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Rumäniens Ministerpräsident beruhigt die Nationalisten und verprellt die ungarische Minderheit

Ferenc Rieger 2024.02.26.

Umrisse des Szeklerlandes auf dem Heldenplatz in Budapest

Das Szeklerland wird niemals eine Autonomie erhalten, sagte der rumänische Ministerpräsident Marcel Ciolacu, Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei (PSD), zum Abschluss seines zweitägigen Besuchs im Szeklerland am Samstag auf der Wahlversammlung der Kreisorganisation seiner Partei in Kovasna (Kovászna, Covasna).

Rumäniens turnusmäßiger Ministerpräsident verdankt seine politische Karriere weder überdurchschnittlichen Leistungen in irgendeinem Fachbereich noch besonderen Verdiensten als Parteisoldat. Dass der farblose Absolvent einer umstrittenen Hochschule (aktuell auf Platz 61 im rumänischen Ranking) dennoch so weit gekommen ist, verdankt er einem Zusammenspiel von Umständen, das ihn als Lückenbüßer zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort erscheinen ließ. Nun will er über seinen Schatten springen und sich mit markigen Sprüchen profilieren, wie Ende letzter Woche im mehrheitlich ungarischsprachigen Szeklerland.

Kinder stehen Spalier für einen Politiker, ein Bild, das an vergangene Zeiten erinnert. Foto: Marcel Ciolacu Facebook

Neulich hat Loránt Vincze, ein Abgeordneter der ungarischen Minderheit, im Europaparlament dafür gesorgt, dass seine Kollegen einen Anknüpfungspunkt mit Marcel Ciolacu erhielten: Er konfrontierte nämlich den anwesenden rumänischen Präsidenten Iohannis mit seiner ironischen Begrüßung „Jó napot, Ciolacu!“ (Guten Tag, Ciolacu!) aus dem Jahr 2020, als er die ungarische Sprache als politisches Mittel gegen seine politischen Gegner aus der Sozialdemokratischen Partei missbraucht hat. Den PSD-Chef bezichtigte das Staatsoberhaupt damals des Landesverrats: Er warf Marcel Ciolacu vor, durch die stillschweigende Annahme eines Autonomiestatuts für das Szeklerland im Unterhaus, Siebenbürgen „den Ungarn“ überlassen zu haben.

Nach vier Jahren sind die alten Scherereien mit den Nationalliberalen von Iohannis Schnee von gestern; die beiden Parteien der Regierungskoalition, die sich der Ungarnpartei RMDSZ entledigt hat, treten bei den Europawahlen unter einer Flagge an. Nicht vergessen ist hingegen die berüchtigte „ungarische Karte“, die in schöner Regelmäßigkeit gezogen wird, um die rumänischen Wähler in Ermangelung überzeugender Ergebnisse bei der Laune zu halten.

Szeklerland wird nie und nimmer autonom sein! Ich werde erklären, warum. Erstens, weil wir, die Rumänen, ihnen die Autonomie nicht gegeben haben. Mehr noch, wir Rumänen haben sie ihnen nicht weggenommen“,

verkündete der im Wahlkampf-Modus eingeschaltete PSD-Chef. Redlich bemüht, die im südlichen Szeklerland spärlich vorhandenen PSD-Wähler anzufeuern, wagte sich der studierte Jurist in fremde Gefilde und bot den rumänischen Zuhörern einen Crashkurs in siebenbürgischer Geschichte, der auffallende Ähnlichkeiten mit einem propagandistischen Historienschinken (Michael der Tapfere von Sergiu Nicolaescu, 1970) aufwies, den Marcel Ciolacu als Schüler gesehen haben muss: „In unserer Geschichte haben wir nie mit den Szeklern gekämpft und die Szekler haben nie mit den Rumänen gekämpft. Wenn ihnen Unrecht widerfahren ist, dann durch die Sachsen und die Ungarn. Ich weiß, dass wir gemeinsam unter der Flagge Michaels des Tapferen gekämpft haben“. Dass eine moderne Autonomie, gelebte Realität in vielen EU-Ländern, etwas anderes ist als die mittelalterliche und frühneuzeitliche Standesautonomie in Siebenbürgen, entging dem Ministerpräsidenten, ebenso wie der Unterschied zwischen dem ständischen und dem modernen Nationsbegriff.

 

Madéfalva, 2023. Foto: Külhoni Magyarok Facebook

Bauernschläue ist eine Tugend, die man rumänischen Politikern nicht absprechen kann. Sie scheint auch das bevorzugte Mittel, das Marcel Ciolacu an die Spitze der stärksten rumänischen Partei befördert hat. Im Szeklerland gelang es dem Bukarester Regierungschef zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: Einerseits verkündete er („urbi“) der wachsenden Schar nationalistisch gesinnter Wähler seiner bereits Ende des Jahres bekräftigte Ablehnung des „Autonomie-Unsinns“, andererseits („orbi“) beschwichtigte er die jedem ethnisch motivierten Ärger an ihrer östlichen Flanke abgeneigte Europäische Union,  indem er im besten Brüsseler „Neusprech“ die Vorzüge der EU-, NATO-, der angepeilten OECD- und der erhofften Schengen-Mitgliedschaft anpries und seinen Zuhörern in Neumarkt (Marosvásárhely, Târgu Mureș), in einer Stadt, wo 1990 die ersten Opfer des ethnischen Hasses in Europa nach der Wende zu beklagen waren, versicherte, dass er nicht zu den Politikern gehört,

die kommen und die Rumänen gegen Rumänen anderer Herkunft aufbringen und dann nach Bukarest zurück gehen, wo es ihnen egal ist, was in ihren Gemeinden passiert“.

Dem Bukarester Lehrling der „sowohl als auch“-Politik gelang es das Kunststück, nationalistische Wähler und euroatlantische Verbündete gleichermaßen zu beruhigen und die ethnischen Ungarn zu verärgern: In Kovasna vergoss er darüber Krokodilstränen, dass die Szekler angeblich nicht willens sind Rumänisch zu lernen und dadurch im übrigen Staatsgebiet nicht reüssieren können, in Neumarkt (Landkreis Mieresch) apostrophierte er die Magyaren –  wie vor der Wende üblich –  als „Rumänen anderer Herkunft“, sehr zum Missfallen der solcherart Zwangsbeglückten.

Marcel Ciolacu (links) mit Barna Tánczos (rechts) in Madéfalva. Foto: Tánczos Barna Facebook

Am Samstag empfing RMDSZ-Senator Barna Tánczos am Siculicidium-Denkmal, das an das Massaker von Madéfalva im Jahr 1764 erinnert, den rumänischen Ministerpräsidenten Marcel Ciolacu. Als Reaktion auf dessen Erklärung vom Freitag, in der er die Existenz des Szeklerlandes leugnete, sagte er, dass es „das Szeklerland gab, gibt und immer geben wird“.

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Beitragsbild: Dabis Attila Facebook