Das Buch „Im Karpatenbogen: Ungarn und die Diaspora der Magyaren” bietet einen Überblick über die Geschichte von Minderheiten in Europa vom Ersten Weltkrieg bis zur Gegenwart und zeigt, wie territoriale Veränderungen im Zuge des Trianoner Vertrags zu Problemen geführt haben, die bis heute nur schwer zu lösen sind. Geschrieben von Zoltán Kántor – Budapester Zeitung.
Das erst kürzlich in deutscher und ungarischer Sprache veröffentlichte Buch enthält Reportagen und Analysen des Historikers, Politikwissenschaftlers und Publizisten Reinhard Olt, von denen viele zuvor in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschienen sind. Es handelt sich dabei um eine Auswahl seiner Schriften, in denen sich der auch in der Hochschulbildung und Forschung tätige Olt mit der Lage der deutschen und ungarischen Minderheiten im Karpatenbecken auseinandersetzt.
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Viele Buchautoren behaupten, mit ihren Büchern eine Marktlücke zu füllen – für dieses Buch gilt das aber besonders. Die chronologisch angeordnete Artikelsammlung (von denen einige auch als wissenschaftliche Studien betrachtet werden können) trifft einen Nerv und ist eine spannende Lektüre sowohl für Leser, die sich bereits seit Jahrzehnten mit der Materie befassen, als auch jene, die sich gerade erst für das Thema zu interessieren beginnen.
Schwerpunkt Auslandsungarn
In dem Buch können sie verfolgen, wie sich die Minderheitenfrage über die letzten hundert Jahre entwickelt hat. Der Schwerpunkt liegt dabei auf den Rechten der Ungarn im Ausland. So finden sich etwa Artikel über die ungarische Minderheit in Rumänien und der Slowakei im Buch wieder, mit besonderem Augenmerk auf die Situation der Tschangos. Man erfährt zudem etwas über die Babes-Bolyai-Universität in Siebenbürgen – die einzige dreisprachige Universität in Südosteuropa, aber auch über die Roma in Ungarn. Ebenso wird der Schutz von Minderheiten auf internationaler Ebene thematisiert.
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Mit Professionalität und der nötigen Distanz – was nicht bedeutet, dass der Autor seine Sympathie für Minderheiten zu verbergen sucht – erörtert Olt in seinem Text zentrale Fragen: Etwa ob Autonomie auch notwendigerweise zu Separatismus führt, nach welchen Grundsätzen die Bildung bei Minderheiten organisiert und wie der Gebrauch von Minderheitensprachen reguliert werden sollte.
Kein großes Hintergrundwissen erforderlich
Doch auch die ungarische Nationalitätenpolitik, etwa das umstrittene „Statusgesetz” sowie die doppelte Staatsbürgerschaft werden in mehreren Beiträgen thematisiert. Immer im Hinterkopf sollte man bei der Lektüre behalten, dass die meisten Artikel für FAZ-Leser in Deutschland geschrieben wurden, also in einer Art, die es ermöglicht, die Situation der Ungarn im Ausland und die Schritte der nationalen Politik des ungarischen Staates auch ohne viel Vorwissen verstehen zu können.
An dieser Stelle sollte nicht unerwähnt bleiben, dass es keine andere führende europäische Tageszeitung gibt, die der Minderheitenfrage in den letzte Jahrzehnten einen solchen Platz eingeräumt hat. Ebenso gibt es keinen Journalisten, der die Minderheitenfrage (auf höchstem professionellen Niveau!) mit einer solchen Regelmäßigkeit verfolgt und behandelt hat wie Reinhard Olt.
Das Buch könnte gar all jenen als Lehrbuch empfohlen werden, die sich für den Schutz von Minderheiten interessieren. „Im Karpatenbogen” gibt auch einen Einblick in die berufliche Fortentwicklung des Autors: Die ersten Schriften lesen sich noch wie einfache Berichte, während sich unter den späteren Beiträgen immer mehr Analysen und fachliche Meinungsbeiträge finden. In den vergangenen drei Jahrzehnten hat sich der Autor zu einem der größten Experten für europäische Minderheiten entwickelt.
Professionelles und menschliches Interesse
Reinhard Olt gehört selbst keiner der Minderheiten an, über die er schreibt. Sein Expertenwissen hat er sich rein aus professionellem und menschlichem Interesse angeeignet. Mit seinen Veröffentlichungen hat Olt viel dafür getan, dass die Lage der Auslandsungarn überhaupt in der westlichen Presse Anklang fand. Dafür, dass er dies mit enormer Professionalität und mit der gebotenen Sensibilität getan hat und tut, sind ihm die Ungarn ausgesprochen dankbar.
In diesem Jahr erhielt Reinhard Olt deshalb auch das ungarische Verdienstkreuz als Anerkennung für seine publizistische Tätigkeit, die den Ruf Ungarns in der internationalen Presse gestärkt hat, und für seine Schriften, die die Geschichte der im Karpatenbecken lebenden ungarischen Minderheiten authentisch darstellen.
Die deutschsprachige Publikation wurde von der Stiftung der Freunde Ungarns veröffentlicht, die ungarischsprachige Ausgabe, übersetzt von Attila Till, wiederum von Pro Minoritate. Das Buch ist vorerst nicht im Buchhandel erhältlich, kann aber bei beiden Stiftungen angefragt werden.
(Der Artikel wurde von Zoltán Kántor geschrieben, erschien in der Budapester Zeitung am 10. April, Titelbild: MTI – György Varga)