Der ungarische EU-Ratsvorsitz wird die Aufmerksamkeit auf das Thema der nationalen Minderheiten lenken, so die Chefberaterin des Ministerpräsidenten.Weiterlesen
Das Thema der autochthonen Minderheiten in Europa muss während der ungarischen EU-Ratspräsidentschaft auf der Tagesordnung bleiben, und das Andreanum ist ein gutes Beispiel, das jeder im aktuellen politischen Umfeld kennen sollte, sagte die Beauftragte des Ministerpräsidenten Katalin Szili am Mittwoch in Bad Tuschnad (Tusnádfürdő, Băile Tușnad), Siebenbürgen.
Bei einer Podiumsdiskussion zum 800. Jahrestag des Andreanums im Rahmen des 33. Bálványos-Sommeruniversität, auch bekannt als Tusványos, betonte Katalin Szili, dass auch die Mitglieder des Europäischen Parlaments mehr über diese Tradition erfahren sollten, damit sie wissen, wie sie zur Stabilität in Europa beitragen können.
In der Podiumsdiskussion, die von Péter Pomozi, dem Direktor des Forschungszentrums für ungarische Sprachgeschichte, moderiert wurde, ging es um die Frage, warum es heute wichtig ist, über das Andreanum zu sprechen, und was es für die nationale Politik, die ungarisch-sächsischen und die ungarisch-rumänisch Beziehungen in Siebenbürgen bedeutet. Außerdem wurde eine Publikation mit dem Titel Andreanum 800 – Die Anfänge der europäischen Selbstbestimmung im Königreich Ungarn vorgestellt, an der auch die Podiumsteilnehmer mitgewirkt haben. Die ungarisch-deutsche Ausgabe wird später auf Englisch, Französisch und Rumänisch erscheinen.
Katalin Szili erinnerte daran, dass König Andreas II. im Jahr 1224 den Siebenbürger Sachsen im Andreanum das Selbstbestimmungsrecht gewährte, was das Überleben und die Entwicklung der sächsischen Gemeinschaft über Jahrhunderte hinweg sicherte.
Der ‚Goldene Freibrief‘, der in diesem Jahr 800 Jahre alt wird, beweist, dass der ungarische Staat seit jeher ein ausgewogenes Zusammenleben mit nationalen Minderheiten schätzt und die Notwendigkeit anerkennt, ihnen Selbstbestimmung zu gewähren.
Sie wies darauf hin, dass die Europäische Union die Haltung der beitretenden Staaten gegenüber den in ihren Hoheitsgebieten lebenden Minderheiten geprüft wurde, dass es aber keine Folgemaßnahmen gab und das Thema nun in den Hintergrund gedrängt wurde. Aus diesem Grund sei es wichtig, den europäischen Institutionen und den Organisationen der Zivilgesellschaft dieses positive Beispiel aufzuzeigen, denn während die EU dem Thema Migration viel Aufmerksamkeit widme, gehe sie nicht auf die Frage der einheimischen Minderheiten ein, sagte Katalin Szili. Sie betonte, dass man anerkennen müsse, dass die Frage der autochthonen Minderheiten keine interne Angelegenheit der Mitgliedsstaaten sei, sondern eine europäische Angelegenheit, und dass die Mitgliedsstaaten sie als einen Bestandteil der Staates akzeptieren sollten.
Ferenc Kalmár, Sonderbeauftragter des Ministeriums für auswärtige Angelegenheiten und Handel, erklärte: Das Andreanum war ein wirksames Autonomiemodell, das die siebenbürgisch-sächsische Gemeinschaft bewahren konnte und ihr einen Entwicklungsrahmen geboten habe. Der in Kronstadt (Brassó, Brașov) geborene Experte betonte: Eine neue Welt entsteht, in der in den nächsten 50 Jahren für die Belange nationaler Minderheiten gekämpft werden muss. Ihr Ziel ist es, zu überleben und zu gedeihen.
Da die europäischen Rahmenkonventionen über Minderheitenrechte zwar verbindlich, aber nicht einklagbar sind, wurden fünf Grundsätze entwickelt, die auf europäischer Ebene berücksichtigt werden sollten.
Der erste besagt, dass der Schutz nationaler Minderheiten eine europäische Angelegenheit ist, der zweite, dass es um den Schutz der Identität geht und der dritte, dass individuelle und kollektive Rechte erforderlich sind. Die vierte besagt, dass die Staatsbürgerschaft von der nationalen Identität getrennt werden kann, und die fünfte stellt fest, dass die nationalen Minderheiten verfassungsmäßige Bestandteile der Staaten sind.
Der siebenbürgische Politikwissenschaftler und Universitätsprofessor Miklós Bakk sprach über die Tatsache, dass das Thema Minderheiten in den letzten fünf bis zehn Jahren von der europäischen Agenda verschwunden ist. Eine der wichtigsten Zäsuren sei der Globalisierungsprozess, der die lokalen historischen Gemeinschaften „pulverisiert“ und gegen den es nur eine Kraft gebe, die sich organisieren kann: den Nationalstaat. Um dem entgegenzuwirken, plädierte er dafür, die Debatte über das Konzept des Multikulturalismus neu zu eröffnen.
Anstelle der Auffassung, wonach der Staat eine Art ‚Hotel‘ sei, soll das Konzept der europäischen Indigenität in den Vordergrund gestellt werden,
wonach die europäische Zivilisation, die in Sprache und Identität vielfältig ist, am besten geeignet sei, den Globalisierungsprozessen zu begegnen. Er betonte, dass ein kluger Nationalstaat in seinem eigenen Interesse den eigenen Minderheitengemeinschaften kollektive Rechte gewährt. Da der heutige politische Kontext nicht mehr unbedingt günstig für Minderheiten sei, müssten die Organisationen der Zivilgesellschaft ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen.
Nach Ansicht von József Komlóssy, dem ehemaligen Vizepräsidenten der Föderation Europäischer Nationalitäten (FUEN), sollte das Andreanum die Aufmerksamkeit darauf lenken, dass nur eine zufriedene Volksgruppe eine „gute“ Volksgruppe ist, die ihre eigene Identität und Kultur nicht bedroht sieht. Er wies auch darauf hin, dass das Wort Autonomie heutzutage ein „rotes Tuch“ sei, weshalb man lieber von lokaler und regionaler Selbstverwaltung sprechen sollte.
Via MTI Beitragsbild: Großes Sachsentreffen 2024 Facebook