Auf der internationalen Journalistenkonferenz, „Hungary at first site“, die von der Stiftung „Freunde von Ungarn“; Herausgeber unseres Portals; organisiert wurde, sprachen Staatssekretär Gábor Gion, und der Vorstandsvorsitzende der Erste Bank Radován Jelasity über die ungarische Wirtschaft und den Finanzsektor während der Pandemie sowie über ihre Aussichten für die nahe Zukunft.
Wirtschaft
Gábor Gion, Staatssekretär für Finanzpolitik, erörterte zunächst den Zustand der ungarischen Wirtschaft. Er sagte, während die erste Welle im Gesundheitswesen relativ gut bewältigt wurde, führte die Pandemie dazu, dass die Wirtschaft im zweiten Quartal um 13,3% schrumpfte. Dennoch erholte sie sich zunächst unerwartet schnell und lag in den nächsten Monaten bei 11,6%. Bis heute ist sie gegenüber dem Vorjahr um 5,6% geschrumpft, und es wird erwartet, dass das BIP bis Ende des Jahres um 6,4% sinken wird.
Staatssekretär Gábor Gion, Foto: MTI – Attila Kovács
Er machte darauf aufmerksam, dass die Wirtschaft vor der Corona-Krise sowohl quantitativ als auch qualitativ in einem viel besseren Zustand war als vor der Finanzkrise 2008-2009. Der Haushaltsplan ist ständig unter Kontrolle, wobei das Defizit im größten Teil des letzten Jahrzehnts unter 3% lag. Ungarn ist im gleichen Zeitraum durchweg über den EU-Durchschnitt hinausgewachsen und hat auch seine regionale Referenzgruppe übertroffen. Die Wirtschaft wurde in den letzten Jahren vielfältiger, ist heute nicht mehr exportorientiert und zwischen den Sektoren viel ausgeglichener als früher. Der Zufluss ausländischer Direktinvestitionen wurde ebenfalls vielfältig. In Bezug auf die Arbeitslosigkeit erwartete Gion eine Verschlechterung. Zu Jahresbeginn lag die Arbeitslosigkeit bei 3,4%, und trotz eines anfänglich starken Anstiegs zu Beginn der Pandemie ist die Zahl der Erwerbstätigen in Ungarn nach offiziellen Angaben derzeit höher als im Februar ( ohne Berücksichtigung von Teilzeitbeschäftigten). Er betonte zugleich, dass die ungarische Regierung unterschiedliche Förderungsprogramme für Arbeitsplätze eingeführt hat. Die ungarischen Unternehmen scheinen ansonsten in den meisten anderen Sektoren, ausgenommen dem Gastgewerbe, zu überleben. Dies ist zum Teil dem Kredittilgungsmoratorium zu verdanken.
Fact
Das Parlament stimmte am 21. Oktober einstimmig für die Verlängerung des infolge der Corona-Pandemie eingeführten Kredittilgungsmoratoriums bis zum 30. Juni 2021. Rentner, Familien mit Kindern, Erwerbslose und ABM-Kräfte sowie Unternehmen mit Schwierigkeiten werden damit von der Zahlung ihrer Kredittilgung bzw. von ihren aus Leasingverträgen stammenden Kapital-, Zins- bzw. Gebührenzahlungsverpflichtungen befreit. Das Moratorium bezieht sich unverändert auf Verträge vor dem 18. März 2020. Damit bleiben ca. 400-450 Mrd. Forint bei Familien und Unternehmen. Von der Maßnahme sind mehr als 750.000 Personen betroffen, kommentierte das Finanzministerium die Entscheidung.
Finanzsektor
Radován Jelasity, Vorstandsvorsitzender der Erste Bank, hob das Kreditmoratorium als Beispiel dafür hervor, wie der Finanzsektor und die Regierung in Ungarn zusammengearbeitet haben, um soziale Ziele während der Pandemie zu erreichen. Er bestätigte auch, dass sich die Situation in Ungarn im Vergleich zu der vorherigen Krise von 2008, als Ungarn Nettoverschuldungen aufwies, dramatisch verbessert habe.
Vorstandsvorsitzender der Erste Bank, Jelasity Radován, Foto: MTI – Zsolt Czeglédi
Er ist zuversichtlich, dass der Sektor mit Hilfe der Regierung wieder dorthin zurückkehren wird, wo er vor der Pandemie war. „Anlegerberichte scheinen diese Überzeugung zu bestätigen“ – so der CEO. Die Privatkundenkredite sind bereits wieder da, wo sie vor der Pandemie waren, fügte er hinzu.
Überblick: Konjunkturprognosen für Ungarn
Laut Gábor Gion ist es schwer einzuschätzen, welche Folgen die Corona-Krise haben werde. Er glaubt, dass nur noch ein paar Monate nötig sind zu überleben, um das Virus bewältigen zu können. „Bis Mitte nächsten Jahres werden wir einen Impfstoff haben, der das Vertrauen von Verbrauchern und Investoren stärkt und die Wirtschaft wiederbeleben kann“.
Infolge der zweiten Corona-Welle werde sich das Hochfahren der Wirtschaft länger als erwartet hinziehen. In diesem Jahr werde das BIP um 5,1-6,8% schrumpfen, 2021 könnte es erneut um 4,4-6,8% ansteigen. Anfang 2022 könnte die ungarische Wirtschaftsleistung ihr Vorkrisenniveau erreichen. Unter den jetzt vorhergesagten Bedingungen wird das diesjährige Haushaltsdefizit 8% betragen und die Schuldenquote über 80% steigen. Ab dem nächsten Jahr wird beides abnehmen, während die Wirtschaft voraussichtlich um 3,5% wachsen wird.
Fact
Der Operativstab zum Schutz der Wirtschaft verhandelte über die Beschleunigung und Förderung von Investitionen, informierte kürzlich Finanzminister Mihály Varga. Staatliche Investitionen sollen mit neuen Instrumenten vereinfacht sowie die Kontrollen von öffentlichen Vergaben effizienter gestaltet werden.
Zu den Faktoren, die Ungarn attraktiv machen, gehört die Tatsache, dass die lohnbereinigte Arbeitsproduktivität in der EU am höchsten ist, so Jelasity. Dies gilt in doppelter Hinsicht für die Automobilindustrie. Ein weiterer Grund ist, dass die Körperschaftsteuer mit 9% außergewöhnlich niedrig ist. Ein dritter ist, dass die Regierung kooperativ und offen mit Unternehmen ist und ihre Versprechen konsequent einhält.
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Während der Krise verlagern Unternehmen Arbeitsplätze in billigere Regionen, was Mittel- und Osteuropa besonders attraktiv macht. Dies kann auch dazu beitragen, die Arbeitslosigkeit in Ungarn niedrig zu halten.
Der Weg nach vorn
Sowohl Gion als auch Jelasity sind sich einig, dass das Leben nach der Pandemie anders sein wird. Die „neue Normalität“ wird nicht die „alte Normalität“ sein, wir werden anders arbeiten und leben.
Auf eine Frage eines Journalisten antwortete Gion, dass die finanzielle Verantwortung in Zukunft von zentraler Bedeutung sein werde und das Land daher Maßnahmen wie das Drucken von Geld oder die Aufnahme übermäßiger Schulden vermeiden werde.
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(Beitragsbild: MTI – Csaba Krizsán)