Da der Kandidat der ungarischen Regierung für das Amt des EU-Kommissars erneut abgelehnt worden ist, werfen regierungsnahe Kommentatoren der EU eine Bestrafung Ungarns für seine einwanderungskritische Politik vor. Liberale Autoren hingegen halten die Entscheidung für gerechtfertigt. Presseschau von budapost.de.
Der Rechtsausschuss der Europäischen Union hat am Montag in einer zweiten Abstimmung über die Ernennung von László Trócsányi zum EU-Kommissar (siehe BudaPost 30. September) den von der Budapester Regierung nominierten Kandidaten erneut abgelehnt. Nach dem Votum bestimmte Ministerpräsident Orbán Oliver Várhelyi zum neuen Kandidaten Ungarns.
In Magyar Hírlap äußert sich Katalin Kondor keineswegs überrascht über die zweite Ablehnung Trócsányis. Die der Regierung nahestehende Kommentatorin erinnert daran, dass Tibor Navracsics vor fünf Jahren „ebenfalls einen Kreuzigungsversuch“ hatte über sich ergehen lassen müssen, bevor er EU-Kommissar wurde. Kondor führt das Scheitern von Trócsányi auf das Wirken „verräterischer“ Linker sowie europäischer Eliten zurück, die die Regierung Orbán für ihre Anti-Einwanderungspolitik bestrafen wollten.
Levente Sitkei von Magyar Nemzet wirft der EU vor, sie messe mit zweierlei Maß. Der regierungsfreundliche Autor erinnert daran, dass der Belgier Didier Reynderst als EU-Kommissar für Justiz akzeptiert worden sei, obwohl er unter Korruptions- und Geldwäscheverdacht stehe. Westeuropäische Staaten würden gerne auf osteuropäische Mitgliedsländer herabblicken und sie beschuldigen, demokratische Normen zu verletzen, klagt Sitkei.
Magyar Narancs bezeichnet in einem Leitartikel die Ablehnung von Trócsányi als gerechtfertigt. Die liberale Wochenzeitung hält es für höchst beunruhigend, dass die EU Ungarn die für die EU-Erweiterung zuständige Spitzenposition anbiete. Die Union signalisiere mit der Beauftragung des Kandidaten der ungarischen Regierung gerade für diesen Posten potenziellen Mitgliedern, dass sie dem Autoritarismus nicht wirklich entfliehen könnten, selbst wenn sie der EU beiträten. Magyar Narancs versteigt sich gar zu dem Vorwurf an die Adresse der EU, dass sie dem „besten europäischen Freund Putins“ eine wichtige strategische Position anvertraue. Dies, so Magyar Narancs abschließend, „kann den zerbrechlichen Frieden in Südost- und Osteuropa gefährden“.
Auf Index kommen Ágnes Szűcs und Máté Világi zu dem Schluss, dass Ministerpräsident Viktor Orbán mit der Nominierung von Várhelyi Brüssel habe eine Lektion erteilen wollen. Várhelyi habe zwar keine Schlüsselpositionen in der Regierung innegehalten und Viktor Orbán ihn als „Technokraten“ bezeichnet, dennoch vertrete er die Interessen des ungarischen Ministerpräsidenten und werde „ohne Bedenken seinen Anweisungen Folge leisten“.
(Via: budapost.de, Beitragsbild: MTI – Szilárd Koszticsák)