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Tag der ungarischen Poesie – Welche Beziehung hat sie zur deutschen Literatur?

Daniel Vargha 2022.04.11.

Der Tag der ungarischen Poesie wird traditionell jedes Jahr am 11. April gefeiert, dem Geburtstag eines unserer größten ungarischen Dichter, Attila József. Obwohl wir diesen Tag offiziell seit 1964 feiern und mit Attila József in Verbindung bringen, feierten die Menschen die ungarischen Lyriker und die ungarische Lyrik schon seit 1956. Später beschloss die Agitations- und Propagandaabteilung der Ungarischen Sozialistischen Arbeiterpartei (MSZMP) auf Vorschlag des Ungarischen Schriftstellerverbands (Magyar Írók Szövetsége), den Feiertag am 11. April zu begehen. 

Attila József hat nicht nur eigene Originalwerke geschaffen, sonder war auch als Übersetzer tätig. Hauptsächlich übersetzte er französische Gedichte, wie Poesien von Villon oder Apollinaire aber es gibt auch einige aus der deutschsprachigen Literatur, mit denen er sich beschäftigt hatte. Der Dichter hat sich sogar mit dem weltberühmten deutschen Schriftsteller Thomas Mann getroffen. Er schrieb ein Gedicht zu diesem Anlass mit dem Titel „Thomas Mann zum Gruß“ (=Thomas Mann Üdvözlése). Er hatte also zahlreiche Beziehungen zur deutschen Literatur.

Fact

Attila József wurde als sechstes Kind eines Seifensieders in einfache Verhältnisse geboren. Drei der fünf Geschwister waren zum Zeitpunkt seiner Geburt allerdings bereits verstorben. So hatte er zwei Schwestern. Als er drei Jahre alt war, verließ der Vater die Familie und verschwand angeblich nach Amerika. Die Familie lebte in großer Armut: Attilas Mutter arbeitete als Wäscherin in Budapest. Attila und eine seiner Schwestern mussten zweieinhalb Jahre bei Pflegeeltern in Öcsöd verbringen. Nach der Rückkehr der Kinder zu ihrer Mutter lebten sie zusammen in Budapest. Attila war neun Jahre alt, als der Erste Weltkrieg ausbrach. In dieser Zeit half er bereits seiner Mutter im Haushalt und bei der Arbeit.

Im Jahr 1914 versuchte er nach einem Streit mit seiner Schwester Selbstmord zu begehen. Im selben Jahr erkrankte seine Mutter schwer. Inzwischen wurden seine Werke in der liberalen und damals bedeutendsten Literaturzeitschrift des 20. Jahrhunderts „Nyugat” veröffentlicht. 1922 erschien sein erster Gedichtband mit dem Titel Szépség koldusa (= Bettler der Schönheit). Vor allem sein Sonett Éhség (= Der Hunger) wurde als selbständig und durchaus neuartig empfunden.

Er lebte ein Jahre lang in Wien, wo er zuerst kleinere Arbeiten annahm. Dann bekam er einen Freitisch im Collegium Hungaricum und unterrichtete dort. Er kam immer wieder für kurze Perioden nach Ungarn zurück um dann aber nach Paris zu fahren. Hier übersetzte er Villon und Apollinaire. Im Januar 1937 begrüßte er den Flüchtling Thomas Mann zu seiner Lesung von Lotte in Weimar in Budapest mit dem Gedicht Wie lange wohl noch steht ein Saal für Dich bereit? 1937 kam er in ein Nervensanatorium. Im Alter von 32 Jahren stürzte er sich in Balatonszárszó vor einen Güterzug.

Im Januar 1937 kam Thomas Mann, der damals als tschechoslowakischer Staatsbürger im Exil in der Tschechoslowakei lebte, nach Budapest. In einem Brief vor seiner Ankunft betonte er: „Ich kann das nur den jungen Schriftstellern zuliebe tun (die Reise nach Ungarn ed.), die mich eingeladen haben. Ihre Gefühle mir gegenüber, besonders heute, bedeuten sehr viel.“

Der deutsche Schriftsteller las ursprünglich im ehemaligen Ungarischen Nationaltheater einen Auszug aus seinem Roman Lotte in Weimar. Ursprünglich sollte Attila József Thomas Mann mit seinem Gedicht „Thomas Mann zum Gruß“ begrüßen, bevor der Schriftsteller die Bühne betrat, aber die Zensur verweigerte die Lesung seines Werkes aus politischen Gründen.

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Der große deutsche Schriftsteller könnte das Gedicht dennoch gekannt haben, denn vor der Lesung besuchte Attila József ihn. Auch wenn wir nicht genau wissen, wie es zu der großen Begegnung kam, steht fest, dass Mann stark von Attila József beeindruckt war. Dies geht aus einem Brief hervor, den er Mitte Januar 1955 anlässlich des halben Jahrestages der Geburt des Dichters an den Schriftstellerverband schrieb:

Unsere persönliche Begegnung in Budapest, die Zärtlichkeit und edle Bescheidenheit seines Wesens, sein reiner und leidenschaftlicher Idealismus haben einen unvergesslichen Eindruck bei mir hinterlassen.

József hat zahlreiche deutsche Werke übersetzt, wie z.B. den evangelischen Choral Ein’ feste Burg ist unser Gott“ von Martin Luther. Dieses Lied ist später die Hymne und sogar die Begrüßung der evangelischen Kirche geworden. Das Werk ist eine Paraphrase des 46. Psalm. J.S. Bach hat diesen Choral ebenso (wie auch alle anderen) musikalisch weiter verarbeitet. Attila József hat außerdem andere Chorale, wie den Choral „Wachet auf, ruft uns die Stimme“ auf Ungarisch übersetzt.

Luther:
Ein feste Burg ist unser Gott,
Ein gute Wehr und Waffen.
Er hilft uns frei aus aller Not,
Die uns jetzt hat betroffen.
Der altböse Feind,
Mit Ernst er’s jetzt meint;
Groß Macht und viel List
Sein grausam Rüstung ist,
Auf Erd ist nicht seinsgleichen.

ungarische Übersetzung:
Erős vár a mi Istenünk,
Jó fegyverünk és pajzsunk.
Ha ő velünk, ki ellenünk?
Az Úr a mi oltalmunk.
Az ős ellenség
Most is üldöz még,
Nagy a serege,
Csalárdság fegyvere,
Nincs ilyen több a földön.

Übersetzung von József:
Erős vár a mi Istenünk,
Kemény vasunk és vértünk.
Inségben együtt van velünk,
Megvált és harcol értünk.
Kél az ősi rossz,
Bajvető gonosz,
Csel vad fegyvere,
Erőszak ővele,
A földön ő az első.

Wie man sehen kann, gibt es auf mehreren Ebenen eine Beziehung zwischen der ungarischen und deutschen Kultur, genau an dem Tag der ungarischen Poesie, und wir reden nur von diesem Tag…

(Beitragsbild: Petőfi Irodalmi Múzeum via Wikimedia Commons)