„Insgesamt 300 Millionen Euro an EU-Mitteln werden Ungarn bald zur Verfügung gestellt“ kündigte der Pressechef des Premierministers am Donnerstag in Brüssel an. Laut Bertalan Havasi „hat der Brief von Viktor Orbán die EU-Maschinerie innerhalb von weniger als einer Woche mobilisiert“. Wie wir bereits berichteten, hat der Ministerpräsident die EU-Kommission genau vor einer Woche aufgefordert, die für Ungarn vorgesehenen, aber blockierten Gelder aus dem Corona-Wiederaufbaufonds freizugeben. „Der Krieg in der Ukraine stellt für die (EU-)Mitgliedsstaaten eine präzedenzlose Herausforderung dar“ so Orbán in seinem Schreiben. Laut Presseberichten geht es jedoch um zwei andere Sachen.
Der ungarische Premierminister bat die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen in einem Brief um die sofortige Bereitstellung der dem Land zugewiesenen Mittel aus der „EU-Fazilität für Konjunkturbelebung und Widerstandsfähigkeit“. Presseberichten zufolge wolle die Kommission den Antrag Ungarns jedoch zuerst prüfen und verlange eine angemessene Begründung und ein Programm sowie eine Neubewertung und Genehmigung des bereits vorgelegten Plans. Doch sagt jetzt der Pressechef von dem Ministerpräsidenten, dass Orbán sein Ziel mit dem Brief erreichen konnte.
Nach Erhalt des Schreibens hat die Europäische Kommission zugestimmt, dass Ungarn eine Vorauszahlung des Betrags aus einem der EU-Rettungsfonds erhalten soll
dies kündigte Bertalan Havasi in einer Erklärung am Donnerstag an. Wie er schrieb:
„Die Initiative von Viktor Orbán hat die EU-Maschinerie innerhalb von weniger als einer Woche mobilisiert und die Europäische Kommission hat eine Änderung des REACT-EU-Programms vorgeschlagen“ sagte Havasi und fügte hinzu, dass dies Ungarn den bedingungslosen Zugang zu 300 Millionen Euro an EU-Mitteln innerhalb von ein paar Wochen ermöglichen würde. Havasi nannte es außerdem „eine klare Widerlegung der Lügen der Linken über die EU-Fonds“.
Zum Teil stimmt das, denn Ungarn wird Geld bekommen, aber nicht das Geld, das Viktor Orbán in seinem Schreiben gefordert hat.
Wie wir bereits am Mittwoch berichteten, bat Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán die Europäische Kommission in einem Brief, die Kreditlinie, die dem Land im Rahmen des EU-Konjunkturprogramms zur Verfügung gestellt wurde, teilweise mit sofortiger Wirkung in Anspruch nehmen zu können. Neben der Flüchtlingswelle aus der Ukraine begründete der Ministerpräsident seinen Antrag vor allem damit, dass „die wirtschaftlichen Auswirkungen des Krieges und der Sanktionen die ungarische Wirtschaft schwer belasten“, wobei er sich auf den Einmarsch Russlands in die Ukraine und die Strafmaßnahmen der EU gegen Russland bezog.
Nach früheren Berechnungen hätte Ungarn während der Coronavirus-Krise Anspruch auf rund 5.900 Mrd. Forint aus dem EU-Konjunkturprogramm gehabt. Ursprünglich war der Entwicklungsplan auf diesen Betrag ausgelegt, doch als das konkrete Programm im vergangenen Frühjahr vorgelegt werden musste, strich die Regierung unerwartet den Anspruch auf einen Kredit in Höhe von 3.400 Mrd. Forint und nahm dann im Herbst mit einer gigantischen Anleiheemission zu einem niedrigeren Preis Geld am Markt auf. Wichtig ist, dass die Regierung bereits zu diesem Zeitpunkt mitgeteilt hatte, dass sie nur vorübergehend auf die Sanierungsdarlehen verzichtete und dass die Möglichkeit bestand, dass Ungarn die Darlehen später (teilweise) in Anspruch nehmen würde.
Wie das Portal portfolio.hu schreibt, sprach Orbáns Pressechef über eine ganz andere Quelle als der Wiederaufbaufonds, der auch von dem Ministerpräsidenten im Brief erwähnt wurde: Es handelt sich um 10-Milliarden-Euro als Teil des sog. REACT-EU-Programms, dessen Flexibilität von der Europäischen Kommission bereits Anfang März vorgeschlagen wurde, um die ukrainische Flüchtlingskrise so schnell wie möglich zu bewältigen.
Die Kommission hat am 7. März diesen Vorschlag für den Einsatz von Kohäsionsmitteln zugunsten von Flüchtlingen in Europa (Cohesion Action for Refugees in Europe/CARE) angenommen, der es den Mitgliedstaaten und Regionen ermöglichen soll, Menschen zu unterstützen, die vor der Invasion der Ukraine durch Russland fliehen. Mit CARE erhalten die kohäsionspolitischen Vorschriften für den Zeitraum 2014-2020 die notwendige Flexibilität, damit die verfügbaren Mittel rasch auf solche Soforthilfen umgewidmet werden können. Darüber hinaus können die für 2022 vorgesehenen Mittel in Höhe von 10 Mrd. EUR aus der Aufbauhilfe für den Zusammenhalt und die Gebiete Europas (REACT-EU) für diese neuen Anforderungen verwendet werden, alles vor dem Hintergrund des allgemeinen Ziels des Wiederaufbaus nach der Pandemie. Die Europäische Kommission erläuterte schließlich am 23. März die konkreten Maßnahmen, die ergriffen werden, um die Mitgliedstaaten bei der Deckung des Bedarfs der Menschen zu unterstützen, die vor dem Krieg gegen die Ukraine und ihre Bevölkerung fliehen. Wie man auf der Website der EU schrieb: „Seit der grundlosen und ungerechtfertigten Invasion der Ukraine durch Russland haben in nur vier Wochen etwa dreieinhalb Millionen Menschen – hauptsächlich Frauen und Kinder – Zuflucht in der EU gesucht. Schätzungen zufolge sind rund 6,5 Millionen Menschen im Land auf der Flucht. Die Hilfsbereitschaft der EU gegenüber denen, die in der EU angekommen sind, zeigt sich darin, dass erstmalig die Richtlinie über vorübergehenden Schutz aktiviert wurde, die schnelle Hilfe sowie einen eindeutigen Rechtsstatus gewährleistet. Über die unmittelbare Hilfe in puncto Unterstützung an der Grenze, Aufnahme und Zivilschutz hinaus ergreift die EU heute weitere Schritte, um den Mitgliedstaaten zu helfen, damit die Schutzberechtigten ihre Rechte auf Bildung, medizinische Versorgung, Unterkunft und Beschäftigung – Dinge, die kennzeichnend für unsere europäische Lebensweise sind – wirksam wahrnehmen können.“
In diesem Sinne hat Viktor Orbán mit seinem Brief sein Ziel erreicht, so schnell wie möglich flexible EU-Mittel für die von der ukrainischen Flüchtlingskrise am stärksten betroffenen Länder zur Verfügung zu stellen, aber es bedeutet nicht das Geld, das zuvor für Ungarn blockiert wurde.
(Via: mti.hu, portfolio.hu, Titelbild: MTI/Európai Tanács)