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Wie Studenten zum Sturz des Kommunismus beitrugen – Buchvorstellung und Ausstellungseröffnung in Westungarn

Enikő Enzsöl 2022.06.20.

Bei der Darstellung der Geschichte der Regimewechsel in Ungarn wird in der Fachliteratur meist auf die glückliche Entwicklung der politischen Prozesse der Großmächte verwiesen und die Ereignisse in Budapest beschrieben. Zu Unrecht wird jedoch wenig darüber gesprochen, dass dem Untergang des Kommunismus ein langsamer Gärungsprozess, eine allgemeine gesellschaftliche Unzufriedenheit von unten vorausging, für die die Fachkollegien im Hochschulbereich den institutionellen Rahmen bildeten. Und noch weniger wird in den Chroniken erwähnt, dass das einzige bedeutende Fachkollegium außerhalb von Budapest, in Szombathely gegründet und nach dem bedeutenden ungarischen Schriftsteller László Németh (1901-1975) benannt wurde.

Foto: offizielle Facebook-Seite von iASK

Ein Band der Institute of Advanced Studies Kőszeg (iASK) (Felsőbbfokú Tanulmányok Intézete), herausgegeben von Kortárs Verlag unter dem Titel Stattliche Zeiten (Daliás idők), zeichnet die Geschichte des László Németh Fachkollegium in Szombathely im nationalen und internationalen Kontext nach. Die Autoren des Buches, Ferenc Miszlivetz, István Sümegi, Gábor Szabó, Ildikó Szommer und Erzsébet Tokaji Nagy, stellten das Buch gemeinsam mit László Kövér, dem Präsidenten des ungarischen Parlaments und ehemaligen Student von Bibó Fachkollegium am Samstag in der Stirling-Villa in Velem vor, und eröffneten eine Ausstellung zum Thema.

Erzsébet Tokaji Nagy, Gábor Szabó, István Sümegi, Ildikó Szommer und László Kövér (l-r) bei der Buchvorstellung in Velem (Foto: Ungarn Heute)

Das Buch fängt den unerforschten Teil der ersten Jahre der politischen Wende in Ungarn ein, den Moment, der die Fachkollegiumbewegung über die Opposition erhob. Sie stellt die wichtigsten Persönlichkeiten der damaligen Zeit vor, gibt einen Einblick in das Protokoll einer der Sitzungen der Fachkollegien – die zufällig in Velem stattfand -, an der László Kövér, Tamás Fellegi, Gábor Fodor und Viktor Orbán teilnahmen, und einen Vorgeschmack auf die entsprechenden Berichte des Geheimdienstes.

Ferenc Miszlivetz, Generaldirektor des iASK, betonte bei der Buchvorstellung und in seiner Studie, dass das László Németh Fachkollegium mehr Gewicht auf Kultur, Literatur und Film, auf die Verbesserung der Bildungsqualität und auf soziale Sensibilität gelegt hat, während die Budapester Studentengruppen sich zunehmend auf Themen der großen Politik und des Wandels konzentrieren. Obwohl sich die Wege der jungen Leute manchmal kreuzten, trennten sie sich bald wieder. An der Spitze der politischen Macht, in der Wissenschaft, in der Zivilgesellschaft, im Bildungswesen, in der Hochschulbildung, im kulturellen Leben und im sozialen Bereich wurden neue Generationen gebraucht.

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Erzsébet Tokaji Nagy, eine der Herausgeberinnen und Autorinnen des Buches, betonte bei der Vorstellung, dass das Buch nicht nur eine nostalgische Erinnerung an die Vergangenheit sei, sondern auch eine Mikrogeschichte und eine Abrechnung, eine Gelegenheit, unsere Träume und uns selbst von vor 30 Jahren mit der Gegenwart zu konfrontieren und in die Zukunft zu blicken, ohne diese Zeit zu vergessen.

László Kövér sagte, er sei Mitglied des Bibó Fachkollegiums gewesen, des zweiten im Lande, das 1983 gegründet wurde. „Bei den Treffen der Kollegien haben wir unsere eigene Generationsstärke erfahren, dass es in dieser Gemeinschaft eine geistige Stärke gibt, dass wir nicht auf die intellektuelle Bevormundung durch frühere Generationen angewiesen sind. Diese Generationserfahrung prägte die Zeit von ’81 bis ’89“, erinnerte der Präsident des ungarischen Parlaments

Gábor Szabó, Péter Ágh, László Kövér und Erzsébet Tokaji Nagy schauen sich die Ausstellung in Velem an (Foto: Ungarn Heute)

In seiner Rede fasste István Sümegi, Forscher von iASK, die Jahre am László Németh Fachkollegium als eine Art „kollektives Glück“ zusammen. Für ihn bedeutete diese Gemeinschaft die Freude, gemeinsam und frei zu denken und nach Lösungen für bestehende Probleme zu suchen.

Gábor Szabó, Sekretär des László Németh Fachkollegiums und ehemaliger Redakteur der Zeitschrift Aussichtsturm (Kilátó), hob in seiner Erinnerung den demokratischen Charakter der Organisation hervor: Der Posten des Sekretärs wurde jährlich neu abgestimmt.

Ildikó Szommer, ehemalige Redakteurin der Zeitschrift Aussichtsturm (Kilátó), betonte bei der Buchvorstellung, dass die Zeitschrift seit Mitte der 1980er Jahre zu einem Forum der freien Meinungsäußerung geworden sei und dass die Publizisten, die das Profil der Zeitschrift bestimmten, aus den Reihen der Mitglieder des Kollegiums stammten. Um die kritische Haltung der Redakteure zu veranschaulichen, erinnerte sie daran, dass ein Artikel nicht in der Zeitung erscheinen durfte, weil er laut der Begründung nicht gut genug war, obwohl der Autor eine der Schlüsselfiguren der damaligen Jugendoppositionsbewegung, der spätere Ministerpräsident Viktor Orbán war.

Ausstellungsgegenstände in der Stirling-Villa in Velem (Foto: Ungarn Heute)

Am Ende der Veranstaltung erklärte der Notar des Komitats Vas, Péter Balázsy, dass die Renovierung des Villas von Stirling, in dem in Velem die Buchvorstellung stattfand, die zweite Phase erreicht hat. Das berühmte Haus wird als Gemeinde- und Tourismuszentrum wiederbelebt und wird in Zukunft Schauplatz für viele ähnliche Veranstaltungen sein.

(Beitragsbild: offizielle Facebook Seite von iASK)