Linksliberale Medien bezeichnen die Bemerkung des Vorsitzenden der Europäischen Volkspartei (EVP) als eine milde Geste, während regierungsfreundliche Portale auf die vermeintliche Vergangenheit von Tusks Großvater hinweisen, der mit den Nazis kollaboriert haben soll. Presseschau von budapost.de.
Donald Tusks Äußerung über den ungarischen Ministerpräsidenten stelle einen „maßvollen Nazismus-Vorwurf“ dar – so die Titelzeile des Index-Beitrags zum Thema. Das Nachrichtenportal zitiert den Vorsitzenden der EVP, der gegenüber dem deutschen Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ erklärt hatte: Der politische Denker und Jurist Carl Schmitt – einst Nazi-Sympathisant der ersten Stunde – „wäre sehr stolz auf Viktor Orbán“.
Das Internetportal von Heti Világgazdaság veröffentlicht einen ähnlichen Bericht unter der Schlagzeile „Der Vorsitzende der Volkspartei bezeichnete Orbán behutsam als Nazi“. In dem Artikel beschreibt die liberale Wochenzeitung Tusks Aussage als einen unverblümten Nazismus-Vorwurf. Immerhin habe der polnische Politiker das ungarische Gesetz, das das Kabinett ermächtigt, in Belangen der Coronavirus-Epidemie per Dekret zu regieren, mit den Hitler 1933 in Deutschland verliehenen gesetzgeberischen Vollmachten verglichen.
Pesti Srácok schreibt über die verblüffende Aussage, dass die Anschuldigung „von jemandem stammt, dessen Großvater ein Kollaborateur der Nazis war“. Das regierungsnahe Portal veröffentlicht ein Porträt von Jozef Tusk in Wehrmachtsuniform sowie ein weiteres Foto mit vier SS-Soldaten, die in einem angeblich von Tusks Großvater gelenkten Fahrzeug sitzen.
Auf Mandiner weist Ádám Petri die Behauptung Tusks als völlig unbegründet zurück, denn „Orbán hat nie etwas gesagt oder getan, was derlei Bezichtigungen untermauert hätte“. Zudem vertritt der Sohn des verstorbenen liberalen Dichters György Petri die Ansicht, dass Tusks Aussage „die Erinnerung an die Opfer des Holocaust beleidigt“.
Zoltán Lakner bezeichnet Tusks Vorwurf als unbedacht und kritisiert, dass er von den wirklich brisanten Themen ablenke. Auf Városi Kurír stellt der linksliberale Politologe aber gleichzeitig klar, dass es sich bei Tusks Großvater um einen zwangsverpflichteten Gefreiten der Wehrmacht gehandelt habe, der nach einigen Tagen Dienst desertiert sei und sich der illegalen antinazistischen Heimatarmee in Polen angeschlossen habe.
(Beitragsbild: MTI/Pressestelle des Premiers – Balázs Szecsődi)