
Kompromisse mit den nationalistischen Parteien sind undenkbar, Bündnisse über die ideologischen Gräben hinweg möglicherweise notwendig.Weiterlesen
Viktor Orbán mit dem RMDSZ-Chef Hunor Kelemen
Der unabhängige Präsidentschaftskandidat Victor Ponta ist ein Stehaufmännchen der rumänischen Politik, dem man nicht nur Außenseiterchancen im Rennen um das Cotroceni-Schloss einräumt. Neulich machte er von sich reden, als er Viktor Orbán vorwarf, „zu viel Macht in Rumänien“ auszuüben.
Viktor Orbán, der dienstälteste Regierungschef innerhalb der EU, wird ebenso angefeindet wie – meist heimlich – bewundert. Freund und Feind stimmen darin überein, dass er wie kaum ein anderer „polarisiert“, was angesichts des Gedränges in der politischen „Mitte“ als Todsünde gilt. Die oft beanstandete Polarisierung erfolgt allerdings nicht mehr entlang der Achse „links-rechts“, sondern geschieht in einem politischen Kraftfeld, dessen Feldlinien zum Teil von dem ungarischen Ministerpräsidenten gezogen wurden und beispielsweise „Souveränität“, „Wirtschaftsneutralität“, „patriotische Politik“ heißen.
Einer der in den Sog dieses Kraftfeldes gezogen wurde ist der frühere Ministerpräsident Rumäniens Victor Ponta (52), der Anfang März seine Kandidatur für die wiederholten Präsidentschaftswahlen in Ungarns östlichem Nachbarland bekannt gab. Die jüngsten Umfragen bescheinigen dem „Enfant terrible“ der Bukarester politischen Bühne magere 14 % in der Wählergunst, wobei der Bestplatzierte, der ultranationalistische AUR-Chef George Simion 30 %, der Kandidat der Regierungsparteien Crin Antonescu 23 %, der Unabhängige Nicușor Dan 21 % und – weit abgeschlagen – die Kandidatin der Progressiven Elena Lasconi 8 % für sich beanspruchen. Viktor Orbáns Namensvetter, dessen ursprünglicher Familienname Ponte (italienisch für „Brücke“) gewesen sein soll, möchte allerdings Brücken zu mehreren politischen Lagern schlagen, um so in den trüben Gewässern der rumänischen Wählerschaft zu fischen.
Der damals (2012-2015) jüngste Chef einer Bukarester Exekutive und Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei (2010-2015) pflegt auch nach seinem Parteiausschluss beste Beziehungen zu den früheren politischen Weggefährten,
bekennt sich zumindest rhetorisch zur viel bemühten „sozialen Gerechtigkeit“ und zielt damit auf die Verlierer des rumänischen Turbokapitalismus ab. Dieses Wählerbecken überschneidet sich größtenteils mit dem des verhinderten Präsidentschaftskandidaten Călin Georgescu, dessen nationalistischen Anhänger von George Simion eins zu eins übernommen wurden. Crin Antonescu, dessen Kandidatur von der stimmenstärksten Sozialdemokratischen Partei nur halbherzig unterstützt wird, kann höchstens mit Petri-Heil-Zurufen rechnen, sein Anglerglück in diesem ideologischen Becken wird bescheiden ausfallen. Anders der gewiefte Populist Ponta, der mit seinem balkanischen Spitzbuben-Charme bei den Wählern aus der tiefsten Provinz, die dem hölzern wirkenden Geschichtslehrer Antonescu misstrauisch begegnen, gut ankommt.
In einem zutiefst verunsicherten Rumänien, das derzeit seinen Platz zwischen Washington, Brüssel und Moskau sucht, buhlt Ponta jedoch hauptsächlich um die Gunst der „Souveränisten“, die in Rumänien nichts mit Viktor Orbáns Parteienfamilie zu tun haben. Unter den „souveränistischen“ Parteien Bukarester Observanz verfügt nur die AUR (Allianz für die Vereinigung der Rumänen) über die Mitgliedschaft einer Fraktion des Europaparlaments. Ihr Parteichef, der aussichtsreichste Kandidat für das Amt des Staatsoberhauptes, ist Vizepräsident der Konservativen und Reformer, gilt aber außerhalb seines nationalistischen Wählerbeckens als nicht salonfähig. Hier kommt Ponta ins Spiel, der mal die rote Baseballkappe Trumps aufsetzt, mal sich in die staatsmännische Schale wirft. Wenn es sein muss, würde der Verwandlungskünstler auch Georgescus Volkstracht anziehen, mit dem der Bewunderer der rumänischen Faschisten die Herzen der Nationalisten im Sturm eroberte.
Wie kann man gleichzeitig im patriotischen Fluss, im nationalistischen (in Rumänien: „souveränistischen“) Teich und in progressivem Pool angeln? Pontas jüngste Stellungnahmen lassen eine geschickte Strategie zumindest bezüglich der ersten beiden ideologischen Lager erkennen. Der unabhängige Präsidentschaftskandidat sagte am Mittwoch in einer Digi 24-Sendung, er wolle „eine patriotische Regierung, so national wie möglich“ und würde „niemals“ ein Mitglied der RMDSZ (Demokratische Allianz der Ungarn Rumäniens) als Finanzminister oder als Mitglied des Obersten Verteidigungsrates (CSAT) akzeptieren. Andererseits gab er zu, dass „viele der Gesten“ von Premierminister Viktor Orbán für Ungarn richtig seien. Dann kam aber eine weitere Drehung des politischen Opportunisten:
Aber ich will und mag es nicht, dass Viktor Orbán in Rumänien zu mächtig ist. Ich glaube nicht, dass er das Wohl Rumäniens will“.
In Rumänien gilt nämlich als ausgemachte Sache, dass Hunor Kelemen, der Chef der RMDSZ, einer Partei, die Mitglied der Europäischen Volkspartei (EVP, wie die Ungarische Allianz in der Slowakei) ist, die Politik des Patrioten-Gründers umsetzt. „Ich mag es nicht, wenn Hunor Kelemen ankündigt, dass er die Regierung stürzt, wenn jemand (gemeint war Crin Antonescu, m. A.) nicht Staatspräsident wird“, monierte der Präsidentschaftskandidat und fälschte dabei Wortlaut und Inhalt einer durchaus realistischen Einschätzung Kelemens. Auf die Tatsache angesprochen, dass er laut seiner Erklärung die Regierung ändern würde, sollte er Präsident werden, sagte Ponta: „Aber ich erhalte nichts von Viktor Orbán, weder Hinweise noch Vorschläge“. Postwendend kam die pikierte Reaktion des RMDSZ-Fraktionschefs im Unterhaus, der in Bukarester Manier persönlich wurde: „Ich habe gesehen, dass Ponta im Fernsehen gesagt hat, dass Orbán ihm keine Befehle gibt. Dottore, als du an der Tür von Orbán gekratzt hast, damit er dich empfängt, war es, als ob dir nicht übel wäre!“. Offensichtlich war Regierungschef Marcel Ciolacu nicht der einzige Bukarester Politiker, der den guten Draht des ungarischen Premierministers zum Oval Office nutzen wollte.
Seinen stärksten Mitbewerber im Rennen um das Amt des Staatsoberhauptes ermahnte Ponta mit den Worten: „George Simion, hör mir gut zu. Du bist nicht Călin Georgescu. Du hast nicht seine Bildung, Studien, Erfahrung, Werte und seinen Glauben an Gott. Du kannst nicht Präsident sein und du weißt es“. Mit dieser öffentlichen Zurechtweisung (es handelt sich um einen Facebook-Eintrag) schlug Ponta zwei Fliegen mit einer Klappe. Er schmeichelte der grauen Eminenz der Nationalisten, der hinter der politischen Bühne die Fäden zieht, und pokerte vor den zahlreichen Anhängern Georgescus hoch, die George Simion, seinem Stellvertreter wider Willen, übertriebene Vorsicht im europäischen Porzellanladen vorwerfen.
Man kommt nicht umhin festzustellen, dass die europäischen Schockwellen, die von der geopolitischen Neupositionierung der Vereinigten Staaten ausgelöst wurden, die Rumänen am härtesten getroffen haben. Ungarns östliches Nachbarland ist trotz oder vielleicht gerade wegen seiner strategischen Bedeutung zur Drehscheibe konträrer Interessen geworden. Diese Drehscheibe wird sich wahrscheinlich mal in die westliche, mal in die östliche Richtung bewegen.
Budapest wirkt trotz jüngster Randale der Opposition von Bukarest aus gesehen wie ein Hort politischer Stabilität.
Kein Wunder, dass dortige Politiker Viktor Orbán nicht aus den Augen verlieren. Victor Pontas ambivalentes Verhältnis zum ungarischen Doyen der europäischen Politik hat nicht nur mit dem landesüblichen Opportunismus zu tun. Vielleicht sind, nach den von grauen EU-Bürokraten geprägten Jahren, wieder starke Persönlichkeiten gefragt, welche nicht die Stagnation verwalten, sondern Reformen wagen.
Beitragsbild: MTI/Miniszterelnöki Sajtóiroda/Benko Vivien Cher