiegenden Teil der politischen Klasse als trojanisches Pferd wahrgenommen, das die viel beschworene Einheitlichkeit und Unteilbarkeit des Staates zu Fall bringen könnte. Jeder Hinweis auf erfolgreiche Autonomiemodelle in Europa wurde bisher unter Verweis auf die diesbezügliche ablehnende Haltung Frankreichs zurückgewiesen.

Nach Emmanuel Macrons Ankündigung werden rumänische Politiker Ausschau nach anderen Ausreden halten müssen.

Immer mehr Rumänen sind sich indessen bewusst, dass nur eine grundlegende Reform den schwerfälligen Staatsapparat in die Lage versetzt, den wachsenden Anforderungen einer zeitgemäßen, bürgernahen Verwaltung gerecht zu werden. Nicht nur in Siebenbürgen, wo Autonomiebestrebungen eine lange Tradition vorweisen, sondern auch in der ostrumänischen Moldau wächst langsam, aber stetig, eine Bürgerbewegung heran, welche  die Selbstbestimmung der lokalen Gemeinschaften und der historisch gewachsenen Regionen als Voraussetzung für die Modernisierung des Landes ansieht.

Noch fehlt die kritische Masse, die den politischen Paradigmenwechsel vollziehen könnte, aber Rumänien hat das Potenzial, die „Etappen zu verbrennen“ (Titu Maiorescu), d.h. seine Entwicklung durch die Einflussnahme westlich orientierter Eliten zu beschleunigen, auch um den Preis des Überspringens mehrerer organischen Wachstumsphasen. Das mehrheitlich orthodoxe Land muss wohl oder übel das ursprünglich katholische Prinzip der Subsidiarität für sich entdecken, das verschiedene Formen der Autonomie und Partizipation fordert und fördert.

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Beitragsbilder: Székely Nemzeti Tanács, Facebook