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Ungarische Presseschau – Oskar für ungarischen Kurzfilm

Enikő Enzsöl 2017.03.07.

Dem Streifen „Sing“ (Mindenki) von Kristóf Deák wurde 2017 der Oscar in der Kategorie Bester Kurzfilm zuerkannt. „Körper und Seele“ (Testről és lélekről) von Regisseurin Ildikó Enyedi hatte sich kurz zuvor den Goldenen Bären des Berliner Filmfestivals gesichert, während „Son of Saul” (Saul fia, Regie: László Jeles Nemes) im vergangenen Jahr den Academy Award als bester fremdsprachiger Film gewinnen konnte. Diese beispiellose Erfolgserie der staatlich geförderten ungarischen Filme brachte die Frage mit sich, ob sich die von der rechtsorientierten Regierung vorgenommenen Reformen im Bereich Filmproduktion als richtig erwiesen haben. Ungarische Presseschau von budapost.de:

Die ungarische Filmproduktion habe sich an der Weltspitze zurückgemeldet, triumphierte Dániel Levente Pál in Magyar Idők, als Ildikó Enyedi den Goldenen Bären gewonnen hat. Der der Regierung nahestehende Kommentator verwies darauf, dass sowohl das Werk von Ildikó Enyedi als auch der oscarprämierte Streifen „Son of Saul“ (Regie: László Nemes Jeles) vom Ungarischen Nationalen Filmfonds gefördert wurden. Dies sei ein Beweis dafür, dass es sich beim vom ungarisch-amerikanischen Produzenten Andy Vajna geschaffenen und geleiteten öffentlichen Filmfördersystem des Landes um eine Erfolgsgeschichte handele, konstatierte Pál.

In Magyar Idők erinnert Ottó Gajdics die „Apostel der Negation“ an eine ihrer Prognosen. Früher hatten Kritiker in der ungarischen Presse den Untergang der Kinematographie in Ungarn vorhergesagt, nachdem die amtierende Regierung die bis dato gültigen Förderstrukturen abgeschafft und den ungarisch-amerikanischen Produzenten Andy Vajna zum Regierungsbeauftragten für die Filmindustrie ernannt hatte. Zwei Oscars und ein Goldener Bär seien die durchschlagende Antwort auf ihre Negativhaltung, frohlockt der Chefredakteur der regierungsnahen Tageszeitung.

Auf den Erfolg von Regisseurin Ildikó Enyedi bei den Berliner Filmfestspielen reagierend bezeichnete Judit Kósa von Népszava das öffentliche Filmfördersystem Ungarns als einen Witz. Die linksorientierte Kolumnistin hält es für „absurd und beängstigend“, dass öffentliche Fördergelder durch einen ehemaligen Hollywood-Produzenten vergeben würden sowie Staatsangestellte an der Produktion ungarischer Filme tatkräftig beteiligt seien. Es bleibe ein „Wunder“ und eine seltene Ausnahme, dass der Ungarische Nationale Filmfonds den Streifen von Ildikó Enyedi finanziert habe – ein Film, der eine Subventionierung fürwahr verdient habe, so das Urteil Kósas.

Géza Csákvári verweist darauf, dass „Sing“ nicht von Vajnas Nationalem Filmfonds, sondern vom Nationalen Medienrat gefördert worden sei, denn Kurzfilme würden hauptsächlich für eine Ausstrahlung im Fernsehen vorgesehen und der Medienrat sei die oberste die TV-Industrie regulierende Behörde. In seinem Artikel für Népszava geht es dem Autor aber vor allem um das vermeintliche Schicksal von „Sing“ nach einer Ausstrahlung im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, das Csákvári mit „totaler Vergessenheit“ beschreibt. Dass dies nicht geschehen sei, habe man dem Regisseur und seinem Produzenten zu verdanken, die die Presse persönlich auf ihren Film aufmerksam gemacht und ihn zur Aufführung bei mehreren internationalen Festivals eingereicht hätten. Nach der Verleihung des ersten Preises beim Filmfestival von Tokio sei ihnen die Nominierung für den diesjährigen Oscar geglückt, unterstreicht Csákvári.

In Magyar Hírlap lobt Pál Dippold Regisseur Kristóf Deák, der in seiner Dankesrede anerkennend von einer Wiederbelebung der ungarischen Filmindustrie gesprochen habe. Dippold stellt diese Haltung derjenigen von Ildikó Enyedi gegenüber. Sie hatte nach dem Gewinn des Goldenen Bären für ihr vom Nationalen Filmfonds gefördertes Liebesdrama in einem deutschen Rundfunkinterview unter anderem geäußert, sie würde gerne stolz auf ihr Land sein, doch sei das, was dort gerade passiere, eine Schande. Wie dem auch sei, der Erfolg von „Sing“ gebe allen Ungarn eine Möglichkeit zur Freude, ungeachtet ihrer Meinungsverschiedenheiten über Geschmack und Politik, resümiert Dippold.

Parallel mit dem Streit über die vorgenommenen Reformen im Bereich Filmproduktion gibt es eine Diskussion über die Interpretation des Kurzfilmes „Sing“ (Mindenki). Die liberale Interpretation, den Kurzfilm als eine Beschreibung des gegenwärtigen, von arroganten Manipulatoren regierten Ungarns feiern, wurde von einem der Regierung nahestehenden Analysten zurückgewiesen.

In seinem wöchentlichen Leitartikel für Demokrata gesteht András Bencsik seine Antipathie gegen die Geschichte von „Sing“ ein. Der Film handelt von einem Schulchor, in dem die Musiklehrerin auch solche Kinder mitmachen lässt, deren Stimmen sie für nicht gut genug erachtet. So verlangt sie von ihnen, nur so zu tun, als ob sie singen würden. Sie bewegen also lediglich ihre Lippen, ohne einen Ton von sich zu geben. Die Kinder bekommen mit, dass einige von ihnen so behandelt werden, und rebellieren daraufhin. Der Chefredakteur der Wochenzeitschrift kann nicht verstehen, warum die Musiklehrerin Kinder benötigten sollte, die für den Chor ungeeignet sind, nur um sie stumm zu halten. Und so lehnt er das Ende der Geschichte mit den aufbegehrenden kleinen Sängern als kindisch ab. Besonders verurteilt Bencsik Pressekommentare, in denen der Film als Sinnbild der gegenwärtigen Situation in Ungarn dargestellt wird, für die ein Aufstand die einzige Lösung sei. Aus einem politisch korrekten Blickwinkel betrachtet, so Bencsik polemisch, sei eine Lehrerin, die gute Sänger für ihren Chor begehre, eine Despotin und, allgemeiner gesprochen, das Streben nach Qualität mit Faschismus gleichzusetzen.

Im Kommunismus seien Sport und Filme von der Regierung als vermeintliche Instrumente regimekonformer Propaganda reichlich gefördert worden, erinnert Heti Válasz-Chefredakteur Gábor Borókai. Nach der Wende hätten sich sowohl der Sport als auch die Kinematographie plötzlich dem Markt ausgeliefert gesehen – mit in der Konsequenz nachlassendem Erfolg. Das Kabinett Orbán habe sie unter staatliche Kontrolle gebracht und Regierungspolitiker auf führende Posten bei Sportverbänden – vom Ringen bis zum Handball – gesetzt. Die verfügten jedoch nicht über eine allzu große Expertise, ganz im Gegensatz zum neuen Regierungskommissar für die Filmindustrie, den ungarisch-amerikanischen Produzenten Andy Vajna. Dessen System sei von Filmschaffenden heftig abgelehnt worden, habe aber allmählich Weltklasseerfolge hervorgebracht, darunter erste Preise in Cannes, Berlin, Karlovy Vary und Hollywood.

via budapost.de, Foto: hvg.hu