Nachdem der ungarische Ministerpräsident am 27. Juli in Siebenbürgen seine übliche programmatische Rede gehalten hatte, versucht sich die Wochenpresse an einer Interpretation des neuen Orbán’schen Begriffs von der „christlichen Freiheit“. Eine Presseschau von budapost.de.
Viktor Orbán habe mit der Uminterpretation seiner Idee einer „illiberalen Demokratie“ zur „christlichen Freiheit” klar gemacht, dass er mit Illiberalismus mehr Liebe und nicht weniger Freiheit meine, notiert András Bencsik in einem Leitartikel für das Wochenmagazin Demokrata. Viktor Orbán selbst habe seinem Publikum klar gemacht, dass das Christentum von seinen Anhängern ein Leben nach der Regel erwarte: „Was du nicht willst, das man dir tu, das füg’ auch keinem andren zu.” Der regierungsfreundliche Publizist interpretiert den Unterschied zwischen der christlichen Freiheit von Ministerpräsident Orbán und dem Liberalismus als die Differenz zwischen einer organischen und einer doktrinären Demokratie. Eine Form der doktrinären Demokratie stelle der Kommunismus dar, erklärt Bencsik. Eine andere Form sei die liberale Demokratie, die den Einzelnen in den Mittelpunkt der Freiheit stelle. Individuen könnten jedoch nicht allein existieren. Ob sie es nun begriffen oder nicht, sie seien jedenfalls Teil einer größeren Gemeinschaft, so Bencsik abschließend.
In Magyar Hang interpretiert Szabolcs Szerető das 30. Jahrestreffen des Fidesz in Siebenbürgen als einen Baustein, um den „persönlichen Mythos des Ministerpräsidenten“ zu konstruieren und ihn in ein Idol zu verwandeln. Der Autor erkennt jedoch an, dass Orbán über das intellektuelle Rüstzeug verfüge, um ein stimmiges Bild der letzten Jahrzehnte zu vermitteln, die innen- und außenpolitische Lage der jeweiligen Zeit zu analysieren sowie die Konturen der kommenden 15 Jahre zu umreißen. Den Analysen Orbáns kann Szerető dagegen nicht beipflichten: Beispielsweise glaube er nicht, dass die Kandidaten für EU-Spitzenämter, deren Wahl Orbán zu verhindern half, Leute von George Soros gewesen seien. Vielmehr gingen sie mit dem ungarisch-amerikanischen Investor kaum mehr konform als die neu gewählte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, deren Kandidatur der ungarische Regierungschef unterstützt habe. Gleichwohl räumt Szerető ein, dass unter den Spitzenpolitikern der Opposition kein einziger zu finden sei, der auch nur im Ansatz mit einer solchen strategischen Analyse aufwarte, wie sie Orbán jedes Jahr in Siebenbürgen abliefere.
Auf HVG online kritisiert Gáspár Miklós Tamás Analysten auf Seiten der Opposition, die den Begriff der „christlichen Freiheit“ des Ministerpräsidenten verspotten würden. Dieses Konzept sei vor 500 Jahren von Martin Luther eingeführt worden, notiert der marxistische Philosoph. Es bedeute: Die Gläubigen sollten nicht den kirchlichen Autoritäten untergeordnet werden, sich aber gleichzeitig als Diener der Gemeinschaft verstehen. Diese beiden Vorgaben stünden vielleicht im Widerspruch zueinander, erklärt Tamás. Er sei sich auch nicht sicher, ob der Ministerpräsident sie in Übereinstimmung bringen könne. Dennoch macht Tamás seine regierungskritischen Kollegen darauf aufmerksam, dass niemand zu Unrecht kritisiert werden sollte – nicht einmal der Ministerpräsident.
(Via: budapost.de, Beitragsbild: MTI)